Der Wasserstoff, aus dem die unerfüllbaren Ökoträume sind

7. November 2025

Klima. Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz zerreißt der deutsche Rechnungshof die Wasserstoffstrategie der deutschen Bundesregierung in der Luft. Und damit die Basis der geplanten Dekarbonisierung der größten Volkswirtschaft Europas.

Ab kommenden Montag werden im brasilianischen Dschungel rund 50.000 Menschen – Regierungsvertreter, NGO-Aktivisten, Wissenschaftler, Journalisten etc. – zusammenkommen, um im Rahmen der 30.UN-Klimakonferenz (COP30) über die Dekarbonisierung der menschlichen Tätigkeiten auf diesem Globus zu diskutieren. Alle klimafreundlich per Flugzeug (die meisten per Langstreckenflug) angereist. Damit sie sich in der Gegend angemessen bewegen können, wurde (klimaneutral, hoffen wir doch) eigens eine 13 Kilometer lange Autobahn durch den Regenwald zwischen zwei Stadtteilen gefräst.

Nein, wir wollen uns hier nicht über Bemühungen zum Klimaschutz lustig machen, dazu ist die Sache zu ernst. Aber ein bisschen Sarkasmus ist schon angebracht, wenn man sieht, mit welchem Pomp und Aufwand hier über unrealistische Luftschlösser diskutiert wird. Auf globaler Ebene wird noch immer über ein vages, in der Realität längst überschrittenes 1,5-Grad-Ziel für die Erderwärmung geredet. Und die EU wird (wenn auch von den Maßnahmen her ein wenig abgeschwächt) weiter an ihrem Ziel festhalten, bis 2040 die CO2-Emissionen um 90Prozent unter das Niveau von 1990 zu drücken und 2050 klimaneutral zu sein, also netto kein CO2 mehr zu emittieren.

Einige Regionen haben da noch etwas draufgelegt. Hamburg beispielsweise hat die Klimaneutralität für 2035 (also in zehn Jahren) per Volksabstimmung sozusagen rechtsverbindlich festgezurrt. Viel Spaß mit dem Hafen, kann man da nur sagen.

Aber Europa generell und Deutschland im Besonderen haben nun einmal beschlossen, der restlichen Welt (die darüber teilweise nur noch ungläubig staunt) zu zeigen, wie man einen Kontinent in kürzester Zeit dekarbonisiert. Koste es, was es wolle – und seien es Industrie und Wohlstand.

Die Frage, die sich so gut wie keiner stellt: Geht das überhaupt? Haben diese Ziele auch nur einen Funken Chance auf Verwirklichung? Derzeit wird der Primärenergiebedarf der Welt trotz aller Bemühungen (beispielsweise des massiven Ausbaus von Windkraft und Photovoltaik in Europa und in China) zu 80 Prozent fossil gedeckt. In Europa sieht es nur wenig besser aus. Selbst Deutschland mit seinem starken Wind- und PV-Fokus deckt knapp mehr als drei Viertel seines Primärenergiebedarfs mit Kohle, Erdöl und Gas.

Wie soll dieser massive Fossilanteil in wenigen Jahren verschwinden? Ganz einfach, sagen die Klima-Wolkenkuckucksheimer in der Politik: Massiver Ausbau der Stromerzeugung aus Wind und Sonnenenergie, gleichzeitig großflächige Elektrifizierung von Verkehr, Industrie und Raumwärme. Hochfahren des Einsatzes von grünem Wasserstoff für Stromerzeugung und Wärmeerzeugung in der energieintensiven Industrie. Bis die Wasserstoffwirtschaft in ein paar Jahren so weit ist, übernimmt Gas als Brückenenergie diesen Part. Klingt einleuchtend.

Der Kern der Dekarbonisierung ist also CO2-frei erzeugter grüner Wasserstoff. Das Konzept hat nur drei winzige Fehler: Den gibt es nicht in ausreichender Menge, wird es in den nächsten zehn Jahren auch nicht in ausreichender Menge geben, und er ist verdammt teuer und wird das, im Vergleich zu Erdgas, auch bis weit in die 2030er-Jahre hinein bleiben. Also, wenn man das ein bisschen volksnäher formulieren will: Für energieintensive Industrieunternehmen (etwa Stahl und Chemie), die Konkurrenten auf dem Weltmarkt haben, nicht brauchbar.

