
Mit künstlicher Intelligenz soll die Transformation der Energiewirtschaft gelingen. Zentraler Punkt ist die Hilfestellung bei den Herausforderungen, die mit der Umstellung auf saubere, erneuerbare Energien einhergehen.
In Österreich sind Windkraft und Sonnenstrom aus dem Strommix nicht mehr wegzudenken. In konkreten Zahlen: 1451 Windkraftanlagen sorgen mit Stand Ende 2024 für eine jährliche Windstromerzeugung von 9,3 Terawattstunden (TWh) und liefern Strom für rund 2,65 Millionen Haushalte. Rund 16 Prozent des österreichischen Strombedarfs werden dadurch gedeckt. Bis 2030, so die Zielsetzung, sollen 17 TWh zusätzliche Windkraft-Leistung erzeugt werden, was einen jährlichen Zubau von mindestens 500 MW erfordern würde. Ähnlich ist die Faktenlage beim Photovoltaikausbau. Angetrieben durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) konnte 2023 ein Rekordwachstum verzeichnet werden, mit fast 2,6 Gigawatt neu installierter Leistung, was einem Anstieg von 69 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor entspricht. Bis 2040 wird in Österreich ein Strombedarf von 140 TWh erwartet, wovon 41 TWh allein durch Photovoltaik gedeckt werden sollen.
Der Ausbau der Erneuerbaren schreitet voran und bringt das Land seinen umweltpolitischen Zielen näher. So weit die gute Nachricht. Damit einher geht allerdings ein Problem. Seit dem Beginn der Elektrifizierung waren Stromnetze darauf ausgelegt, dass es große, zentrale Energieproduzenten gibt. Von dort wurde Strom in eine Richtung zu den Abnehmern transportiert. Jetzt werden diese Abnehmer immer öfter zu Produzenten und Strom muss auch in die andere Richtung transportiert werden. Für die Netze bedeutet der Wandel von Consumern zu Prosumern eine enorme Herausforderung. Die Einbahnstraße Stromnetz muss so rasch wie möglich ausgebaut werden, um in Zukunft auch den Gegenverkehr bewältigen zu können.
„Die Stromnetze sind das Rückgrat eines erneuerbaren und sicheren Energiesystems“, erklärt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, und betont den Flexibilitätsbedarf, sprich die Möglichkeit, elektrische Energie zeitlich zu verlagern. „Die Strommengen, die wir vom Sommer in den Winter und von einer Woche in die nächste verschieben müssen, werden sich etwa verdoppeln. Die Energie, die vom Tag in die Nacht verlagert werden muss, sogar vervierfachen“, so Schmidt. Die Verteilernetze -also jene Teile des Stromnetzes, über die die regionale und lokale Stromversorgung läuft – spielen dabei eine zentrale Rolle. Hier sollen in den kommenden Jahren zahlreiche PV-Anlagen, Windkraftwerke, Ladestellen, Batterien und Elektrolyseure angeschlossen werden.
KI in der Netzleittechnik
Fest steht: Die Transformation des Stromnetzes erfordert eine moderne und leistungsfähige Netzleittechnik zur Bewältigung der zunehmenden Komplexität der Stromnetze. Als Teil der kritischen Infrastruktur sorgt die Netzleittechnik dafür, dass die Abstimmung zwischen Stromeinspeisung und -verbrauch möglichst reibungslos erfolgt. Systeme der künstlichen Intelligenz kommen bei dieser Aufgabe eine zentrale Bedeutung zu. Sie können Unmengen an Daten erfassen, analysieren und Entscheidungshilfen bereitstellen – egal, ob es um die Prognose der Leistung aus Photovoltaikanlagen geht, den Stromverbrauch zu einer bestimmten Tageszeit oder um das Erkennen potenziell kritischer Zustände.
„Künstliche Intelligenz erweitert den Werkzeugkasten für Entscheidungsträger“, sagt Ralf Petri, Geschäftsführer der Energietechnischen Gesellschaft VDE ETG mit Sitz in Frankfurt am Main, die im Juli 2025 ein Hintergrundpapier zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Netzleittechnik veröffentlicht hat. Vorgestellt werden darin u. a. eine Reihe von konkreten Anwendungsfällen. Die Palette reicht von der Lastenprognose, der Anomaliedetektion (Analyse von Messdaten für die Früherkennung von Fehlern), der Erkennung von Manipulationen in Messwerten oder der Zustandsschätzung in der Niederspannung zur Vermeidung von Engpässen bis hin zur Chat-basierten Unterstützung von Systemführern.
Prognose von Last und Erzeugung
Welchen konkreten Mehrwert KI-Systeme etwa bei der Vorhersage der Solar-und Windeinspeisung sowie von Lasten mithilfe von Wetterprognosen und -kameras haben, lässt sich im Detail beschreiben. „Zur Prognose der bereitgestellten Leistung einer Photovoltaikanlage (PVA) werden Daten zu Außentemperatur, globale Sonnenstrahlung, Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Luftfeuchtigkeit sowie der nominalen Leistung verwendet. Wird die PVA mit 360°-Wetterkameras ausgestattet, können sehr kurzfristige Prognosen zur bereitgestellten Leistung der Photovoltaikanlage erstellt werden“, heißt es in der VDE-ETG-Studie. Die Wetterdaten, mit denen die KI-Modelle trainiert werden, können von (lokalen) Wetterdienstleistern bezogen werden. Daten zur nominalen Leistung von PVA und dem Energiebezug von E-Kfz an Ladesäulen stehen bei den jeweiligen Betreibern zur Verfügung. Das Fazit der Studienautoren: „KI-Modelle zur Prognose von Zeitreihen, z. B. der bereitgestellten Leistung einer PVA, bieten eine höhere Genauigkeit als physikalische Modelle.“
Angriffserkennung
Großes Potenzial bietet der Einsatz von KI-Methoden beispielsweise auch bei der Angriffserkennung im Leitsystemumfeld -mit dem Zweck, den Betrieb kritischer Infrastrukturen sicherer und widerstandsfähiger gegenüber Cyberbedrohungen und technischen Fehlern zu gestalten. „Besonders dort wo automatisierte Steuerungssysteme eingesetzt werden, ist der Schutz vor Angriffen essenziell. Moderne KI-Verfahren ermöglichen die frühzeitige Erkennung von Manipulationen in Messwerten sowie bei deren Übertragung von der Feld-in die Leitebene. Durch den gezielten Einsatz von maschinellem Lernen oder Deep Learning lassen sich verdächtige Muster identifizieren, die auf fehlerhafte Sensorik oder gezielte IT-Angriffe hindeuten“, so die Studie. Dies biete eine zusätzliche Sicherheitsebene über klassische Ansätze hinaus. Ein besonders vielversprechender Ansatz sei die kombinierte Auswertung von Prozess-und Kommunikationsdaten. „Im Gegensatz zur herkömmlichen Grenzwertprüfung oder Bad-Data-Detection kann durch KI-gestützte Verfahren besser zwischen technischen Störungen und IT-basierten Angriffen unterschieden werden. So wird die Reaktionsfähigkeit auf Vorfälle verbessert und der Netzbetrieb kann robuster abgesichert werden.“ Das Fazit: „Die zunehmende Anzahl an Angriffen auf kritische Infrastrukturen sowie die zunehmende Integration von IoT-Technologien erhöht die Notwendigkeit, Kommunikationsdaten explizit in die Netzbetriebsüberwachung zu integrieren.“ Ohne Einsatz von KI, schlussfolgern die Autoren, sei eine kombinierte Auswertung von Prozess-und Kommunikationsdaten nicht sinnvoll möglich.
Smarte Inspektion
Auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz wird auch im Kraftwerksbetrieb bei der Wartung und bei Inspektionen vertraut. Beim Energieunternehmen Wien Energie etwa ist mit dem Energy Dog der europaweit erste Roboterhund im Regelbetrieb eines Kraftwerks im Einsatz. Die Rede ist von einem hochmobilen Industrieroboter, der auf vier Beinen läuft, fast einen Meter groß ist und 1,5 Meter pro Sekunde läuft. Seit 2021 ist er als Assistenzsystem für Kontrollrundgänge in den Kraftwerk-Standorten Donaustadt und Simmering unterwegs, seit dem Frühjahr 2023 ist er täglich 24 Stunden im Einsatz.
Der mit KI ausgestattete Hightech-Roboter verfügt über modernste Sensoren und Spezialkameras, führt autonome Rundgänge durch, kann dabei auch unwegsames Gelände bewältigen und erkennt Anomalien in Echtzeit. Mit Thermografiekamera, Akustiksensor und Multigasmesser ausgestattet, sammelt Energy Dog bei seinen stündlichen Inspektionsrunden präzise Daten und meldet Auffälligkeiten automatisch an die Schichtteams. „So entlastet er Mitarbeitende von Routinetätigkeiten, erhöht die Sicherheit und hilft, Gefahren frühzeitig zu erkennen. Nach jeder Runde kehrt er selbstständig zu seiner Ladestation zurück. Seine Routengänge und KI werden laufend von unseren Experten weiterentwickelt“, heißt es seitens der Verantwortlichen von Wien Energie.
Auch Drohnen kommen beim Energiekonzern verstärkt zum Einsatz. Mit Wärmebildkameras, Abstandssensoren und Lidar (steht für Light Detection and Ranging) ausgestattete Käfigdrohnen inspizieren Kamine, Brennkammern und Rohrleitungen. Ihr spezieller Schutzkäfig verhindert Beschädigungen in engen oder rauen Umgebungen.
Zudem werden Drohnen bei der Wartung von Photovoltaikanlagen eingesetzt, beispielsweise um Bewuchs zu kontrollieren und mithilfe von Infrarottechnologie defekte Paneele zuverlässig aufzuspüren. Dies geschieht beispielsweise bei der PV-Anlage am Haus des Meeres. Obwohl das Solardach in rund 60 Metern Höhe liegt, können die Module dank dieser Technologie problemlos überprüft werden. Die Inspektion erfolgt in regelmäßigen Abständen, um sicherzustellen, dass die Module einwandfrei funktionieren und keine Defekte aufweisen, die den Energieertrag beeinträchtigen könnten.
Flächen- und Personenmanagement
Eine bedeutsame Rolle kommt KI-Systemen ebenfalls beim Flächenmanagement zu, also wenn es um die Eruierung und Evaluierung geeigneter Flächen für Energieanlagen und -infrastruktur geht. „KIbasierte Lösungen können zum Beispiel anhand von Datenanalysen die Entwicklung der Vegetation abschätzen, die eventuell die Stromleitungen beeinträchtigen“, bringt der EY-Parthenon Senior Manager Yu-Hui Liu in seinem Fachartikel „Zukunft der Energiewirtschaft: Wie KI die Branche transformieren kann“ eines von vielen Anwendungsmöglichkeiten. Ein anderes Beispiel betrifft die E-Ladeinfrastruktur: „Die Auswahl attraktiver Standorte ist von wesentlicher Bedeutung. Durch den Einsatz KI-gestützter Prognosen kann das potenzielle Ladeverhalten der Kunden von verschiedenen Standorten verglichen werden und somit die Standortauswahl vereinfachen. Zudem können auch die Implikationen für das örtliche Stromnetz analysiert werden“, erklärt der Transaktionsberater für die Transformation der Energiewirtschaft.
Nicht zu unterschätzen ist laut Yu-Hui Liu die zunehmende Bedeutung von Schulungs-und Weiterbildungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden. Energieversorger werden verstärkt in die Entwicklung neuer Kompetenzen und in den Kulturwandel investieren müssen, um die Akzeptanz und das Verständnis für KI zu fördern. Dies umfasst sowohl technische als auch nicht-technische Aspekte und soll es den Mitarbeitenden ermöglichen, sich aktiv mit neuen Technologien und Lösungen auseinanderzusetzen. Denn am Ende wird der Erfolg von KI in der Energiewirtschaft von den Menschen abhängig sein, die diese Lösungen entwickeln beziehungsweise anwenden.
Intelligente Planung
Energieplanung ist wiederum das Stichwort für ein neues, von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördertes Projekt (koordiniert vom AEE – Institut für Nachhaltige Technologien), das unter dem Titel TopView firmiert. Das Projekt adressiert die Herausforderungen, vor die der Klimawandel Städte und Gemeinden stellt und die durch konventionelle Methoden oft nur unzureichend bewältigt werden können.
TopView setzt auf die Integration geoinformationsgestützter Technologien und Fernerkundungsdaten, um präzisere Datengrundlagen für Planungsprozesse zu schaffen. Dazu kombiniert das Projekt thermale Satellitenbilder und Orthofotos (verzerrungsfreie und maßstabsgetreue Abbildung der Erdoberfläche) mit automatisierter Bilderkennung. Nutzbar ist die Technologie etwa, um urbane Hitzeinseln in Städten zu identifizieren. „Durch die Analyse der Temperaturverteilungen auf großen Flächen können Bereiche mit stark erhöhten Oberflächentemperaturen erkannt werden. Dies ermöglicht eine gezielte Planung von Klimaanpassungsmaßnahmen, die Identifikation potenzieller Begrünungs-und Kühlungsmaßnahmen und es bietet eine datenbasierte Unterstützung für Städte bei der Hitzeaktionsplanung“, erklärt man beim Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen (SIR), einer der Projektpartner. Eine weitere Anwendung: Mithilfe von Fernerkundungsdaten und KI-gestützter Bildanalyse werden Gebäude automatisch erkannt und deren Dachformen klassifiziert. Dies ermöglicht die systematische Erfassung und Aktualisierung von Gebäudedaten, eine genauere Abschätzung des Solarenergiepotenzials und eine effizientere Integration in städtische Planungsprozesse. TopView nutzt KIgestützte Bilderkennung ebenfalls, um Solarkollektoren, PV-Module und andere technische Ausrüstungen auf Gebäudedächern zu erfassen. Dies führt zu einer präzisen Kartierung bestehender Photovoltaikund Solarthermieanlagen und ermöglicht eine bessere Planung und Integration erneuerbarer Energiequellen. „Mithilfe smarter Datenverarbeitung liefern wir Antworten auf zentrale Fragen der Energie-und Klimaplanung“, heißt es bei SIR. Langfristig sollen die bei TopView entwickelten Methoden die Resilienz städtischer Räume gegen klimatische Veränderungen stärken.
Die Presse