Gazprom stoppt Gaslieferungen an OMV

19. November 2024

Nach dem Schiedsurteil gegen Gazprom kündigte der russische Versorger an, die teilstaatliche OMV ab Samstagfrüh nicht mehr mit Erdgas versorgen zu wollen. Die Versorgung ist aber gesichert, die Speicher sind voll.

Nun dürfte es fix sein: Die OMV wurde am Freitag darüber informiert, dass Gazprom ab heute, Samstag, kein Gas mehr an die OMV nach Österreich liefern wird. Die E-Control bestätigte dem STANDARD eine entsprechende Mitteilung des Konzerns.

Die teilstaatliche OMV hatte aufgrund eines Rechtsstreits mit der Gazprom bereits Mitte der Woche davor gewarnt, dass es zu einer Lieferunterbrechung kommen könnte. Dass es nun so schnell geht, dürfte auch Brancheninsider überraschen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bemühte sich Freitagabend bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz um Beruhigung. Die Versorgung sei sicher gestellt, die Speicher gefüllt.

Hintergrund des angekündigten Lieferstopps ist das Urteil eines Schiedsgerichts, mit dem der OMV 230 Millionen Euro Schadenersatz plus Zinsen und Kosten zugesprochen wurden. Wie der Konzern mitgeteilt hatte, wolle man diesen Anspruch mit Zahlungspflichten gegenüber Gazprom gegenrechnen. Vereinfacht gesagt: Die OMV überweist kein Geld mehr nach Russland. Auf diese Ankündigung hat Gazprom nun offenbar reagiert.

Laut einer „Urgent Market Message“ ist die OMV Gas Marketing & Trading GmbH (OGMT) von der Gazprom Export darüber informiert worden, dass Letztere „ihre Erdgaslieferungen im Rahmen ihres österreichischen Liefervertrags mit OGMT ab 16. November, 6.00 Uhr MEZ, aussetzen und damit auf null Prozent reduzieren wird.“ Die betroffene Erdgasmenge betreffe 7400 Megawattstunden pro Stunde (MWh/h). Gazprom gab gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters keine Stellungnahme ab.

Unklar blieb zunächst, ob gar kein Gas mehr nach Österreich kommt oder, das wahrscheinlichere Szenario, bloß die OMV nichts mehr erhält. Denn aus der Ukraine hieß es, dass die Gazprom für Samstag die gleiche Menge nach Westeuropa schicken will, wie am Tag davor, berichtete Reuters. Bei der Energieregulierungsbehörde E-Control wurde das so interpretiert: Es sei gut möglich, dass weiter Gas in Österreich am Knotenpunkt Baumgarten ankomme, aber nur noch für andere Kunden der Gazprom, etwa in Ungarn oder der Slowakei.

Die OMV gab sich schon am Mittwoch auf das Szenario vorbereitet: Man habe inzwischen eine alternative Gasversorgung aus nichtrussischem Gas sowie weitere Gaslieferkapazitäten aufgebaut, insbesondere mit Gas aus Norwegen und Flüssiggas (LNG). „OMV bekräftigt, dass das Unternehmen die vertraglich zugesicherten Gasmengen an seine Kunden auch im Fall einer möglichen Lieferunterbrechung von Gazprom Export beliefern kann“, hieß es in einer Aussendung.

Ähnlich zuversichtlich äußerte sich die E-Control. Man gehe davon aus, dass es in Österreich selbst bei einer Lieferunterbrechung zu keiner Gasmangellage kommen werde. Die Gasversorgung sei für die nächsten beiden Winter gesichert, sagte E-Control-Vorstand Alfons Haber.

Anteil bis zu 90 Prozent

Die E-Control und die Energieagentur haben bereits vor dem Sommer eine Studie zur Frage präsentiert, wie Österreich damit klarkommen würde, wenn kein Gas mehr aus Russland käme. Immerhin bezieht die Republik als einer der wenigen verbliebenen Staaten in Europa fast das gesamte Gas aus Russland, zuletzt entsprachen die Liefermengen pro Monat 80 bis 90 Prozent der importierten Gesamtmengen. Laut Analyse würde ein Gasmangel vermieden werden können, weil die Speicher gut befüllt sind – derzeit zu aktuell 93 Prozent.

Dazu kommt, dass weiterhin Gas über Italien kommen kann. Weitgehend unbemerkt haben die Italiener die Pipelines für Lieferungen sogar ausgeweitet und sie dem vorhandenen Pipelinenetz in Österreich angepasst. Italien bietet diese zusätzlichen Kapazitäten ab Herbst für Gashändler zum Kauf an. Mithilfe dieser zusätzlichen Mengen können über Italien und Deutschland etwa 185 Terawattstunden an Gas importiert werden. Damit könnte Österreich gut versorgt werden, heißt es in der Analyse, der Jahresverbrauch lag 2023 bei 75,6 Terawattstunden. In den Gasspeichern befinden sich aktuell inklusive der republikseigenen Reserve von 20 Terawattstunden gut 94 TWh an Gas, diese Mengen sind aber nicht nur für Österreich bestimmt, auch für Slowenien oder die Slowakei.

