Wien Energie: „Warmes Wasser ist wie Öl und Gas“

9. Dezember 2024

Energie. Wien hat zu viele Gasleitungen, sagt Wien-Energie-Chef Michael Strebl. Er sucht lieber warmes Wasser unter der Stadt. Doch die Politik macht das schwerer als gedacht.

Die Presse: Seit November liefert Gazprom kein Gas mehr an die OMV. Ist die Wien Energie davon in irgendeiner Weise betroffen?

Michael Strebl: Nein, für uns hat sich nichts verändert. Wir waren ja nie Vertragspartner der Russen, und die OMV liefert weiter Gas. 2022 haben wir das erste Mal dezidiert nicht-russisches Gas in Algerien gekauft. 2023 kamen 30 Prozent der Gasmengen für die Fernwärmeversorgung aus Norwegen. Und für 2025 brauchen wir gar kein Gas aus Russland mehr. Damit ist das Thema für uns durch. Wichtig ist aber auch, dass wir die Versorgungssicherheit garantieren können. Die Gasspeicher sind praktisch voll. Aber wir haben auch Heizöl eingelagert für den Fall, dass es doch eng werden sollte.

Der Ausstieg aus russischem Gas kostet Sie einen einstelligen Millionenbetrag…
…den wir aber nicht an unsere Kunden weitergeben.

Darauf wollte ich hinaus. Die Gaspreise sind heuer in Europa um die Hälfte gestiegen, mit Jänner kommt die deutsche Gasmaut hinzu, die Lieferungen durch die Ukraine könnten wegfallen. Können Sie versprechen, dass die Preise für Ihre Kunden nicht steigen?

Wer einen Fixpreisvertrag hat, muss nichts befürchten. Aber natürlich sind wir auch ohne russisches Gas nicht abgekoppelt vom Gasmarkt. Wenn es da Preisänderungen gibt, dann trifft uns das genauso. Langfristig müssen wir sowieso raus aus dem Gas. Auch aus Kostengründen, im Übrigen. Wenn wir uns die Netzkosten ansehen, dann ist klar: Das Teuerste sind doppelte Infrastrukturen. Wenn Sie in einer Gasse eine Fernwärmeleitung und eine Gasleitung haben, dann ist das einfach zu kostspielig.

Also wo es Fernwärme gibt, sollen die Gasleitungen weg?

Ja, ich brauche sicher keine Gasleitung, wo es Fernwärme gibt. Die ganz großen Transportleitungen zur Industrie werden schon bleiben, da ist es auch sinnvoll, diese etwa für den Transport von Wasserstoff umzurüsten. Aber bei den Verteilleitungen in den Wiener Straßen und Gassen brauchen wir eine geordnete Stilllegung. Dafür fehlen allerdings die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dass es kein erneuerbares Wärmegesetz gibt, tut uns schon wirklich weh.

Dort hätte der Abschied von fossilem Gas mit 2040 festgeschrieben werden sollen. Das ist aber nie passiert. Was bedeutet das für die Milliardeninvestitionen der Wien Energie in die Dekarbonisierung?

Wir wissen genau, wie man den Wärmemarkt in Wien dekarbonisieren kann, und geben in den kommenden fünf Jahren 2,6 Milliarden Euro für die nachhaltige Energieversorgung der Stadt aus. Fernwärme ist deshalb gut, weil ich in keiner Wohnung stemmen und nirgendwo graben muss. Ich muss „nur“ das Wasser CO₂-frei erwärmen. Und dafür sorgen in Zukunft zu je einem Viertel die Müllverbrennung, Großwärmepumpen, die Geothermie und Gaskraftwerke auf Basis von Wasserstoff oder grünem Gas. Heute kann jeder Wiener auf Knopfdruck nachsehen, ob er in einem Gebiet wohnt, in dem es Fernwärme geben wird, oder ob er eine Grätzellösung oder eine Wärmepumpe brauchen wird. Die Hausverwaltungen und Eigentümer sind aufgeschlossen und wollen wissen, welche Option für sie die beste ist. Aber seit das geplante Gesetz in der Schublade verschwunden ist, merkt man, wie das Interesse abflaut.

Die Geothermie sollte ab 2027 Energie liefern. Liegen Sie da im Plan?

Tiefengeothermie ist für uns ein wichtiger Punkt, weil Wien da unglaublich günstige Voraussetzungen hat. Es bringt ja nichts, wenn man nur warme Quellen hat, aber oben niemand wohnt und kein Leitungsnetz da ist. In Europa gibt es das im Wesentlichen nur in Paris, München und Wien, und wir sind dahinter, diese Energie aus der Erde zu holen. Noch heuer starten wir mit den Bohrungen. Bis die Anlage fertig ist, wird es wahrscheinlich 2028 werden. Das liegt auch daran, dass die derzeitige gesetzliche Regelung uns die Nutzung von Geothermie nicht gerade einfach macht.

Warum ist das so?

