
Das Energiesystem werde wegen des nötigen Ausbaus der Netze teuer bleiben, bevor es günstiger wird, sagen Experten
Viele verstehen die Welt nicht mehr. Einerseits gibt es Stunden, in denen elektrische Energie zum Nulltarif abgegeben wird; andererseits wird die Stromrechnung trotz Sparens groß und größer. Das betrifft Industrie und Haushalte gleichermaßen, wobei letztere die Verteuerung erst mit der nächsten Jahresabrechnung so richtig spüren dürften. Bevor es besser wird, wird es schlimmer, sagen Experten – und fordern ein Einschreiten der Regierungen Europas, um den Kostenauftrieb zu dämpfen.
Der Preis für elektrische Energie, der manchmal bei null ist, wenn Windräder und Solarmodule zu viel Strom produzieren, und sehr hoch, wenn es Dunkelflaute gibt, ist nur ein Teil der Stromrechnung. 2024 beispielsweise setzten sich die Stromkosten in Österreich wie folgt zusammen: 29 Prozent entfielen auf Steuern, Abgaben und Umlagen, 28 Prozent auf die gesetzlich regulierten Netzentgelte sowie Kosten für den Messstellenbetrieb. 43 Prozent machten die Beschaffung und der Vertrieb aus. Ähnliches gilt für Gas. Kostentreiber sind die Netzkosten. Sie werden es in Zukunft noch viel mehr sein, wenn nichts geschieht.
Steuern senken
Vorschläge zur Eindämmung des Kostenauftriebs gibt es viele. Erst zu Wochenbeginn haben sich führende Vertreter von Energieunternehmen mit der Botschaft zu Wort gemeldet, Europa müsse die Steuern auf Strom senken, wenn es krisengebeutelten Industrien zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verhelfen wolle.
Ignacio Galán, Vorstandsvorsitzender des spanischen Energiekonzerns Iberdrola, sagte laut Financial Times, die EU müsse „dringend“ Maßnahmen ergreifen, um die verschiedenen Steuern und Abgaben auf Strom abzuschaffen, die sich im Laufe der Zeit angehäuft hätten. Während in den USA diese Kosten zehn Prozent der Verbraucherrechnungen ausmachten, liege der Anteil der Steuern in Spanien bei fast 40 Prozent. Die EU müsse einen Weg finden, die Steuern innerhalb Europas im Vergleich zu den USA „gleichmäßig“ zu gestalten.
Miguel Stilwell d’Andrade, Vorstandschef des portugiesischen Energieunternehmens EDP, sagte, die EU müsse „die Bestandteile der Energierechnung für die Kunden vereinfachen“. Stromrechnungen seien für Regierungen eine bequeme Möglichkeit, Steuern einzuheben, da sie nicht umgangen werden könnten.
Auslauf mit 2024
Im Anschluss an den Höhenflug der Energiepreise, mit ausgelöst durch den Ukrainekrieg vor drei Jahren, haben einige europäische Länder, darunter Österreich, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß herabgesetzt. Diese Regelung ist wie die Stromkostenbremse und der Erlass der Ökostrompauschale Ende 2024 ausgelaufen – und hat sofort zu einer Beschleunigung der Inflation geführt.
Das Problem reicht noch viel tiefer, weil der für die Energiewende notwendige Netzausbau Milliarden verschlingen wird. Schon im vergangenen Sommer hat der Dachverband Erneuerbare Energien (EEÖ) einen staatlichen Infrastrukturfonds in Kombination mit längeren Abschreibungsfristen vorgeschlagen. Die bisher praktizierte Finanzierung über Netzentgelte tauge nicht mehr und würde die Netzgebühren für Haushalte und Unternehmen verdoppeln. „Dazu brauchen wir schnellstens eine Regierung“, sagte EEÖ-Geschäftsführerin Martina Prechtl-Grundnig dem STANDARD. „Die muss den Ball aufgreifen und entsprechende Instrumente entwickeln.“
Der Standard