Das Bohren geht weiter

3. November 2025

Öl- und Gaskonzerne sprechen gerne von der Energiewende. Doch alleine seit 2021 haben sie mehr als 2000 neue Förderprojekte geplant. Mit dem knappen verbleibenden CO2-Budget ist das nicht vereinbar.

Eigentlich dürften gar keine neuen Öl-, Gas- und Kohlevorkommen mehr erschlossen werden. Das sagen Klimafachleute bereits seit langem – und 2021 sagte das auch die Internationale Energieagentur (IEA). Wenn die Welt es mit dem 1,5-Grad-Ziel ernst meinen würde, müsse die Förderung fossiler Brennstoffe schnellstmöglich eingestellt werden.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Neue Daten, die das französische Forschungskollektiv Data for Good gemeinsam mit den Organisationen Eclaircies, Lingo und Reclaim Finance erhoben hat, zeigen, wie Energiekonzerne die Expansion vorantreiben. DER STANDARD hat die Daten mit weiteren europäischen Medien ausgewertet.

Tausende neue Projekte

Seit 2021 plante die fossile Industrie weltweit rund 2300 neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte oder Erweiterungen bestehender Anlagen. Allein diese Projekte würden das verbleibende CO2-Budget bis 2050 um das Elffache übersteigen. Das 1,5-Grad-Ziel gilt als kritische Schwelle: Unterhalb dieser Erwärmung werden die Folgen des Klimawandels noch als kontrollierbar angesehen.

Auch Österreichs teilstaatlicher Öl- und Gaskonzern OMV entwickelt neue Öl- und Gasprojekte. Ein Beispiel ist das Projekt Neptun Deep, eines der größten Gasfelder in der Europäischen Union. Es liegt im rumänischen Teil des Schwarzen Meeres, die OMV hält über ihre Tochter Petrom 50 Prozent der Anteile. Nach jahrelangen Verzögerungen gab die OMV im Juni 2023 endgültig grünes Licht für das Projekt.

Neptun Deep könnte Rumänien zum größten Gasproduzenten der EU machen – und laut den Zahlen von Data for Good über seine Laufzeit bis zu 190 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre befördern. Zum Vergleich: Österreich emittiert derzeit jährlich rund 70 Millionen Tonnen des Treibhausgases.

Auch in Österreich selbst treibt die OMV die Gasförderung voran. Im niederösterreichischen Groß-Enzersdorf verkündete der Konzern im Juli 2023 den größten Gasfund Österreichs seit 40 Jahren. Die förderbaren Ressourcen schätzt die OMV auf 48 Terawattstunden – rund die Hälfte des österreichischen Jahresbedarfs.

Billionen neu investiert

Die inländische Gasproduktion, die bisher nur einen kleinen Teil der Nachfrage deckte, würde mit der Erschließung sprunghaft ansteigen. Laut Data for Good könnte das OMV-Projekt über seine Laufzeit rund acht Millionen Tonnen CO2 freisetzen. Die OMV nennt 1,9 Millionen Tonnen CO2 für die erste Projektphase.

Der Konzern weist in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem STANDARD darauf hin, dass neue Projekte notwendig seien, um dem „natürlichen Förderrückgang reifer Felder“ entgegenzusteuern. Es handle sich also nicht um zusätzliche Fördermengen, sondern um die Aufrechterhaltung bestehender Produktionskapazitäten. Neue Projekte sollen laut OMV auch die Abhängigkeit von „preistreibenden LNG-Importen“ schmälern.

Der Konzern betont, ihre Klimaziele seien mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar, bis 2050 will der Konzern Nettonull-Emissionen erreichen. Die direkten Emissionen aus eigenen Anlagen sowie aus zugekaufter Energie (sogenannte Scope 1- und Scope-2-Emissionen) habe man seit 2019 bereits um 23 Prozent gesenkt. Die Emissionen aus der Verbrennung der verkauften Öl- und Gasprodukte durch Kunden (Scope 3) seien um 17 Prozent gesunken.

Neben den neu geplanten Projekten identifizierte das Rechercheteam 601 sogenannte Kohlenstoffbomben – Förderanlagen, die über ihre Laufzeit je mindestens eine Milliarde Tonnen CO2 ausstoßen werden. Das sind 176 mehr als bei der ersten Veröffentlichung der Datenbank vor zwei Jahren. Die größten dieser Megaprojekte liegen in China, Russland, den USA, Australien, Indien und Saudi-Arabien.

Möglich wird die fossile Expansion durch massive Finanzierung der Banken: Seit 2021 haben die 65 größten Banken weltweit 1,6 Billionen US-Dollar in Unternehmen investiert, die hinter Kohlenstoffbomben und neuen fossilen Projekten stehen – trotz Klimaversprechen. Insbesondere US-amerikanische Banken haben ihre Investitionen in fossile Unternehmen im vergangenen Jahr stark erhöht. Die europäische Bank mit der größten Beteiligung ist die britische Barclays. Sie stellte von 2021 bis 2024 insgesamt 33,7 Milliarden US-Dollar für 62 Unternehmen bereit, darunter Eni, ExxonMobil und TotalEnergies.

Banken rudern zurück

Erst Anfang Oktober 2025 hat sich die Net Zero Banking Alliance (NZBA) aufgelöst – jene UN-Initiative, in der sich Banken verpflichteten, ihre Kredit- und Investmentportfolios bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen auszurichten.
Bei ihrer Gründung 2021 hatten sich rasch über 140 Banken mit einem gesamten verwalteten Vermögen von 74 Billionen Dollar der Allianz angeschlossen. Doch ab Ende 2024 verließen zunächst die sechs größten US-Banken die Allianz, darunter JPMorgan Chase, Goldman Sachs und Citigroup. Teils geschah dies auf Druck republikanischer Politikerinnen und Politiker, die mit Konsequenzen drohten, sollten Banken fossile Brennstoffe „boykottieren“. Auch große Energiekonzerne wie BP oder Shell fahren Investitionen in erneuerbare Energien zurück und verwässern ihre vormals ausgegebenen Klimaziele wieder.

Klimagipfel im November
Der Umgang mit fossilen Brennstoffen wird auch bei der 30. UN-Klimakonferenz (COP30) Thema sein, die von 10. bis 21. November im brasilianischen Belém stattfindet. Bereits bei der COP28 in Dubai 2023 hatten sich die Staaten erstmals auf einen „Übergang weg“ (englisch „transition away“) von fossilen Energien geeinigt – eine historische, aber bewusst vage formulierte Einigung, die den Ausstieg nicht explizit fordert.

Doch ausgerechnet Gastgeber Brasilien steht selbst massiv in der Kritik. Nur zwei Wochen vor der COP30 hat die brasilianische Regierung der staatlichen Ölgesellschaft Petrobras die Genehmigung erteilt, nach Öl vor der Amazonasmündung zu bohren.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterstützt die Ölexploration im Land – bereits der weltweit achtgrößte Produzent – mit dem Argument, die Gewinne könnten die Energiewende finanzieren. „Ich träume von einem Tag, an dem wir keine fossilen Brennstoffe mehr brauchen, aber dieser Tag ist noch weit entfernt“, sagte er im Februar. Die Zahlen scheinen ihm zumindest bei Letzterem recht zu geben.

Der Standard