Kostenfalle Emissionshandel

21. November 2025

Energieintensive Industrien sehen sich durch die EU-Klimapolitik bedroht. Vor allem fordern sie eine langsamere Absenkung des CO2 -Ausstoßes. Was möglich ist, ohne die Klimaziele zu gefährden.
Gehört der Emissionshandel abgeschafft? Angesprochen auf solcherlei Forderungen, wählt Schleswig-Holsteins Umweltminister drastische Worte. „Das wäre wirklich die Selbstaufgabe des Planeten“, sagte Tobias Goldschmidt in einem Podcast-Interview des Handelsblatts.


Die Kosten für klimaschädliche Emissionen von Unternehmen sorgen aktuell für heftige Debatten. Nicht alle denken wie der Grünen-Politiker Goldschmidt; vor allem in der Industrie regt sich Widerstand gegen den EU-weiten Handel mit Zertifikaten.

Die Topmanager energieintensiver Betriebe stehen unter massivem Druck. Sie verweisen auf die Wirtschaftskrise, hohe Energiekosten und die globale Konkurrenz, die weniger Rücksicht auf Klimavorgaben nehmen muss.
So fordert der Chef des Spezialchemieunternehmens Evonik die Abschaffung der CO2-Gebühr. „Volkswirtschaftlich ist das für Europa ein Irrsinn“, sagte Christian Kullmann der Süddeutschen Zeitung. Auch Lanxess-Chef Matthias Zachert zeigt sich skeptisch. Kürzlich betonte er im Handelsblatt: „Wir brauchen eine drastische Reform.“
Doch das rührt an das zentrale klimapolitische Instrument der Europäischen Union: Unternehmen, die zu viel CO2ausstoßen, müssen Zertifikate dazukaufen, die sie dazu berechtigen. Unternehmen, die weniger CO2 ausstoßen, als sie Zertifikate haben, können die überschüssigen Rechte gewinnbringend verkaufen. Die Anzahl verfügbarer Zertifikate soll bis 2039 auf null sinken – dann dürfen nach den Plänen der EU große Unternehmen kein CO2mehr verursachen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Goldschmidt widerspricht den Managern, die sich kritisch gegenüber dem Emissionshandel äußern. „Wir haben in der Industrie über Jahre ein Einvernehmen gehabt, dass wir die Emissionssenkung vor allen Dingen über marktwirtschaftliche Instrumente erreichen wollen, also über die Bepreisung von CO2.“ Es sei richtig, dass die Industrie aktuell ihre Hand hebe. „Aber dann sollten doch Verbesserungsvorschläge kommen und nicht ein allgemeines Fragezeichen an den Emissionshandel.“


Tatsächlich vermischen sich in der politischen Debatte derzeit mehrere Themen. Einige Akteure sprechen nur über kostenlose Zertifikate, die die EU ausgeben kann. Anderen geht es um grundlegendere Reformen. Und einige fürchten um den Klimaschutz. Doch ein genauerer Blick auf das System zeigt: Vergünstigungen für die Industrie wären an zwei Stellen möglich, ohne die Klimaziele zu gefährden.

  1. Regeln für Gratis-Zertifikate anpassen
    Hohe Kosten aus dem Emissionshandel treffen derzeit vor allem energieintensive Industrien. Sie müssen je nach Produktionsumfang und CO2-Ausstoß eine bestimmte Menge an Zertifikaten kaufen, die sie zum Emittieren von Treibhausgasen berechtigen.

