
Die Antwort auf die US-amerikanische Kehrtwende in die Vergangenheit kann nur der energiepolitische Blick nach vorn sein: also mehr Wind-, Sonnen- und Wasserkraft. Dafür sind bessere gesetzliche Rahmenbedingungen notwendig.
Seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wissen es alle: Europa hat sich mit der energiepolitischen Strategie der vergangenen Jahrzehnte in gefährliche Abhängigkeiten begeben. Die Fixierung auf billiges russisches Gas war bequem und günstig, strategisch aber ein kapitaler Fehler. Die Konsequenzen: hohe Energiekosten, gesellschaftliche und wirtschaftliche Turbulenzen. Jetzt müssen wir unsere Verhaltensmuster ändern. Europa darf nicht noch einmal einseitig Abhängigkeiten aufbauen – weder Richtung China bei der Photovoltaik noch Richtung USA bei LNG-Gas.
Stattdessen müssen wir die heimische Energieerzeugung massiv ausbauen und Energiezukäufe diversifizieren. Das bedeutet, massiv in die heimische Infrastruktur zu investieren. Das wäre auch ein Kickstart für den lahmenden Konjunkturmotor. Die Politik könnte diese Energietransformation als das „größte Infrastrukturpaket der Zweiten Republik“ gut verkaufen. An zukunftsfitten Erzählungen fehlt es ohnehin.
Dieser Wandel ist notwendig. Denn auch die USA, mit einem Anteil von bis zu 50 Prozent Europas wichtigster LNG-Lieferant, und nicht mehr „nur“ Russland und China arbeiten an der radikalen Stärkung ihrer nationalen Interessen. Was können wir tun? Der Industrial Green Deal der EU-Kommission ist ein wichtiger Schritt: Mehr als 100 Milliarden Euro sollen in die Energietransformation fließen, begleitet von einer dringend notwendigen Entbürokratisierung.
Ein Riese
Zu oft macht sich Europa klein. Dabei sind wir wirtschaftlich ein Riese: Mit rund 448 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung von 17 Billionen Euro ist die EU ein globaler Player. Im Vergleich dazu kommt Russland mit 142 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gerade einmal auf zwei Billionen Euro. Auf nationaler Ebene sind daher rasch Reformen nötig.
Die neue Bundesregierung hat ein Gesetzespaket angekündigt, darunter die Modernisierung des Elektrizitätswirtschaftsrechts und der Abbau von regulatorischen Hürden für erneuerbare Energien, dazu die Reduktion überlanger Genehmigungsverfahren.
Der Weg zur Dekarbonisierung führt nämlich nur über ein Mehr an Strom. Bis 2040 wird sich der Strombedarf mehr als verdoppeln – von heute 65 auf 145 Terawattstunden im Jahr. Grund dafür sind die Bereiche Verkehr und Wärme. E-Mobilität und Wärmepumpen sind richtige Entwicklungen, brauchen aber auch viel Strom.
Potenziale gibt es noch immer in der Wasserkraft, wo wir bis 2040 auf mehr als 51 Terawattstunden kommen können. Und natürlich in der Windkraft, die mit aktuell nur neun Terawattstunden dem Ausbauziel von ebenfalls von mehr als 50 Terawattstunden hinterherhinkt.
Österreich muss bis 2030 mehr als 60 Milliarden Euro in die Netzinfrastruktur und in den Ausbau der Erneuerbaren investieren. Neben der öffentlichen Hand und der E-Wirtschaft sollten wir daher auch dringend brachliegendes privates Kapital mobilisieren (können) – auch in Form von Public-Private-Partnership-Modellen. So kann man die Belastung für die Bürgerinnen und Bürger reduzieren. Gesetzliche Rahmenbedingungen gibt es dafür leider noch nicht.
Ideologische Gräben
Überhaupt braucht es einen kommunikativen Ansatz, um alle Bevölkerungsschichten bei dieser Transformation mitzunehmen.
Zuletzt hat man in Kärnten bei der fragwürdigen Formulierung der Volksbefragung zum Thema Windkraft gesehen, wie schnell ein Zukunftsthema in der Sackgasse landet. Dabei würde sich das Thema Energiezukunft dazu eignen, Brücken über ideologische Gräben hinweg zu bauen. Für die einen läuft der Umbau des Energiesystems unter dem Titel Klimaschutz. Die anderen werden demselben Konzept vielleicht eher mit dem Argument der Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und wirtschaftlichen Wehrhaftigkeit nähertreten – auch das eine Stoßrichtung, die am Ende zum Erfolg führt.
Donald Trump hat die US-amerikanische Reise in die Energievergangenheit wie immer plakativ formuliert: „Drill, baby, drill!“ Wir müssen mit einem anderen Mantra kontern: „Build, baby, build!“ Die Energiezukunft Europas und Österreichs entscheidet sich jetzt. Wenn wir heute die richtigen Entscheidungen treffen, kann die nächste Generation auf ein stabiles, resilientes und nachhaltiges Energiesystem bauen. Was es braucht, sind Mut, Pragmatismus und europäisches Selbstbewusstsein.
Leonhard Schitter ist CEO der Energie AG Oberösterreich und Vizepräsident von Oesterreichs Energie, einer Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft. Er ist seit knapp 15 Jahren in der E-Wirtschaft tätig.
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