Von Putin zu Trump: Europas neues Energie-Risiko

16. April 2025

Zumindest 15 Jahre wird Europa noch deutliche Mengen an Erdgas importieren. Fachleute warnen, dass der Plan für eine verlässliche Versorgung auf dem Weg in die Klimaneutralität bislang fehlt.

Europa steuert bei seiner Gasversorgung durch steiniges Terrain. Auf der einen Seite Russland, von dessen Lieferungen sich Europa seit dem Überfall auf die Ukraine unabhängig machen will – und dann zuletzt doch wieder mehr zukauft. Auf der anderen Seite die USA mit der erratischen Handelspolitik Donald Trumps, der das erklärte Ziel verfolgt, „die Energiedominanz der USA zu entfesseln“. Während die USA ihre Flüssigerdgasproduktion in die Höhe fahren, sorgt Europa neben dem asiatischen Raum für entsprechende Nachfrage. Längst sind neue Abhängigkeiten entstanden.
Mittlerweile bezieht Europa etwa die Hälfte seines Flüssigerdgases (LNG) aus den USA, in Deutschland sind es sogar knapp 90 Prozent. Diesen Winter erreichten die Lieferungen neue Rekordniveaus. Dabei hat das US-Frackinggas aufgrund von Methanlecks und energieintensiver Verflüssigung eine extrem schlechte Klimabilanz. Neben der Erhitzung des Klimas warnen Fachleute vermehrt auch vor einem Sicherheitsrisiko für Europa aufgrund von Abhängigkeiten. Der Alte Kontinent sei „der Willkür von autokratisch anmutenden Präsidenten“ ausgesetzt, meint etwa Jonathan Barth vom Institut Jacques Delors und dem ZOE Institute for Future-Fit Economies. Und Malte Küper vom Institut der deutschen Wirtschaft betont: „Wir müssen uns überlegen, wo wir über die kommenden 15 Jahre verlässlich und bezahlbar Erdgas herbekommen.“

LNG mit eigenen Risiken

Eine Schwierigkeit dabei ist, dass langfristige Gaslieferverträge leicht in den Konflikt mit den Klimazielen geraten. Zwischen 2040 und 2050 – je nach Land – will Europa kein CO₂ mehr ausstoßen, also auch kein Erdgas mehr verbrennen. Bis dahin werden die Mitgliedstaaten allerdings noch deutliche, wenn auch langsam sinkende Mengen an Erdgas für Industrie und Haushalte brauchen. Beim Gaseinkauf nur auf kurzfristige Verträge ohne längere Absicherung zu setzen birgt allerdings Risiken großer Preisschwankungen sowie die Möglichkeit, dass Lieferungen storniert werden.
Dass im wichtigsten Lieferland – den USA – Donald Trump an den Hebeln sitzt, sorgt in Europa für Unbehagen. Nicht zuletzt, weil erwartet wird, dass die USA ihre Marktmacht weiter ausbauen. Bereits heute sind sie der weltweit größte Exporteur und planen, das Volumen in den kommenden Jahren noch massiv zu steigern. Prognosen gehen davon aus, dass die Exportkapazität bis 2028 im Vergleich zu 2024 um etwa weitere 80 Prozent in die Höhe klettern wird.

Unsicherheiten bremsen

Europa stecke tief in einem Dilemma zwischen Versorgungssicherheit und Klimazielen, schreibt Jacopo Maria Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Analyse. So habe der LNG-Markt, in dem Europa Alternativen zu Pipeline-Gas aus Russland gesucht hat, nur bedingt für Versorgungssicherheit und Flexibilität gesorgt. Stattdessen sei der globale LNG-Markt heute geprägt durch Volatilität, die derzeit wachsende Marktmacht der USA sowie geopolitische Spannungen. In diesem Umfeld stehe Europa als energie- und klimapolitischer Akteur heute schwach da, meint Pepe. Wie also weiter?

Ein Plan für die Gasversorgung der kommenden 15 Jahre müsse zwei Punkte abdecken, argumentiert Küper vom Institut der deutschen Wirtschaft: Erstens sei die Wirtschaftlichkeit der Gaslieferungen entscheidend. Industrien in Europa müssten vor den enormen Kostennachteilen geschützt werden. Wettbewerbsfähige Gaspreise seien entscheidend. Schließlich bleibe Erdgas auf absehbare Zeit einer der wichtigsten Energieträger der Industrie. In Deutschland sei die von der künftigen Koalition geplante Abschaffung der Gasspeicherumlage – eine zusätzliche Abgabe auf Verbraucherseite von 2,99 Euro pro Megawattstunde – ein wichtiger Schritt. „Darüber hinaus sollte sich Europa stärker gemeinsam gegen die Risiken des globalen LNG-Marktes absichern – etwa durch eine stärkere Priorisierung langfristiger Verträge und eine konsequente Diversifizierung der Herkunftsländer.“

Zweitens müsse der Einsatz von Alternativen stärker vorangetrieben werden. Haushalten müsse so schnell wie möglich die Option gegeben werden, aus Erdgas auszusteigen – es gelte etwa, Fernwärmenetze auszubauen und Wärmepumpen zu fördern. Für die Industrie müsse die nötige Elektrifizierung unterstützt und die Wasserstoffproduktion hochgefahren werden. „Derzeit gibt es zu viel Unsicherheit im Markt. Es ist für Unternehmen schwer, Investitionsentscheidungen zu treffen“, so Küper. Ein umfassender Plan für die fossile Gasversorgung müsse die Entwicklung der klimafreundlichen Alternativen klar aufzeigen.

Außerdem müsse sich Europa seiner Stärken bewusster werden, ergänzt Barth vom Institut Jacques Delors. „In der neuen geopolitischen Situation kann es sich als sicherer Hafen für Investitionen und Unternehmen mit verlässlichen Rahmenbedingungen und als verantwortungsvoller Partner für saubere Technologien und Kooperation positionieren“, so der Ökonom.

Der Standard