Der lange Weg zur Wasserstoffnation

22. Mai 2025

Österreich hat bei Wasserstoff große Ziele. Die ersten Pilotprojekte laufen. Doch noch stecken heimische Produktion und Import in den Kinderschuhen.


Erst im Frühjahr hat die OMV das Ende ihrer fünf Wasserstofftankstellen zwischen Wien und Innsbruck bekannt gegeben. Die Nachfrage ist einfach zu gering, da es nach wie vor kaum wasserstoffbetriebene Fahrzeuge in Österreich gibt. Nur rund 60 Pkw fahren hierzulande mit H₂. Während im Individualverkehr die Elektromobilität klar die Nase vorn hat, ruhen im Schwerverkehr und vor allem in der Industrie weiter viele Hoffnungen auf Wasserstoff. Das Gas gilt als entscheidend, um energieintensive Prozesse zu dekarbonisieren. Vorausgesetzt, der Wasserstoff wird mit grünem Strom produziert. Dadurch eignet sich H₂ auch, um überschüssigen Strom aus Wind und Sonne langfristig zu speichern.


Produktion erst in kleinen Mengen
Aktuell sind erst zehn Elektrolyseanlagen mit einer Anschlussleistung von 18,2 Megawatt (MW) in Österreich in Betrieb. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 die Installation von einem Gigawatt (GW) Elektrolyseleistung zu erreichen. Unter Annahme eines Betriebs von rund 5.000 Volllaststunden im Jahr könnte mit einem GW Elektrolyseleistung der aktuelle industrielle Bedarf an grünem Wasserstoff in Österreich gedeckt werden, der bisher noch weitgehend mit Erdgas produziert wird. Bei einem Wirkungsgrad von 70 Prozent könnten damit etwa 3,5 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff erzeugt werden. Eine Umfrage der für das heimische Gasnetz zuständigen Austrian Gas Grid Management unter österreichischen Großabnehmern ergab hingegen einen Wasserstoffbedarf von zwölf TWh im Jahr 2030, und im Jahr 2040 bereits 47 TWh. „Wir sind vom gesteckten Ziel im Jahre 2030 noch weit entfernt. Hier wird es starke Bemühungen vonseiten der Politik und Wirtschaft brauchen, um auch nur einen Teil des künftigen Wasserstoffbedarfs zu decken. Klar ist, dass in Zukunft der größte Teil des Bedarfs durch Importe gedeckt werden muss“, meint man im Innovationsministerium. Dieser Umstand wird sich auch durch günstigeren Wasserstoff aus Ländern mit besseren Produktionsbedingungen ergeben. Hier sind Länder mit mehr Sonnenstunden wie Spanien, Portugal oder Staaten in Nordafrika im Vorteil. Österreich wird bei der Produktion von Wasserstoff immer einen Standortnachteil haben. Dies bestätigt auch Verbund-Chef Michael Strugl und bezieht sich auf die enorme Strommenge, die für die Wasserstoffproduktion benötigt würde: „Bei Deckung des Bedarfs durch inländische Wasserstoffproduktion würde dies einen zusätzlichen erneuerbaren Strombedarf von ca. 70 TWh hervorrufen, was dem gesamten heutigen Strombedarf Österreichs entspricht.“
Die Bundesregierung will im neuen Regierungsprogramm (2025 bis 2029) Wasserstoff als zentrale Zukunftstechnologie etablieren. Neben der Erarbeitung einer Importstrategie und dem Aufbau einer Wasserstoff -infrastruktur mit Kernnetz und Speichermöglichkeiten ist geplant, bestehende Gasinfrastruktur für Wasserstoffnutzung umzuwidmen. Die Politik fördert laut Innovationsministerium zudem Wasserstoffanwendungen im Verkehrsbereich und setzt auf eine Fortführung der Industrieförderschienen zur Dekarbonisierung. Maßnahmen zur Senkung der Energie preise und mehr Planungssicherheit für die Industrie sind vorgesehen. Parallel soll die Forschungsquote erhöht werden, um Innovation und Technologieführerschaft im Wasserstoffbereich zu stärken.
Die Pionierprojekte
Was konkrete Produktionsanlagen von Wasserstoff in Österreich anbelangt, so gibt es bereits einige Unternehmen, die Investitionen getätigt haben. In Oberösterreich arbeitet der Verbund gemeinsam mit LAT Nitrogen am Projekt „Green Ammonia Linz“. Dabei kommt grüner Wasserstoff bei der Herstellung von Düngemitteln, Melamin und technischen Stickstoffprodukten im Chemiepark Linz zum Einsatz. Ziel des Projekts ist es, rund zehn Prozent des derzeit verwendeten fossilen Wasserstoffs durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. „Das Projekt spart bis zu 90.000 Tonnen CO₂ pro Jahr. Es dient als Vorbild für zukünftige Projekte und schafft wichtige Erkenntnisse für den großskalierten Einsatz von grünem Wasserstoff“, ist Verbund-CEO Strugl überzeugt. Bereits seit 2019 läuft in Linz bei der Voestalpine ein Versuchsprojekt mit Verbund und Siemens, um grünen Wasserstoff für die Stahlproduktion zu erzeugen. Der Elektrolyseur hat sechs MW Leistung.
Das ist winzig im Vergleich zu dem, was Verbund und Burgenland Energie in Nickelsdorf planen. Dort soll eines der größten Wasserstoffprojekte Europas entstehen. Bis 2030 wollen die beiden Energieunternehmen rund 400 Millionen Euro in den Aufbau einer Elektrolyseanlage investieren, die zunächst mit einer Leistung von 60 MW in Betrieb gehen und später auf 300 MW erweitert werden soll. Ab 2030 sollen damit jährlich bis zu 40.000 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden – das entspricht rund einem Drittel des aktuellen österreichischen Wasserstoffbedarfs.
Die größte Elektrolyseanlage Österreichs mit einer Leistung von zehn MW wurde im April in der Raffinerie Schwechat von der OMV eröffnet. Sie soll jährlich bis zu 1.500 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren und bis zu 15.000 Tonnen CO₂ einsparen. Als Nächstes plant die OMV eine deutlich größere Anlage in Bruck an der Leitha mit bis zu 140 MW Leistung. In der ersten Ausbaustufe könnten damit bis zu 150.000 Tonnen CO₂ pro Jahr vermieden werden. Die Investitionsentscheidung soll 2025 fallen, der Betrieb ist ab Ende 2027 geplant.

