Ein Ruck ging durchs Land, als die russische Gazprom ankündigte, kein Gas mehr an die OMV zu liefern. Russisches Gas kommt aber weiterhin nach Österreich. Noch. Sind die Unternehmen für ein Versiegen der langjährigen Quelle gerüstet?
Die Nerven waren ziemlich angespannt, als am Freitag der Vorwoche die Einladung zur Sitzung des erweiterten Krisenstabs der Bundesregierung erfolgte. Um 15.47 Uhr hatte Reuters als erste Agentur gemeldet, dass Russland die Gaslieferungen an OMV per Samstag, sechs Uhr früh, einstellen würde. Das nach 56 Jahren, als erstmals Gas und seither überwiegend beständig durch die tausende Kilometer langen Pipelines von Sibirien bis knapp vor Wien geströmt ist. Auf die Schrecksekunde folgte bald – man könnte fast sagen – Gelassenheit.
Vorausgegangen war die Ankündigung des teilstaatlichen österreichischen Konzerns, den zwei Tage davor von einem Schiedsgericht zuerkannten Schadenersatz über 230 Millionen Euro plus Zinszahlungen mit Lieferungen von Gazprom Export gegenzurechnen. Im Klartext: Die OMV werde so lange kein Geld nach Moskau überweisen, bis die Millionen in Form von Gaslieferungen getilgt sind.
Beobachtern zufolge war es die letzte Möglichkeit für die OMV, an die zugesprochene Summe für entgangene Gaslieferungen von Gazprom an die Deutschland-Tochter zu kommen, die viele Hunderte Kunden versorgt. Die Monatsrechnung beträgt rund 200 Millionen Euro (Bezugsmenge von OMV mit 40 bis 45 Euro je Megawattstunde multipliziert).
Ab Jänner wird, Stand heute, so oder so kein russisches Gas mehr nach Österreich strömen, wodurch die Chancen der OMV, sich schadlos zu halten, auf null sinken würden. Ende 2024 läuft der Transitvertrag zwischen der Ukraine und Russland aus. Der staatliche ukrainische Energiekonzern Naftogaz hat wiederholt betont, den Vertrag nicht mehr zu verlängern.
Entgegen so mancher Prognose kommt trotz Lieferstopps an OMV nach wie vor viel Gas aus Russland in Baumgarten an. Vom Übergabepunkt an der österreichisch-slowakischen Grenze aus wird es weiterverteilt. Die OMV könnte, auch wenn der Konzern wollte, physisch nicht auf das russische Gas zugreifen. Zuständig für den Gasknoten Baumgarten ist die Fernleitungsgesellschaft Gas Connect Austria (51 Prozent gehören dem Verbund, 49 Prozent einem Konsortium aus Allianz/Deutschland und Snam/Italien) und nicht mehr, wie noch vor einigen Jahren, die OMV.
Über Baumgarten ist in besseren Zeiten ein Mehrfaches dessen weiterverteilt worden, was die OMV für sich selbst vertraglich gesichert hatte. Erst 2018 sind die Verträge höchst zeremoniell unter Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) und des russischen Präsidenten Wladimir Putin bis 2040 verlängert und auf bis zu sechs Milliarden Kubikmeter aufgestockt worden. Noch mehr Gas ist nach Deutschland und insbesondere Italien geströmt. Der Fluss in diese Länder ist vor längerer Zeit abgerissen.
Nicht so jener nach Österreich: Auch in den vergangenen Tagen hat die Regulierungsstelle E-Control kein Anspringen der Gasexporte von Österreich Richtung Deutschland oder Italien beobachtet. Damit erhärten sich Annahmen, wonach das einlangende russische Gas – immerhin 85 Prozent der von OMV noch vor kurzem beanspruchten Menge – von anderen Marktteilnehmern an der Börse gekauft und an Kunden in Österreich geliefert wird.
Also alles gut? Nicht ganz. Der Gaspreis ist gestiegen, europaweit seit einigen Wochen. Während das internationale Beobachter auf wachsende geopolitische Unsicherheiten zurückführen, sehen andere wie der frühere E-Control-Chef Walter Boltz oder der ehemalige OMV-Boss Gerhard Roiss einen direkten Zusammenhang mit der verminderten Menge an Gas, die nach Österreich kommt.
Für die Industrie sind höhere Gaspreise so oder so Gift. „Gas wird weiterhin, mangels Alternativen, für viele Prozesse wichtig bleiben“, bestätigt Wifo-Ökonom Klaus Friesenbichler. Besonders betroffen seien etwa jene Betriebe, die Stahl, Glas oder Papier erzeugen – oft Leitbetriebe, wie etwa die Voest. Erdgas sei schon 2019 eineinhalbmal so teuer gewesen wie in den USA, sagte Voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner jüngst in Wien. Jetzt sei der Preis für Gas 5,7-mal so teuer wie in den USA. Für einen Konzern, der im internationalen Wettbewerb steht, wie der Linzer Stahlproduzent, keine Kleinigkeit. Schickt Russland via Ukraine gar kein Gas mehr in den Westen, erwarten Fachleute noch einmal einen Preisanstieg von rund zehn Prozent. Das täte weh. Zumindest was die Versorgung betrifft, gibt man sich bei der Voest relativ entspannt. Auch wenn die Lieferungen aus Russland ausblieben, sei die Erdgasversorgung vorerst nicht gefährdet, sagt ein Sprecher. Man erreichte ihn telefonisch in Linz, beim Spatenstich für den 220-kV-Ring, ein Stromnetz, das künftig auch die „grüne“ Stahlerzeugung in der Voest ermöglichen soll. Kostet viel Geld, braucht viel Zeit.
Aber es hat sich etwas getan im Land. Hört man sich bei Unternehmen um, so machen diese sich mit dem Gedanken vertraut, dass die fossilen Quellen versiegen werden. Beim oberösterreichischen Luftfahrtzulieferer FACC beschäftigt man sich seit 2007 mit alternativen Energien. „Weil uns das irrsinnig viel Geld gespart hat“, sagt FACC-Chef Machtlinger. Gas braucht man immer weniger. Andere hatten es nicht so eilig. Trotz nationaler und internationaler Bedenken wurden die Risken hierzulande auch von der Politik verharmlost. Tenor: Russisches Erdgas sei alternativlos, Russland ein verlässlicher Lieferant, russisches Erdgas billig. Dafür zahlt man jetzt den Preis. Die Bedeutung von Gas im Energiemix der Industrie hat seit 2021 dennoch abgenommen – von 36 auf 31 Prozent im Jahr 2023. Roman Stöllinger, Ökonom am Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), betont, dass die Jahrzehnte lange recht positive Entwicklung der Industrie auch auf gut ausgebildeten Fachkräften und innovativen Unternehmen fuße, weniger auf billigem Gas. So seien Zement- und andere Baustoffindustrien –auch sie brauchen Erdgas – weniger international ausgerichtet, also weniger dem Weltmarkt ausgesetzt. Und: Auch in Exportindustrien wie der Stahlbranche seien die Energiekosten mit knapp 20 Prozent der Gesamtkosten nicht überzubewerten. Herkunft des Gases Seite 21
Der Standard