Energie. Auch nach dem „Lieferstopp“ von Gazprom kommt weiter russisches Gas ins Land. Österreich ist für zwei kalte Winter gerüstet. Teuer macht Gas nicht Moskau, sondern Berlin.
Kaum wird das Wetter etwas kälter, sind die Schwarzmaler zur Stelle: Österreich werde das Gas ausgehen, die Kosten würden explodieren. Immerhin fehlen notwendige Leitungen, das Flüssiggas aus Amerika fährt um Europa herum nach Asien und die Russen drehen sicher auch bald den Gashahn ab, so die gängige Argumentation.
Am 16.November schien es – wieder einmal – so weit zu sein. Gazprom Export entschied aufgrund einer juristischen Niederlage gegen die OMV, den Liefervertrag mit dem heimischen Versorger nicht mehr einzuhalten. Knapp 48Stunden lang herrschte Alarmstimmung: Der Kanzler stellte sich vor die Mikros und erklärte, dass die Republik genug Gas gebunkert habe. Heute zeigt sich: Die Aufregung war wohl etwas überzogen.
Gerüstet für zwei kalte Winter
Am Dienstag strömte mit 41,3 Millionen Kubikmeter mehr russisches Erdgas durch die Ukraine nach Europa als im Jahr zuvor. Ein Gutteil davon landet in Österreich, zeigen Daten von Eustream. Der einzige Unterschied: Statt Gazprom Export übernehmen nun kleinere Händler wie die Gazprom-Tochter Centrex den Transport zum österreichischen Gasknotenpunkt in Baumgarten. „Wir beobachten die Gasflüsse sehr genau“, sagt Markus Krug, stellvertretender Leiter der Abteilung Gas bei der E-Control, zur „Presse“. „Und wir sehen, das Gas wird nicht in andere Länder weiterverkauft, sondern bleibt in Österreich und wird hier verbraucht.“ Streng genommen ist also alles in etwa so wie vorher.
Der Regulator ist überzeugt davon, dass sich daran auch dann nicht viel ändern wird, wenn die Ukraine ab 1.Jänner tatsächlich keinen Transitvertrag mit Gazprom mehr abschließt und damit die Haupttransitroute für russisches Gas nach Europa blockiert. Dass sich die Folgen dieser politischen Entscheidung in Grenzen halten könnten, hat zwei Gründe: Erstens ist nicht gesagt, dass ohne Gazprom kein russisches Gas mehr kommt. Diplomaten rechnen damit, dass auch Kiew ein Interesse hat, weiter am Gastransit zu verdienen und die europäischen Partner nicht unnötig zu verärgern. Dem Vernehmen nach stehen ungarische und slowakische Händler bereits in den Startlöchern, um russisches Gas durch die Ukraine nach Europa zu schleusen.
Zweitens hat sich die EU ohnedies dazu entschlossen, fortan ohne Gas aus Russland auskommen zu wollen. Viele EU-Staaten haben sich schon von Moskau abgenabelt, und auch in Österreich sind die Voraussetzungen dafür inzwischen da. Die Republik hat fast vier Milliarden Euro für eine strategische Gasreserve ausgegeben. In Summe sind die Speicher im Land mit 92 Terawattstunden Erdgas prall gefüllt, zumindest ein Drittel davon ist für heimische Kunden reserviert. Der Gasmarkt sei liquide, die Transportkapazitäten ausreichend ausgebaut, versichert E-Control-Chef Alfons Haber. So kann Österreich etwa seit Oktober via Italien 95TWh (meist algerisches) Gas im Jahr importieren. Der Inlandsverbrauch liegt aktuell bei 75TWh. „Auch alle heimischen Versorger sind für den Ausfall ihres größten Lieferanten vorbereitet“, so Haber. „Selbst wenn zwei kalte Winter kommen, werden wir genug Gas über Italien und Deutschland importieren können.“
Kein billiges Gas aus Russland
Warnungen der Internationalen Energieagentur (IEA), wonach sich die Speicher in Europa zu rasch entleeren, kann E-Control-Expertin Carola Millgramm nicht ganz nachvollziehen. Die Speicher in Europa seien mit 85Prozent viel besser gefüllt als etwa vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Die europäischen Netzbetreiber Entso-E sehen erst ein Problem, wenn neben der Ukraine-Leitung auch die Turkstream (eine Leitung aus Russland über das Schwarze Meer und die Türkei in Richtung EU) kein Gas mehr nach Europa bringen würde. Die IEA warne vor einem knappen Angebot im Frühjahr, weil die Europäer mit den Asiaten um Flüssiggas konkurrieren müssten. „Viele asiatische Nachfrager haben sich Langfristverträge gesichert“, sagt sie. Das könnte die Kosten für Europa in die Höhe treiben.
Die steigenden Energiekosten sind es auch, die Österreichs Unternehmen beschäftigt. Was bedeutet es, wenn sie mit Anfang Jänner endgültig den Zugriff auf russisches Erdgas verlieren, das lange als besonders billig angepriesen worden ist? Glaubt man der E-Control, gibt es auch hier wenig zu befürchten. „Russisches Gas ist kein Billiggas“, sagt Millgramm. Der Preis werde an der Börse gemacht. Damit ist auch die Frage obsolet, ob es nun billiger ist, amerikanisches LNG, norwegisches Pipelinegas oder Erdgas aus Russland zu kaufen. Sobald es an der Börse gelandet ist, hat alles denselben Preis. Bei Langfristverträgen sehe das nicht viel anders aus: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gazprom Export in Europa weniger als den Marktpreis für sein Gas haben will.“
Steigen könnte der Preis trotzdem und hat es schon getan. Heuer wurde Gas in Europa schon um die Hälfte teurer. Neben geopolitischen Spannungen ist vor allem die kalte Witterung der Grund dafür. Bei einem Ende des Gastransits durch die Ukraine seien „kurzfristige Preisrisiken nicht auszuschließen“, so Haber. Das drängendere Problem an der Preisfront sieht er aber anderswo.
Die deutsche Gefahr
In den Augen der Behörde ist nicht der Zwist zwischen Russland und der Ukraine die größte Gefahr, sondern jener zwischen den Parteien der deutschen Ampelkoalition. Die Bundesrepublik hebt nämlich eine Gasspeicherumlage ein, die immer dann bezahlt werden muss, wenn Erdgas das Bundesgebiet verlässt. Deutschland hat versprochen, die europarechtswidrige „Gasmaut“ mit Jahresende auslaufen zu lassen. Doch mangels Regierung ist diese Entscheidung nicht umgesetzt.
Bis dato war Österreich nur marginal davon betroffen – das Gas kam ja über die Ukraine ins Land. Ab 1.Jänner könnte das aber anders sein. „Die Gasspeicherumlage ist das große Thema“, sagt auch Carola Millgramm. Wenn diese nicht wegfällt, würden die Speicherstände rasch sinken, weil die Versorger lieber erst das gebunkerte Gas verwenden würden, als frisches über Deutschland zu beziehen. „Denn Mengen aus Deutschland kosten inklusive Transportkosten dann um vier Euro je Megawattstunde mehr“, sagt sie.
von Matthias Auer
Die Presse