Milliardenpotenzial liegt brach

22. Mai 2025

Die Politik setzt auf eine altbekannte Strategie. Das ist ein Fehler.


Der deutsche Energiemarkt braucht einen Systemwechsel. Während deutlich mehr als die Hälfte des Stroms schon von grünen Technologien kommt, wird in Deutschland immer noch in Kraftwerken gedacht. Das ist nicht nur ein Fehler, weil es Geld kostet, sondern weil es die Versorgungssicherheit gefährdet.


Seit Jahrzehnten hat die Stromversorgung so funktioniert, dass große Kraftwerke immer dann Strom produzieren, wenn er gebraucht wird. Stetig und verlässlich. Bei mehr als vier Millionen Solaranlagen und Zehntausenden Windrädern läuft das allerdings etwas anders. Strom wird nur produziert, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Warum dann nicht alles beim Alten lassen, könnte man jetzt fragen.


Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist teuer, es schadet dem Klima und damit auch den Menschen und es ist längst überholt. Das hier wird kein Plädoyer gegen die Energiewende – ganz im Gegenteil.
Deutschland war lange Vorreiter in Sachen Ökostrom. Aber wenn es darum geht, das System den neuen Anforderungen anzupassen, wird meist nur auf die Herausforderungen verwiesen, anstatt über Lösungen zu diskutieren.


Die Folgen sind Rekordstrompreise, hohe Kosten, um die schwankende Erzeugung von Wind und Solar auszugleichen, und überlastete Netzbetreiber, die mit dem Ausbau längst nicht mehr hinterherkommen.
Dabei könnten Nutzer von Elektroautos, Speichern und Solaranlagen das Problem zu einem großen Teil selbst lösen. Sie sind zusammengeschlossen schon bald doppelt so schlagkräftig wie die alten Meiler. Ein riesiges grünes Kraftwerk. Dieses Kraftwerk muss nur richtig gesteuert werden. Dann könnte die Bundesrepublik Milliarden sparen.
Zum Beispiel, wenn man Millionen von Solaranlagen und Speichern einsetzt, um Netzschwankungen auszugleichen. Und Verbraucher lernen, eher dann Strom zu nutzen, wenn er günstig und verfügbar ist, nicht wenn er teuer und knapp wird.

Dafür müssten grüne Haushalte aber erst einmal erfasst werden mithilfe von Smart Meter Gateways, also intelligent kommunizierenden Stromzählern. Hier hinkt Deutschland anderen Ländern massiv hinterher.
Außerdem braucht es finanzielle Anreize: Nutzer könnten für ihr flexibles Verhalten mit niedrigeren Netzentgelten belohnt werden, Privathaushalte wie Industrieunternehmen.


Es wird auch dann noch Gaskraftwerke brauchen, die zu gewissen Zeiten einspringen. Als Reserve. Aber das alleine reicht nicht. Der Systemwechsel ist längst überfällig. Das zeigt schon der Blick auf die Stromrechnung.
Kathrin Witsch leitet das Team Klima und Energie. Sie erreichen sie unter: witsch@handelsblatt.com

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