Neben der Produktion von Wasserstoff wird auch dessen großvolumige und langfristige Speicherung erprobt. Beim Projekt „Underground Sun Storage“ wird unter Leitung der EVN-Tochter RAG erstmals die saisonale Speicherung von Wasserstoff in einer ehemaligen Erdgaslagerstätte in Oberösterreich getestet.


Wasserstoff aus Nordafrika
Aufgrund von günstigeren Produktionsbedingungen in südlicheren Ländern sowie geringeren Kapazitäten der heimischen Wasserstoffproduktion wird ein großer Teil des österreichischen Wasserstoffbedarfs auch in Zukunft durch Importe gedeckt werden müssen. Dabei ist laut Innovationsministerium nur der Transport über Pipelines wirtschaftlich sinnvoll, weil die Kosten für die Verschiffung aus Ländern mit ultrabilligen Produktionsbedingungen wie etwa Chile zu hoch sind. Deshalb werden vor allem Länder wie Spanien und Portugal, aber auch Algerien und Tunesien ihren Wasserstoffmittels Pipeline in die nördlicheren EU-Staaten exportieren.


Ein bedeutender Schritt für die europäische Wasserstoffwirtschaft erfolgte im Jänner 2025 mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zum SoutH2-Corridor in Rom. Dabei handelt es sich um eine 3.300 Kilometer lange Wasserstoffpipeline von Nordafrika bis nach Süddeutschland. Österreich, Deutschland, Italien, Algerien und Tunesien arbeiten für das Projekt zusammen. Die Inbetriebnahme der Verbindung ist rund um das Jahr 2030 geplant. Ziel des Projekts ist es, große Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff sowie die notwendige Infrastruktur zu errichten, um den Wasserstoff aus Nordafrika nach Europa zu transportieren. Dafür werden überwiegend bestehende Erdgaspipelines für den Wasserstofftransport ertüchtigt.

Der SoutH2-Corridor soll einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Energiewende leisten und die Versorgungssicherheit sowie die Erreichung der Klimaziele stärken. Auch der Verbund selbst investiert in die Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens, auch MENA-Region genannt: „Die Region verfügt über ausgezeichnete Photovoltaik- und Windressourcen und hat damit großes Potenzial für die Produktion von grünem Strom und folglich grünem Wasserstoff. Die geografische Nähe zu wichtigen Energiemärkten in Europa, Asien und Afrika macht sie zu einem idealen Knotenpunkt für den Export von grünem Wasserstoff“, erklärt Michael Strugl.


Österreich als Drehscheibe
Durch den Mix aus eigener Produktion und internationalen Partnerschaften wird angestrebt, bei Wasserstoff eine Versorgungssicherheit auch in Zeiten globaler Krisen zu gewährleisten. Die starken Abhängigkeiten von nur wenigen Ländern wie bei Erdgas will man bei Wasserstoffvermeiden.
Der Standort Österreich könnte seine Funktion als wichtige Drehscheibe ähnlich wie bei Erdgas auch im Bereich Wasserstoffbeibehalten, hofft man im Innovationsminis -terium: „Die deutsche Industrie ist ebenfalls stark an Importen aus südlich gelegenen Produktionsländern interessiert, weshalb Österreich auch in Zukunft ein strategisch wichtiger Knotenpunkt für Wasserstoffimporte aus dem Süden sein wird.“

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