Der europäische Gaspreis schlug an der Handelsbörse Freitagnachmittag nach oben aus und erreichte den höchsten Stand seit rund einem Jahr. Experten schließen einen Preisanstieg bis zu zehn Prozent nicht aus.

Gas fließt weiter, aber weniger

Die E-Control meldet reduzierte Flüsse, die am Knotenpunkt Baumgarten ankommen. Gas dürfte nun über andere Händler in Österreich verteilt werden– und die Preise steigen bereits jetzt leicht.

Die Meldungen vergangenen Freitagabend überschlugen sich: Die OMV gab bekannt, dass vom russischen Lieferanten Gazprom laut dessen Ankündigung ab Samstagmorgen kein Gas mehr kommen würde. Prompt setzten Spekulationen ein: Denn aus der Ukraine meldete Naftogaz, dass die Gazprom für Samstag die Durchleitung derselben Gasmengen Richtung Westen angekündigt hat wie tags davor.

Und tatsächlich: Am Samstagmorgen meldete Österreichs Marktaufsichtsbehörde E-Control, dass am Knotenpunkt Baumgarten in Niederösterreich weiterhin russisches Gas ankomme, auch wenn der Fluss laut dem E-Control-Experten Leo Lehr „etwas reduziert erscheint“. Konkret waren es 17 Prozent weniger. Das gleiche Bild wiederholte sich am Sonntag: Von der Ukraine in die Slowakei blieb der Gasfluss laut Reuters unverändert; von der Slowakei nach Österreich ist er gegenüber dem Novemberschnitt um 16 Prozent zurückgegangen.

Mehr in der Slowakei

Damit erfüllt sich ein Szenario, das von Experten immer wieder diskutiert wurde: Es gibt in Österreich kein Importverbot für russisches Gas. Sprich: Russland kann Gas weiter in Europa verkaufen, eben über andere Abnehmer als die OMV. Laut Lehr verbleibt etwas mehr Gas in der Slowakei. Am wahrscheinlichsten sei es, dass das Gas aus Russland nun direkt an der Börse gehandelt werde, dem Central European Gas Hub. „Es handelt sich um eine wirtschaftliche Änderung, keine physische“, so Leo Lehr. Eine Folge wäre, dass Österreich weiter Gas aus Russland bekommen würde, wenn auch über Umwege. Die Schecks dafür würden weiter in Russland landen.

Spannend zu sehen sein wird, was diese Änderung mit den Preisen macht. Die große Frage war immer, ob das russische Gas, das die OMV bekommt, wirklich billiger ist – wie es Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die OMV-Führung immer wieder betont haben. Eine Analyse des Ökonomen Sebastian Koch vom IHS aus dem Frühjahr hat allerdings gezeigt, dass sich seit Kriegsbeginn in der Ukraine die Gaspreise für Haushalte nirgendwo in der EU so stark verteuert haben wie in Österreich. Österreich war sogar insoweit ein Einzelfall, als die hohen Preise auf dem hohen Niveau verblieben sind.

Die Mär vom billigen Gas

Der OMV-Vertrag ist zwar nicht einsehbar. Aber eine Vermutung lautet: Der vereinbarte Abnahmepreis dürfte sich recht nah am Marktpreis fürs Gas bewegen. Dazu passt auch, dass die Überweisungen nach Russland mit dem Anstieg der Energiepreise explodierten, wie etwa Berechnungen des Neos-Thinktanks Neos Lab zeigen. „Das mit dem billigen russischen Gas ist eine Mär“, sagte Energieexperte Walter Boltz.

Fest steht, dass die EU ihre Gasversorgung bereits stark diversifiziert hat. Der Hebel Russlands ist klein geworden. Weiterhin wichtig sind Einfuhren jedoch für Österreich, die Slowakei und Ungarn. Zwischen 80 und 90 Prozent der importierten Mengen in Österreich kamen zuletzt aus Russland.

Laut Berechnungen der E-Control und der Energieagentur, die dem Klimaministerium zuarbeitet, kann Österreich einen Lieferstopp angesichts gefüllter Gasspeicher verkraften. Das ergab eine Analyse aus dem Juni, wonach zusätzliche Importmengen aus Italien und Deutschland ausreichen, um den Ausfall zu kompensieren. Zu einem Preisanstieg würde es allerdings trotzdem kommen, so die Erwartung.Auf Basis von Marktanalysen erwarten Energieagentur und E-Control einen Anstieg der Preise um zehn bis 40 Prozent nach einem Lieferstopp. Der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss brachte deshalb bereits eine Intervention des Staates ins Spiel: Österreich verfügt über eine strategische Gasreserve, die von der Regierung angeschafft wurde. Wenn Preise anziehen, könne sie der Staat am Markt einsetzen und verkaufen, um die Preise zu drücken, so Roiss im Ö1-Morgenjournal.

Leichter Preisanstieg

Tatsächlich hat sich das Gas bereits über die vergangenen Wochen etwas verteuert: Am Freitag kostete eine Megawattstunde Gas an der europäischen Gasbörse TTF (für Dezember) um die 45 Euro. Noch im März waren es 30 Euro gewesen. Einer der Faktoren dahinter, so Leo Lehr: Ein Lieferstopp von Händlern aus Russland dürfte bereits eingepreist sein. Kommentar Seite 20

Der Standard