
Die EU-Kommission will die Vorgaben dafür verschärfen, wann Wasserstoff als „kohlenstoffarmer“ Energieträger gilt. Die Branche warnt, dass der grüne Umbau der Industrie dadurch verzögert würde.
Die EU-Kommission sorgt mit einer neuen Wasserstoff-Vorgabe für Aufruhr. Sie definiert, wie viele CO2-Emissionen Wasserstoff maximal verursachen darf, um noch als „kohlenstoffarm“ zu gelten, damit Unternehmen dafür Subventionen erhalten.
Noch ist die neue Vorgabe nicht in Kraft getreten. Der Entwurf kursiert aber bereits. Unternehmen und Politiker befürchten, dass sich die Wasserstoff-Technologie so nicht durchsetzen kann.
Wasserstoff ist notwendig als Ersatz für fossile Brennstoffe, damit energieintensive Industrieunternehmen wie etwa Stahlhersteller klimafreundlich produzieren können. Diese Umstellung scheint jetzt gefährdet.
Auf dem Handelsblatt Wasserstoff-Gipfel in Saarbrücken sagte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) mit Blick auf die EU-Vorgabe: „Das wird uns in der Entwicklung in Europa hemmen.“ Es verbiete sich, jetzt einen Flaschenhals zu schaffen.
Im Saarland wird laut Rehlinger die Hälfte des gesamten CO2-Ausstoßes allein durch die Stahlindustrie verursacht. Es sei deshalb entscheidend, deren Emissionen zu senken.
Auch die Co-Chefin der Energieverbands BDEW, Kirsten Westphal, sprach sich beim Wasserstoff-Gipfel dafür aus, dass der EU-Entwurf noch einmal überarbeitet wird. Mit den vorgeschlagenen Grenzwerten für CO2sei die Wasserstoffproduktion zu teuer: „Es ist ja absurd. Je höher wir die Grenzwerte ziehen, desto mehr müssen wir subventionieren“, sagte Westphal.
Beim norwegischen Energiekonzern Equinor hieß es, es bestehe das Risiko, dass „Investitionen in Europa blockiert und die Energiewende in der EU insgesamt verzögert“ werde. In einem dem Handelsblatt vorliegenden internen Vermerk eines deutschen Unternehmens der Gasbranche heißt es, die Pläne der EU-Kommission seien „ein Beispiel dafür, wie wir uns in der EU kaputtregulieren und selbst ins Bein schießen“.
Wasserstoff ist ein zentraler Baustein für die Energiewende. Er kann fossiles Erdgas ersetzen und so für den klimaschonenden Umbau der Industrie eine entscheidende Rolle spielen. Voraussetzung dafür ist aber, dass er „kohlenstoffarm“ ist, also wenige Emissionen verursacht.
Laut EU-Gasmarktregulierung aus dem Jahr 2024 galt Wasserstoff bislang dann als „kohlenstoffarm“, wenn er im Vergleich zu konventionellem Erdgas 70 Prozent weniger Treibhausgasemissionen verursacht. Nun allerdings liegt ein sogenannter delegierter Rechtsakt vor, dessen Entwurf Ende April publik wurde. Darin setzt die Europäische Kommission die Annahmen für die Methan-Emissionen bei der Erdgasförderung höher an als in früheren Fassungen. Dadurch erhöhen sie die Hürden für blauen Wasserstoff. Jens Geier, SPD-Abgeordneter im europäischen Parlament, sagte beim Wasserstoff-Gipfel: „Aus der Branche höre ich, dass dieser delegierte Rechtsakt so gebaut ist, dass er die Produktion und den Import von blauem Wasserstoff unmöglich macht. Das werden wir nicht hinnehmen.“
Klimaschützern geht die Verschärfung der EU indes noch nicht weit genug. Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe sagte: „Aus unserer Perspektive verfehlt der Entwurf sein Ziel, sogenannte ‚kohlenstoffarme Brennstoffe‘ so zu definieren, dass ihr Einsatz tatsächlich zu signifikanten Emissionsminderungen führt.“ In einer Stellungnahme des Branchenverbands „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft“ heißt es, selbst bei fast vollständiger CO2-Abscheidung seien die gesetzten Treibhausgasgrenzwerte nicht zu erreichen. Equinor warnt: Wenn die EU-Kommission ihre Pläne nicht ändere, „werden Investitionsentscheidungen, die für die industrielle Transformation von entscheidender Bedeutung sind, nicht getroffen, und die Modernisierung und Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie in Europa wird längere Zeit benötigen.“
Dass die Meinungen über die neue EU-Regelung so weit auseinandergehen, liegt auch an einer grundsätzlich unterschiedlichen Herangehensweise: Klimaschützer sehen blauen Wasserstoff grundlegend kritisch. Sie favorisieren grünen Wasserstoff. Bei der Produktion von grünem Wasserstoff entsteht kein CO2, da er durch Elektrolyse hergestellt wird. Dabei wird Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Der Strom für den Betrieb der Elektrolyseure kommt aus erneuerbaren Quellen.
Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Teresa Ribera, sagte auf dem Handelsblatt Wasserstoff-Gipfel: „Grüner Wasserstoff steht für eine Transformationschance, nicht nur für unser Energiesystem, sondern auch für die Industrie und eine innovative Gemeinschaft.“ Allerdings müssen Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff erst noch entstehen. Bislang gibt es ihn erst in geringen Mengen. Blauer Wasserstoff hingegen könne sehr schnell zur Verfügung stehen, argumentieren dessen Befürworter. Er sei daher ideal, um den schnellen Aufbau einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke sagte auf dem Gipfel: „Wir dürfen uns nicht auf dem Weg zu einer Konkurrenzfähigkeit im Weltmarkt mit den schönsten grünen Projekten selbst aus dem Markt schießen.“
Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft“, sagte dem Handelsblatt, die Pläne der EU-Kommission kämen einer energiepolitischen Selbstblockade gleich. „Wer Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit verbinden will, muss möglichst viele Werkzeuge zur CO2-Reduktion ermöglichen.“
Kehler appelliert an die neue Bundesregierung, sich des Themas anzunehmen. Das Bundeswirtschaftsministerium hält sich jedoch bedeckt. Man prüfe den Entwurf zurzeit und könne ihn nicht kommentieren, sagte eine Sprecherin. Zuvor hatte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) signalisiert, dass sie sich beim Thema Wasserstoff eine weniger strenge Regulierung wünscht: „Wir brauchen hier mehr Pragmatismus“, hatte sie im Interview mit dem Handelsblatt gesagt. „Sonst haben wir den Markt schon durch Überregulierung abgewürgt, bevor er überhaupt entstehen kann.“
Seit Monaten kritisieren Teile der Branche auch die Regulierung für grünen Wasserstoff als zu streng. Sie sieht vor, dass der Strom für die Wasserstoff-Elektrolyse nicht aus bestehenden Wind- oder Photovoltaikparks stammt, sondern in Anlagen produziert wird, die neu errichtet wurden (Kriterium der „Zusätzlichkeit“). Grund dafür ist, dass dem Strommarkt kein Grünstrom entzogen werden soll, der dann wieder durch Strom aus Kohle oder Gas zu ersetzen wäre.
Außerdem muss der Vorgang der Wasserstoff-Elektrolyse zeitlich eng mit der Stromerzeugung aus den erneuerbaren Anlagen zusammenhängen (Kriterium der „Gleichzeitigkeit“). Das soll das Stromnetz entlasten.
Blauer statt grüner Wasserstoff?
Aus Sicht von Michael Strugl, Vorstandschef des österreichischen Energieunternehmens Verbund AG, geht das zu weit: „Wenn man allein der reinen Lehre folgen will, sind die Kriterien der EU-Regulierung gut und richtig – wir wollen grünen Wasserstoff, und wir wollen ihn aus zusätzlichen Erzeugungskapazitäten haben. In der Praxis führen sie jedoch dazu, dass der Wasserstoffhochlauf kompliziert und teuer wird“, sagte Strugl dem Handelsblatt. Investitionszurückhaltung sei die Folge.
Strugl, dessen Unternehmen sich beim Thema Wasserstoff ganz auf grünen Wasserstoff konzentriert, hat Verständnis für die Kritik an der geplanten Regulierung zur Definition von blauem Wasserstoff. „Ich kann nachvollziehen, dass viele Akteure zunächst auf blauen Wasserstoff setzen wollen“, sagte er. Perspektivisch werde sich grüner Wasserstoff durchsetzen. „Für die Übergangsphase erscheint mir blauer Wasserstoff jedoch akzeptabel“, sagte Strugl.
Weltweit sind nach Branchenangaben derzeit 20 Projekte zur Produktion von blauem Wasserstoff in Betrieb, mit einer Produktionskapazität von etwa 19 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff pro Jahr. Bis zum Jahr 2030 sind weitere 147 Projekte angekündigt, sodass die Produktionskapazität auf über 500 TWh pro Jahr ansteigen könnte. Zur Einordnung: In der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung wird für das Jahr 2030 ein Wasserstoffbedarf in Deutschland von etwa 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) prognostiziert.
Handelsblatt