Statistiken von Eurostat und der EU-Kommission zeigen, dass nur in wenigen Ländern Strom so viel kostet wie hierzulande – obwohl Österreich Spitzenreiter bei Wasserkraft ist. Eine Suche nach Erklärungen.
Die Zahlen wirken paradox. Österreich ist eines der Länder in Europa mit dem höchsten Anteil an grünem Strom. Laut Zahlen des Klimaministeriums finden fast 90 Prozent der inländischen Energieerzeugung mit Erneuerbaren statt. Auf die Wasserkraft entfallen fast 30 Prozent der Primärenergieproduktion. Österreich produziert somit mehr Strom aus Wasserkraft als große Länder wie Deutschland oder Italien. Die Produktionskosten hierfür sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Und trotzdem: Immer wieder landet Österreich in Rankings, bei denen Strompreise für Haushaltskunden und Unternehmen verglichen werden, weit vorne.
So hat die EU-Statistikbehörde Eurostat gerade erst die Strompreise für Haushalte in der ersten Jahreshälfte 2024 verglichen. Österreich findet sich im Spitzenfeld wieder (ohne Steuern und Abgaben). Auch der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, führt Österreich in seinem vielbeachteten Bericht zur leidenden Wettbewerbsfähigkeit Europas weit vorne an, wenn es um die Stromkosten geht. Österreichs Industrie muss demnach die sechsthöchsten Preise Europas für Strom berappen (in dem Fall mit Steuern und Abgaben).
Methodik entscheidend
Wie gibt es das? Zunächst spielt die Methodik der Datenerhebungen eine Rolle. Die staatliche Aufsichtsbehörde E-Control erhebt regelmäßig auf Basis von Abrechnungen, was Haushalte für Energie zahlen, und meldet die Daten an die EU. Jedes Land folge einer anderen Praxis, weshalb sie nur bedingt zu vergleichen seien, sagt der Chefökonom der E-Control, Johannes Mayer. Weil hierzulande bei den Haushalten nur Jahresabrechnungen für die Datenerhebung herangezogen würden und die Preise im vergangenen Jahr weiter gesunken seien, zeige sich der Preisrückgang in heimischen Statistiken etwas zeitverzögert.
Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur verweist deshalb auf den sogenannten Household Energy Price Index, der die Hauptstädte der Länder monatlich miteinander vergleicht. Inklusive Energie- und Netzkosten sowie sämtlicher Abgaben und Steuern liegt Wien in der kaufkraftbereinigten Statistik im Mittelfeld, etwas unterhalb des EU-weiten Schnitts. Das Manko: Es werden nur Neukundenpreise verglichen. Bestandskunden in oft teureren Tarifen sind nicht berücksichtigt.
Längere Zyklen
Warum sind die Preise so hoch? E-Control-Chefökonom Mayer hat zwei Erklärungen. Erstens sind die Zyklen, in denen heimische Versorger arbeiten, lang. Viele Versorger kaufen Strom auf zwei Jahre zu, womit sie zu Beginn der Energiekrise Preissteigerungen nicht so schnell weitergeben mussten – aktuell trägt das dazu bei, dass die Preise länger oben bleiben. Dass Energieriesen diese Einkaufspolitik verfolgen können, hat wohl auch mit der zweiten Erklärung für die hohen Preise zu tun: der Marktkonzentration. Mayer: „Die Quote von Kunden, die ihren Stromanbieter wechseln, ist relativ gering. Die Lieferanten unterstützen das, in dem man sich gegenseitig nicht wehtut. Es gibt wenige Landesversorger, die in Gebieten anderer attraktive Angebote machen“. Aktuell falle ihm überhaupt unter den Landesversorgern nur die Energie Steiermark ein, die in ein anderes Landesgebiet liefert – alle anderen wie EVN, Wien Energie, Energie Oberösterreich und so weiter bleiben daheim.
Dabei sind diese Versorger die Platzhirsche mit Marktanteilen von typischerweise um die 80 Prozent im Heimatbundesland. Wenig Wechselfreudigkeit und oligopolartige Strukturen befeuern die Preise. Dazu kommt: Die Landesversorger sind ganz oder teilweise in der Hand der Länder. Die Politik, die für Regulierung zuständig ist, hat wenig Interesse, etwas am System zu ändern, weil sie an den Gewinnen der Energieversorger teilhat.
Wie ließe sich das ändern? Im kommenden Jahr droht ein weiterer Anstieg der Preise um bis zu 45 Prozent. Die Vergleichsplattform Durchblicker warnt nun vor Mehrkosten von bis zu 725 Euro für einen Familienhaushalt. Ein Teil der Vorschläge, die nun vorgebracht werden, zielen darauf ab, diesen Anstieg abzubremsen. Dazu gehört das Fortschreiben der Elektrizitätsabgabe auf niedrigem Niveau. Sie ist nach den Preisexzessen 2022 auf 0,001 Euro je Kilowattstunde statt regulär 0,015 Euro reduziert worden. Die Reduktion ist bis Jahresende befristet.
Eine halbe Milliarde
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr hat sich zuletzt dafür ausgesprochen, die Abgabe nicht zu erhöhen. Auch E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch hielte das für eine gute Idee, wie er am Mittwoch im Klub der Wirtschaftspublizisten sagte. Nur: Der Ausfall für den Finanzminister liegt in Summe bei 500 Millionen Euro im Jahr – in Zeiten hoher Staatsschulden nicht nichts.
Gut für die Konsumenten, aber noch gravierender für das Budget wäre ein weiteres Aussetzen der Erneuerbaren-Förderkosten. Diese wurden im heurigen Jahr aus dem Budget gedeckt, in nackten Zahlen: 909 Millionen Euro.
Stromkostenbremse
Relativ einhellig ist die Position zur Stromkostenbremse, die einen Teil der Schuld trage, warum der Wettbewerb zwischen den Energieversorgern nicht intensiver sei. Sie soll wie geplant Ende 2024 auslaufen.
Holschuld für niedrigere Energiepreise gäbe es aber auch bei den Haushalten, meint Urbantschitsch. Sie sollten verstärkt Preise vergleichen und zu günstigeren Anbietern wechseln, die es zweifelsohne gebe. Und: Sie sollten auf monatliche statt jährliche Rechnungen bestehen. Nur so sei nachvollziehbar, wie viel man für was zahle.
Der Standard