Sagen nicht wir, sondern sagen die Rechnungshöfe der EU und des deutschen Bundestags. Letzterer hat erst in der Vorwoche, also rechtzeitig zur COP30, einen desaströsen Bericht zur deutschen Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Dessen Kernaussage: Wasserstoff hat eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung, aber es fehlt an Nachfrage, an Angebot und an Infrastruktur. Und Wasserstoff ist sehr deutlich teurer als andere Energieträger. Wenn Deutschland seine Wasserstoffpläne, ohne die das Klimaziel nicht zu erreichen ist, eins zu eins umsetzt, dann sind jährliche Milliardensubventionen im zweistelligen Bereich nötig. Und es werden Dauersubventionen. Kurzum: Es gäbe „erhebliche Risken für das Budget und für den Industriestandort“. Klingt nach einem durchdachten Plan.

Ein weiteres Problemchen gibt es auch noch: Wenn die Unternehmen mit hohen Förderungen tatsächlich dazu gebracht werden könnten, den Einsatz von Wasserstoff bis 2030 im von der Regierung geplanten Ausmaß hochzufahren und die bis dahin geplante Versechsfachung der Elektrolysekapazität tatsächlich realisiert wird, dann wäre die Angebotslücke noch immer so groß, dass der Importbedarf Deutschlands praktisch die gesamte bis dahin erwartete globale grüne Wasserstoffproduktionskapazität übersteigen würde. Meint, wie gesagt, der deutsche Bundesrechnungshof.

Glaubt eigentlich auch nur einer der 160 deutschen Regierungsvertreter bei der COP30, dass das auch nur ansatzweise realisierbar ist? Und wenn nein, wieso hält man dann an unerreichbaren Zielen fest? Zumal der Rechnungshof ja auch Studien zitiert, die dem importierten grünen Wasserstoff das Öko-Mäntelchen ein wenig anpatzen: Bei dieser Form träten „erhebliche Vorkettenemissionen“ auf, die „die tatsächliche Klimawirkung unsicher“ machen.
Im Übrigen: Deutschland fördert derzeit vier Projekte für die Herstellung von grünem Stahl. Der Rechnungshof zweifelt daran, ob die das in der geplanten Form auch umsetzen. Eines der vier Stahlwerke ist unterdessen bereits ausgestiegen.

Kein Wunder: Wenn grüner Stahl deutlich teurer als konventionell erzeugter ist und der Druck zum Einsatz von Wasserstoff außerhalb Europas geringer oder gar nicht vorhanden ist, dann wird die Stahlindustrie schlicht aus Europa verschwinden. Und die Chemieindustrie hinterher.

Aber das wird beim Klima-Hochamt im Dschungel wohl kein Thema sein. Dort werden sich die Europäer weiter als Vorreiter präsentieren. Und der Rest der Welt wird milde lächelnd seine Wege gehen. Mit dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus wird das Missverhältnis jedenfalls nicht zu beseitigen sein. Und mit der Ausweitung des CO2-Zertifikatehandels Anfang 2027 wird Europa seinen Wohlstand endgültig zu Grabe tragen.

Dieser Zertifikatehandel ist an sich eine blendende Idee, das Klimaproblem marktwirtschaftlich zu lösen. Aber nur, wenn die ganze Welt (zumindest die großen und aufstrebenden Industrieländer wie China, USA und Indien, die zusammen mehr als die Hälfte der globalen CO2-Emissionen verursachen), mitmacht. Wenn nicht, dann schießt sich die EU damit schlicht selbst aus dem Weltmarkt. Ohne große Klimawirkung, denn die sechs, sieben Prozent, die sie zum globalen Ausstoß beisteuert, machen das Kraut nicht fett. Das Ganze liegt, sagte der EU-Rechnungshof in einer ähnlich desaströsen Bewertung der EU-Wasserstoffstrategie, nicht zuletzt daran, dass die Ziele nicht eine „solide Analyse“ als Basis hätten, sondern „politischen Willen“.

Das dämmert unterdessen aber wohl auch der Politik. Man kann also einigermaßen gesichert davon ausgehen, dass es nicht so dick kommen wird und jemand die Notbremse zieht, bevor der Kontinent durch Deindustrialisierung CO2-neutral gemacht worden ist.

Der deutsche Rechnungshof empfiehlt übrigens einen „Realitätscheck“ und einen „PlanB“. Dem wollen wir nichts hinzufügen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Die Presse