Entscheidend beim Klimaschutz ist die richtige Balance zwischen notwendiger CO2-Einsparung und Belastungen für die Wirtschaft. Europa sollte dabei nach China blicken. Mittelfristig wird der technologische Umbau auch ein Wettbewerbsfaktor.
Ab heute wird im brasilianischen Belem wieder über den globalen Klimaschutz verhandelt. Konkret geht es um die von den Nationen selbst eingereichten CO2-Einsparungspläne, die zusammen ein Einbremsen des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad bewirken sollen. Und man kann heute schon sagen, wie das Ergebnis aussehen wird: Es wird zwar bei jenen, die sich noch an das System halten wollen, leichte Verbesserungen geben. In Summe wird es aber zu wenig sein.
Ein sogenannter CO2-Overshoot wird also stattfinden. Und diesen wird man irgendwann ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mühsam und teuer mittels Technologien wie der CO2-Speicherung unter der Erde oder der Aufforstung der Wälder versuchen wieder umzukehren. Das ist nicht schön, aber die einzig realistische Möglichkeit. Verstärkt wird diese Situation, weil sich wichtige CO2-Emittenten wie die USA nun gänzlich vom Klimaschutz verabschieden wollen. US-Präsident Donald Trump hat ja die Devise „Drill, baby, drill“ ausgegeben und will wieder verstärkt auf fossile Brennstoffe setzen sowie Windkraftwerke sogar verbieten lassen.
Für Europa stellt sich also die Frage, wie es sich positionieren soll. Die EU hat bereits viel getan und als einzige der Weltregionen ihren CO2-Ausstoß seit 1990 substanziell reduziert. Pro Kopf gerechnet liegt Europa nun bereits deutlich besser als der Nahe Osten, Russland, die USA oder China und nur mehr knapp über dem globalen Durchschnitt. Gleichzeitig sind hohe Gas- und damit Strompreise für die europäische Wirtschaft ein Riesenproblem – und die berechtigte Sorge ist groß, dass eine Greenflation die Situation vorübergehend noch verschärfen könnte. Auch in Europa werden daher zunehmend Stimmen laut, die meinen: Wir haben bereits genug getan, und unser globaler Anteil an den Emissionen ist nicht mehr so groß. Wir sollten Klimaschutz daher auch nicht mehr so wichtig nehmen.
Das ist jedoch falsch. Und zwar aus mehreren Gründen. Oft genannt wird die historisch-moralische Ebene. Europa war Vorreiter beim Verbrennen fossiler Treibstoffe, daher ist es auch angemessen, dass wir nun bei der Reduktion vorn dabei sind. Noch wichtiger ist aber der zweite Grund, warum das Ziel der Dekarbonisierung keinesfalls aus den Augen verloren werden soll. So werden CO2-freie Technologien mittelfristig zum Wettbewerbsvorteil. Einerseits, weil bei der erneuerbaren Energieerzeugung die Brennstoffkosten wegfallen, sobald die Infrastruktur einmal errichtet ist. Die Eigentümer abgeschriebener Wasserkraftwerke wissen, dass es sich dabei de facto um Gelddruckmaschinen handelt.
Laut Strombranche kostet die Errichtung der erneuerbaren Infrastruktur in Österreich 100 Milliarden Euro. Gleichzeitig zahlt Österreich jedoch jedes Jahr für fossile Energieimporte zehn Milliarden Euro – viel davon an diverse Autokratien. Und auch wenn es künftig nicht ohne Energieimporte gehen wird, könnten diese etwa vermehrt aus südlichen EU-Ländern stammen. Außerdem wird auch der globale Markt künftig vornehmlich nach Technologien für eine dekarbonisierte Welt verlangen. Daher ist es wichtig, technologisch am Ball zu bleiben.
Europa sollte also weniger in Richtung USA, sondern vielmehr nach China blicken. Das Land setzt voll auf diese Zukunftstechnologien – allerdings mit einem pragmatischen Zugang. So investiert China heuer zwar 54 Milliarden US-Dollar in neue Kohlekraftwerke, steckt mit 625 Milliarden aber mehr als zehnmal so viel in den Ausbau der Erneuerbaren. 2060 will China CO2-neutral sein. Zehn Jahre nach der EU und 20 Jahre nach Österreich.
Auch Europa sollte beim Klimaschutz auf Pragmatismus setzen. Ideologische Unsinnigkeiten wie das Abschalten CO2-freier deutscher AKW müssen der Vergangenheit angehören. Und auch das jüngste Aufweichen der für 2040 geplanten CO2-Einsparungen ist kein totaler Sündenfall, wenn das grundsätzliche Ziel nicht aus den Augen verloren wird. Und das durchaus auch aus eigennützigen Gründen.
Von Jakob Zirm
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