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jedes Grundstück an der Erdoberfläche bis zum Erdmittelpunkt weitergeht. Das heißt, wenn wir in 2800 Metern Tiefe nach Wasser bohren wollen, brauchen wir die Zustimmung aller Grundeigentümer, die knapp drei Kilometer darüber wohnen. Bei Öl und Gas gibt es diese Einschränkung nicht. Deshalb wünschen wir uns, dass die Politik erkennt, dass warmes Wasser ein Rohstoff ist wie Öl und Gas und deshalb auch dieselben Regeln für die Förderung gelten sollten.

Was erwarten Sie denn von der Koalition aus ÖVP, SPÖ und Neos? Zuletzt hatte das Thema Klimaschutz ja nicht gerade politische Konjunktur. Kommt das Verbot der Gasthermen?

Die Energiewirtschaft ist ein langfristiges Geschäft. Ich kann mich nicht daran orientieren, was politisch gerade Konjunktur hat. Sehen Sie sich den Ausbau der Wasserkraft nach dem Zweiten Weltkrieg und nach der Zwentendorf-Abstimmung an. Dieser Wasserkraft-Ausbau war damals wahnsinnig umstritten. Kraftwerke, die heute die großen Cash-Cows sind, wurden damals als viel zu teuer kritisiert. Was die Energiewirtschaft auszeichnet, ist Langfristigkeit. Wir können nicht in politischen Zyklen denken, sondern müssen uns überlegen, was richtig ist. Und rauszugehen aus dem Erdgas ist ein richtiger Schritt. Das trägt zur Preisstabilität bei, und es trägt zur Versorgungssicherheit bei.

Apropos Preise: Die Wettbewerbshüter und die E-Control beklagen, dass die Preisgestaltung bei der Fernwärme völlig intransparent ist. Was erwidern Sie dieser Kritik?

In Wien ist das ganz genau im Preisgesetz geregelt. Es gibt eine Behörde, die prüft, wie unsere Kostenstruktur aussieht, und dann einen Preisbescheid erlässt, an den wir uns halten müssen. Das ist ein langwieriges Verfahren und keine Festsetzung nach Gutdünken. So ist das in Wien und manchen anderen Städten. Bei vielen kleinen Anbietern gibt es das allerdings nicht.

Mit dem Jahreswechsel fallen im Energiebereich alle Krisenhilfen gleichzeitig weg. Die Energierechnungen werden um etliche Hundert Euro im Jahr höher ausfallen. Wie erklären Sie den Kunden, dass das eigentlich nichts mit Ihnen zu tun hat?

Ein typischer Wiener Kunde mit 2000 kWh Verbrauch im Jahr wird ungefähr 23 Euro pro Monat mehr für Strom bezahlen müssen. Das Auslaufen der Strompreisbremse tut unseren Kunden nicht besonders weh, weil unsere Preise schon jetzt nahe am Deckel von zehn Cent je Kilowattstunde liegen. Ob es aber klug ist, zusätzlich zum Auslaufen der Strompreisbremse auch die Ökostromabgabe und die Energieabgabe gleichzeitig zu erhöhen, müssen die Politiker beantworten.

Ein Thema sind auch die steigenden Netzkosten vor allem in Ostösterreich, wo die meisten Erneuerbaren gebaut werden. Sollen die Stromkunden im Westen den Ausbau mitfinanzieren?

Wichtig wäre zunächst, dass lokal erzeugte Energie auch lokal verbraucht wird. Es ist also notwendig, dass die Menschen nur so viel Solarenergie erzeugen, wie sie selbst verbrauchen oder speichern können. Und ja, wir brauchen auch eine fairere Verteilung der Netzkosten. Aber da halte ich nicht die geografische Verteilung für den wesentlichsten Punkt, sondern die Gebühren müssten leistungsabhängig sein, damit jene Kunden mehr bezahlen, die den Netzausbau wirklich notwendig machen. Es war sicher ein Versäumnis der letzten Jahre, dass man immer nur über einzelne Aspekte der Energiepolitik gesprochen hat. Entweder Umweltschutz oder Leistbarkeit oder Versorgungssicherheit. Oder wir haben nur über den Erneuerbarenausbau geredet und die Netze außer Acht gelassen. Die Energiewirtschaft ist aber wie ein Puzzlespiel, das nur dann ein Bild ergibt, wenn man alle Teile im Blick hat.

Braucht die nächste Regierung dann also einen großen Zampano, der die Energiewende koordiniert?

Dass man mit großen Zampanos in der Politik gut fährt, bezweifle ich. Aber es braucht einen Gesamtplan, der garantiert, dass all die Puzzleteile besser ineinandergreifen, als das heute der Fall ist.

Zur PersonMichael Strebl wurde 1964 in Salzburg geboren. Er studierte Betriebswirtschaft und Technische Physik in London, Graz, Linz und Wien. Seit 2016 führt er die stadteigene Wien Energie.

von Matthias Auer

Die Presse