Wien baut weiter an der anderen Energiewelt

15. Jänner 2025, Wien

Gasrohre raus, Fernwärme rein. Wien Energie investiert 2,7 Mrd. Euro in alternative Versorgung. Doch für Wohnungsmieter bleibt die Auswahl begrenzt.

Das aktuelle Rätselraten, wie die Energiepolitik einer FPÖ-ÖVP-Regierung aussehen könnte, lässt einen großen Player relativ kalt. „Die Wien Energie bleibt auf ihrem klimapolitischen Kurs“, sagt Michael Strebl, Geschäftsführer des städtischen Strom-, Gas- und Fernwärmeanbieters. Mit zwei Millionen Kundinnen und Kunden und zwölf Terawattstunden Gas ist das stadteigene Unternehmen der größte Landesversorger und der zweitgrößte Gasverbraucher Österreichs.

„Seit Jahresbeginn werden sämtliche Abnehmer ausschließlich mit Gas aus nicht russischen Quellen beliefert“, betont Strebl im Gespräch mit den SN. Die Verträge mit vier Lieferanten seien zunächst auf ein Jahr abgeschlossen, die Mehrkosten beziffert er mit einem mittleren einstelligen Millionenbetrag. „Im zweiten Schritt wollen wir ganz raus aus Gas als Energieträger.“

Das Ziel ist bekannt: Die Wärmeversorgung der Bundeshauptstadt soll 2040 zu je einem Viertel mit Tiefengeothermie, Großwärmepumpen, Müllverbrennung sowie „grünem“ Gas gelingen. Derzeit hängt die Stadt zu rund 60 Prozent an Erdgas – 600.000 Gasthermen sind noch in Betrieb –, 25 Prozent tragen die kommunalen Müllverbrennungsanlagen bei, der Rest kommt von Abwärme oder ersten Großwärmepumpen.

Der Kern der neuen Wiener Energiewelt ist der massive Ausbau des Fernwärmenetzes. Seit 2019 ist die Zahl der Abnehmer um 15 Prozent auf 470.000 gestiegen; allein im Vorjahr kamen 10.000 Haushalte dazu. Sieben innerstädtische Bezirke sollen flächendeckend mit Fernwärmeanschlüssen versorgt werden. In den anderen Bezirken sind neben Fernwärme etwa Grätzllösungen oder Wärmepumpen vorgesehen. Wo welche Optionen verfügbar sind, ist im „Wärmeplan“ der Stadt ablesbar. In den Ausbau von Fernwärme und Fernkälte sowie dezentrale Erzeugung fließen bis zum Jahr 2029 rund 260 Mill. Euro. Insgesamt werden bis dahin 2,7 Mrd. Euro investiert, eine Milliarde davon in den Ausbau von Sonnen-, Wind- und Wasserkraft und rund 800 Mill. Euro in erneuerbare Wärmeerzeugung. Mit 480 Anlagen ist der städtische Versorger bereits Österreichs größter Photovoltaikbetreiber. Installiert wird PV auch auf den Fassaden von Hochhäusern, etwa einem neuen Bürogebäude auf dem Gelände des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien.

Diese Investitionen dienten nicht nur dem Klimaschutz und der Unabhängigkeit des Standorts von Importen und politischen Strömungen, sagt Strebl, „sie stabilisieren auch die Preise und sind ein Boost für die Wirtschaft“. Das Wifo hat für Wien die Wertschöpfung errechnet, die beim Fernwärme-Ausbau besonders hoch ist.

Kurz vor Weihnachten haben die Bohrungen für das Tiefengeothermieprojekt „Deeep“ gemeinsam mit der OMV begonnen. In Aspern, am nördlichen Stadtrand von Wien, sollen die Thermalwasservorkommen rund 3000 Meter unter der Bundeshauptstadt bis 2028 erschlossen werden. „Das ist wirklich eine Jahrhundertchance“, ist Strebl überzeugt. Die beiden Voraussetzungen für solche Projekte – Heißwasserquellen und eine nahe Großstadt – gebe es europaweit nur drei Mal.

Fortsetzen will die Wien Energie die Forschung zum Beimischen und Erzeugen von Wasserstoff. Zusammen mit Rhein Energie, Siemens Energy und Verbund wurde im Sommer 2023 der Einsatz von bis zu 15 Prozent Wasserstoff im Kraftwerk Donaustadt getestet, um Erkenntnisse für die Umstellung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auf grünes Gas zu gewinnen. Auch der Elektrolyseur, der seit April beim Kraftwerk Simmering Wasserstoff erzeugt, dient dazu, Erfahrung zu sammeln und die Busflotte zu betanken. Wien werde künftig auch auf Wasserstoffimporte angewiesen sein, um das eine Kraftwerk, das 2040 noch laufen soll, umzustellen. Ohne steuerbare, flexible Kraftwerke werde die Transformation des Energiesystems nicht gelingen. Noch fehle aber eine Diskussion, wie diese finanziert werden sollen.

Das Auslaufen der Stromkostenbremse mit Jahresende 2024 hat zuletzt die Wechselzahlen steigen lassen. „Ja, wir merken das“, sagt Strebl. Wobei die Tarife der Wien Energie im unteren Mittelfeld lägen und das Gros der Kunden bis Herbst abgesichert sei. Ein Wegfall der Förderungen für den Heizungstausch hätte auch Folgen für Wien.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten