
Standort. Der EU-Klimazoll könnte zum Bumerang werden. Unternehmen fürchten Milliarden an Kosten und fordern eine Verlängerung ihrer Gratiszertifikate.
An dramatischen Worten mangelt es nicht: „Wenn die Politik nicht nachjustiert, wird das ein Aus für viele Industrien bedeuten“, warnte jüngst ein hochrangiger Unternehmensvertreter. Das Besondere daran: Das Zitat stammt nicht von einem der Konzernbosse, die in der Öffentlichkeit rasch im Verdacht stehen, Umweltvorgaben nur aufweichen zu wollen, um die eigene Bilanz aufzufetten. Mit Michael Vassiliadis rückte erstmals auch der mächtige Gewerkschaftsboss der deutschen Bergbau-, Chemie- und Energiebranchen aus, um im Gespräch mit Politico vor den Folgen eines starren Festhaltens an den Klimaplänen der EU zu warnen.
Diese sehen bekanntlich vor, dass mit erstem Jänner 2026 das europäische CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) eingeführt wird. Ausländische Unternehmen, die dann Stahl, Zement, Dünger und andere Waren in die EU importieren wollen und in deren Ländern schwächere Umweltstandards als in Europa gelten, müssen dann eine Art Klimazoll bezahlen. So weit, so gut für die hiesige Industrie, könnte man meinen.
Milliardenkosten für die Voest
Doch im Gegenzug verlieren die energieintensiven Unternehmen in Europa schrittweise das, was sie bisher im internationalen Wettbewerb gehalten hat: die kostenlosen CO2-Zertifikate. Die Gratiszuteilung der Papiere, die jeder Industriebetrieb pro emittierter Tonne Kohlendioxid vorlegen muss, soll bis spätestens 2034 Geschichte sein. Das aber wollen die Unternehmen nicht kampflos hinnehmen.
In einem offenen Brief drängen knapp 80 Industrieunternehmen rund um die deutschen Konzerne BASF und Thyssenkrupp die europäischen Entscheidungsträger dazu, am kommenden Donnerstag im Europäischen Rat die Verlängerung der Gratiszuteilung der Zertifikate für energieintensive Unternehmen zu beschließen. Vorn mit dabei ist auch der österreichische Stahl- und Technologiekonzern Voestalpine. Das Linzer Unternehmen ist der mit Abstand größte Treibhausgas-Emittent Österreichs und überweist derzeit rund 200 Millionen Euro im Jahr für CO2-Zertifikate an die Republik Österreich.
Damit deckt der Konzern aber nur ein Fünftel seines tatsächlichen Treibhausgasausstoßes auch wirklich ab. Rund 80 Prozent der notwendigen Zertifikate erhält die Voest bisher kostenlos zugeteilt, um im Wettbewerb mit Anbietern aus anderen Weltregionen noch eine Chance zu haben. Fällt diese Gratiszuteilung nun weg, habe das nicht nur „massive wirtschaftliche und ökologische Nachteile für Europa“, so die Unternehmen, sondern auch heftige betriebswirtschaftliche Folgen. Die Voest müsste nach Berechnungen des Unternehmens etwa Zusatzkosten von bis zu zwei Milliarden Euro bis ins Jahr 2030 in Kauf nehmen.
Österreichs Wachstumsillusion
Das Auslaufen der Gratiszertifikate trifft die Unternehmen in einer Zeit, in der sie von Handelskrieg, US-Zöllen und hohen Kosten in Europa bereits ausreichend geschwächt sind. Auch die jüngsten Konjunkturdaten der Wirtschaftsforscher dürften nicht überbewertet werden, warnt Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung. „Wir dürfen uns keiner Aufschwungsillusion hingeben“, sagt er. Das aktuelle IV-Konjunkturbarometer, eine Befragung der Industrielobby unter ihren Mitgliedsbetrieben, sei tief im roten Bereich. Statt des erhofften Wachstums rechnen die befragten Unternehmen in Österreich demnach auch für 2026 bestenfalls mit einer Stagnation bei weiter sinkenden Aufträgen und Gewinnen.
Der Zeitpunkt des Auslaufens der Freizuteilung von 2026 bis 2034 sei von der EU deshalb denkbar „unrealistisch“ gewählt, sagte Voest-Chef Herbert Eibensteiner der „Presse“ bereits im Sommer. Die „Voraussetzungen für die grundlegende Technologieumstellung“ – nämlich ausreichend emissionsfreier Strom oder Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen – würden fehlen. Es brauche ein „Umdenken auf EU-Ebene beim Emissionshandel und eine zeitliche Anpassung an die tatsächlichen Realitäten“. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) signalisierte damals bereits Unterstützung.
Klimazoll mit Schlupflöchern
Kritiker warnen hingegen vor überzogenen Erwartungen an eine Verlängerung der Gratiszertifikate und fordern stattdessen, auch die CO2-Entnahme in den Emissionshandel aufzunehmen, damit Unternehmen ihren Treibhausgasausstoß über das Speichern von Kohlendioxid kompensieren können.
Fakt ist aber, dass viele energieintensive Betriebe in Europa gerade gröbere Probleme haben, ihre Dekarbonisierungspläne umzusetzen. „Wir sind nicht da, wo wir sein wollten“, räumt der deutsche Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis ein. Etliche Stahlkonzerne wie Arcelor Mittal haben ihre Pläne für eine wasserstoffbasierte Stahlproduktion schon wieder ad acta gelegt. Auch das von der EU gestützte grüne Stahlwerk im nordschwedischen Stegra taumelt einem Northvolt-Schicksal entgegen.
Die Voestalpine hält an ihrem Ziel, 2050 nur klimaneutralen Stahl herzustellen, fest. In einem ersten Schritt werden Hochöfen in Linz und Donawitz durch Elektrolichtbogenöfen ersetzt, in denen Schrott und wasserstoffreduzierter Eisenschwamm zu umweltfreundlichem Stahl verarbeitet werden kann.
Der CO2-Grenzausgleich (CBAM) sei jedenfalls „keine Alternative“ für die Gratiszertifikate, betonen die Unternehmen. Der Klimazoll habe viele Schlupflöcher und biete bestenfalls am europäischen Markt einen gewissen Schutz. Sobald europäische Unternehmen ihre Waren aber exportieren wollen, würden die hohen CO2-Kosten voll durchschlagen.
Von Matthias Auer
Die Presse