Gas. Der Stopp des Gastransits durch die Ukraine wirkte sich bereits am ersten Handelstag 2025 negativ auf Europa aus. Die Vorräte sinken rasant. Und eine von Ukraines Präsident Selenskij geäußerte Hoffnung geht wohl an der Realität vorbei.
Die europäischen Gaspreise kletterten am ersten Handelstag des Jahres, da sich die Region auf eisige Wintertemperaturen ohne die wichtigen Lieferungen von russischem Gas über die Ukraine einstellte.
Die Benchmark-Preise für den aktuell gehandelten Kontraktmonat stiegen gestern um bis zu 4,3 Prozent auf 51 Euro pro Megawattstunde und damit auf den höchsten Stand seit Oktober 2023. Die russischen Gaslieferungen in die Ukraine waren am Neujahrstag eingestellt worden, nachdem ein Transitvertrag zwischen den beiden Staaten ausgelaufen war und es keine Alternative gegeben hatte. Obwohl dieser Schritt nach monatelangem Gerangel erwartet worden war, muss Europa immer noch etwa fünf Prozent seines Gases ersetzen und ist möglicherweise stärker auf die eingelagerten Gasvorräte angewiesen, die unter die durchschnittlichen Werte für diese Jahreszeit gefallen sind.
Die Händler beobachten, ob der Ausfall der russischen Lieferungen zu einer schnelleren Entnahme aus den Speichern führen wird. Die Vorräte auf dem gesamten Kontinent sinken bereits so schnell wie seit 2021 nicht mehr, als die Gaskrise gerade erst zu entstehen begann.
Der Stopp fällt mit den Vorhersagen für Minustemperaturen in einigen Ländern zusammen, die den Heizbedarf in die Höhe treiben werden. In der Slowakei, einem der am stärksten von der Sperre betroffenen Länder, könnte das Thermometer bis Mitte Jänner auf bis zu minus sieben Grad sinken.
Einspeicherung wird teurer
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Europa in diesem Winter das Gas ausgeht, doch könnte es für die Händler schwieriger werden, die Speicher für die nächste Heizperiode wieder aufzufüllen. Die Gaspreise für den nächsten Sommer sind kürzlich über die Preise für den Winter 2025/26 gestiegen, was das Auffüllen der Vorräte teurer macht.
„Es besteht ein zunehmendes Risiko, dass die EU den Winter mit niedrigen Gasspeichern abschließt, sodass es teuer wird, diese wieder aufzufüllen“, sagte Arne Lohmann Rasmussen, Chefanalyst bei Global Risk Management.
Selenskijs Hoffnung
Für russische Pipelines nach Europa gibt es nur noch einen Weg – eine Leitung durch die Türkei, über die der Brennstoff nach Ungarn gelangt.
Mit dem Wegfall der Gasflüsse über die Ukraine wird Europa auch seine Abhängigkeit von verflüssigtem Erdgas (LNG) – auch aus Russland – verstärken. Das Land hat im vergangenen Jahr Rekordmengen an LNG in die Region geliefert und ist damit der größte LNG-Lieferant nach den USA, die vor Kurzem zwei neue Exportanlagen in Betrieb genommen haben.
Für Binnenstaaten in Mittel- und Osteuropa ist LNG aufgrund der Kosten für die Lieferung jedoch eine teure Option. Die Slowakei schätzt, dass Gasimporte aus dem Westen zusätzliche Kosten in Höhe von 177 Mio. Euro verursachen würden.
„Die Gasmärkte in Europa sind keineswegs knapp“, aber der Transport des Brennstoffs von West nach Ost ist „etwas eingeschränkt, sodass dies zu einem Preisaufschlag für die Region führen wird“, sagte Walter Boltz, Ex-Chef von E-Control und nun ein leitender Energieberater bei Baker & Mckenzie LLP.
Die Ukraine hofft, dass eine verstärkte Lieferung von Gas aus den USA und von anderen Produzenten nach Europa die Preise erträglicher machen wird, sagte Präsident Wolodymyr Selenskij am Mittwoch in einem Telegram-Post. Experten sind aber skeptisch. Europa insgesamt wird heuer nämlich stärker um LNG konkurrieren müssen, vor allem im Sommer, wenn der Energiebedarf für Klimaanlagen in Asien ansteigt.
Die wahrscheinliche Realität
„Dies wird den LNG-Markt weiter verengen“, sagte Scott Darling, Chef bei Haitong International Securities, gestern auf Bloomberg TV. „Wir glauben, dass der Markt in diesem und möglicherweise auch im nächsten Jahr angespannt sein wird. Das Angebot, insbesondere für LNG, ist knapp, und wir sehen ein größeres Aufwärtsrisiko für die LNG-Spotpreise in diesem und im nächsten Jahr.“
Die Preise stiegen übrigens bereits in Erwartung des Transitstopps durch die Ukraine an: Die europäische Gas-Benchmark lag zum Jahresende 2024 um mehr als 50 Prozent höher. (Bloomberg/red.)
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