Wirtschaft warnt vor Scheitern

22. Mai 2025

Im Wirtschaftsministerium fürchtet man eine Blockade in Brüssel. Industrievertreter fordern rasch Klarheit.
Die deutsche Industrie warnt vor einem möglichen Scheitern des geplanten Industriestrompreises. „Die im internationalen Vergleich zu hohen Strompreise sind eine enorme Belastung für uns“, sagte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, dem Handelsblatt. „Die Entlastung gerade auch energieintensiver Industrieunternehmen im internationalen Wettbewerb ist essenziell“, erklärte Holger Lösch, Vize-Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI.


Das Handelsblatt hatte am Dienstag über das mögliche Scheitern des Plans von Union und SPD berichtet, der Industrie durch einen günstigeren Strompreis zu helfen. Fachleute aus dem Ministerium hatten der neuen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) ein Konzept für den Industriestrompreis vorgelegt und darin deutlich vor Risiken mit Blick auf die notwendige Genehmigung durch die Europäische Kommission gewarnt.
„Die Umsetzung des Konzeptes birgt EU-beihilferechtlich erhebliche Herausforderungen“, hieß es in dem internen Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt. In Brüssel seien „die Vorbehalte erheblich und die Aussichten auf eine Genehmigung höchst unsicher“. Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die in Schwierigkeiten geratene energieintensive Industrie zu unterstützen. Das in dem internen Dokument beschriebene Konzept sieht als eine Option einen Industriestrompreis in Höhe von fünf Cent je Kilowattstunde vor. Bis Ende 2030 würde dies den Bund rund zehn Milliarden Euro kosten.


Industrievertreter Lösch forderte Brüssel auf, „die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch niedrigere Energiekosten“ zu ermöglichen. Stahl-Lobbyistin Rippel sieht vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. „Das EU-Beihilferecht spielt dabei eine Rolle“, sagte sie. „Aber vor allem kommt es auf den politischen Willen des Mitgliedstaats an.“ Frankreich mache seit Jahren vor, dass ein Industriestrompreis umsetzbar sei, Italien arbeite ebenfalls erfolgreich daran.
Doch die Beamten im Wirtschaftsministerium rechnen damit, dass der Industriestrompreis nicht nur genehmigt werden muss, sondern dass dafür auch eine Änderung des gesamten EU-Beihilferahmens nötig ist. Das Beihilferecht setzt den EU-Mitgliedstaaten im Sinne eines fairen Wettbewerbs untereinander enge Grenzen für staatliche Wirtschaftshilfen. Es sind jedoch auch Ausnahmen möglich. Die Kommission ist derzeit dabei, den Beihilferahmen anzupassen. Die Konsultation dazu ist allerdings bereits abgeschlossen, die neue Version soll im Juni angenommen werden. Wirtschaftsministerin Reiche könnte versuchen, nachträgliche Änderungen durchzusetzen.


Die Opposition kritisiert, dass Union und SPD den knappen Zeitrahmen zu spät berücksichtigt haben. Es sei „dilettantisch, dass die Merz-Regierung bei ihren Koalitionsverhandlungen über den Industriestrompreis offenbar das europäische Beihilferecht nicht ausreichend mitgedacht hat“, sagte Grünen-Parteichefin Franziska Brantner dem Handelsblatt. Die Bundesregierung müsse nun rasch das Gespräch mit der EU-Kommission und den Partnerländern suchen.

Manche Ökonomen warnen indes vor der Einführung eines Industriestrompreises. „Deutschland wird auch zukünftig relativ hohe Strompreise haben, da in anderen Ländern mehr Sonne scheint und mehr Wind weht“, sagte Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Energieintensive Industrien würden es daher in Deutschland dauerhaft schwerer haben. „Ein Industriestrompreis sollte nicht zum Ziel haben, diese Industrien zu schützen, da dies in eine Dauersubvention münden würde“, so Wambach. Es sei daher gut, dass die Kommission darauf achte, dass es in der EU nicht zu einem Subventionswettlauf komme.


Der Düsseldorfer Industrieökonom Jens Südekum befürwortet dagegen den Industriestrompreis. Es gehe darum, den industriellen Kern der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten und die Abwanderung von Investitionen in die USA oder nach Asien zu verhindern, sagte er. „Dieses Ziel sollte auch die EU-Kommission unterstützen.“

Handelsblatt