    Das Thema, das die Diskussionen ausgelöst hat, ist aber die sogenannte „kostenlose Zuteilung“: Bestimmte Industrieunternehmen wie zum Beispiel Chemiebetriebe, Gashersteller oder Zementfirmen bekommen einen Teil der benötigten Zertifikate derzeit noch von der EU geschenkt.
    Die EU will damit verhindern, dass CO2-Emissionen im Ausland statt in Deutschland entstehen: Wenn beispielsweise ein deutscher Stahlhersteller CO2-Zertifikate kaufen muss, ein indischer aber nicht, wird deutscher Stahl im Vergleich zur Konkurrenz teurer. Wenn die Autoindustrie den Stahl in Indien statt in Deutschland in Auftrag gibt, verschiebt sich der CO2-Ausstoß der Stahlproduktion einfach ins Ausland.
    Die kostenlosen Zertifikate sollen diesen Effekt verhindern. Allerdings sind sie nur als Übergangslösung gedacht. Denn im Jahr 2026 soll ein Ausgleichsmechanismus in Kraft treten. Der sogenannte Carbon Border Adjustment Mechanism – kurz CBAM – erhebt auf importierte Waren einen Preis, der sich am EU-Emissionshandel orientiert.

    Je strenger der CBAM wird, desto weniger kostenlose Zertifikate soll die Industrie erhalten. Die Analystin Patricia Merschel vom Analysehaus ICIS sagt: „Im Jahr 2026 soll der CBAM-Faktor von 100 Prozent auf 97,5 Prozent sinken. Das bedeutet, dass auf 2,5 Prozent der Emissionen von bestimmten importierten Produkten ein CO2-Preis anfällt.“ Der CBAM-Faktor soll über acht Jahre hinweg sinken und im Jahr 2034 schließlich null erreichen, sodass dann alle Emissionen importierter Produkte bezahlt werden müssen. Je stärker der CBAM-Faktor sinkt und somit heimische Hersteller schützt, umso weniger kostenlose Zertifikate sollen die europäischen Industrieunternehmen erhalten.
    Doch es gibt ein Problem. Zwar schützt die EU durch den CBAM ihre Industrie vor günstigen, CO2-intensiven Importen aus dem Ausland. Bei Exporten jedoch sieht es anders aus: Brüssel kann nicht gewährleisten, dass die heimische Industrie trotz dieses CO2-Preises für ausländische Anbieter weiterhin ihre Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen exportieren kann.

    Das Centre for European Policy (CEP) schätzt, dass Brüssel jährlich Kompensationszahlungen in Milliardenhöhe leisten müsste, um die Nachteile jener europäischer Unternehmen auszugleichen, die Produkte außerhalb der EU verkaufen wollen. Mehrere Unternehmen und inzwischen auch Politiker fordern deshalb von der EU, die Zuteilung kostenloser Zertifikate zu verlängern.
    Die Klimaziele werden dadurch nicht unmittelbar gefährdet, denn relevant ist nicht, ob die Zertifikate im Markt etwas kosten, sondern, wie viele es insgesamt gibt. Die Anzahl der CO2-Zertifikate sinkt kontinuierlich, sodass immer weniger Emissionen erlaubt sind.

    Werden die kostenlosen Zertifikate länger ausgegeben, sammelt die EU vorerst weniger Geld ein. Damit stünde auch weniger Geld für den Innovationsfonds zur Verfügung, in den die Summe eigentlich fließen soll. Damit wiederum werden Dekarbonisierungsprojekte gefördert. In Deutschland fließt das Geld aus dem Fonds beispielsweise in Projekte zur Produktion von klimaneutralem Wasserstoff oder Batteriezellen für Elektroautos.
    Die Last des CO2-Preises würde für die Unternehmen zwar auch bei kostenloser Zuteilung der Zertifikate zunehmen, aber sie würden diese Steigerung vergleichsweise weniger spüren als ohne die Gratis-Zertifikate. Sie hätten etwas Zeit und Geld gewonnen, um in CO2-ärmere Produktionsmethoden zu investieren, bevor Emissionen für sie so teuer werden, dass sie sich diese nicht mehr leisten können.
    Die Forderungen einiger Akteure gehen allerdings über die Verlängerung kostenloser Zuteilungen hinaus und beziehen sich teils auf eine zweite politische Option.

  2. Emissionshandel an neues Klimaziel anpassen
    Am drastischsten ist die Forderung von Evonik-Chef Kullmann, den ganzen Emissionshandel abzuschaffen. Breitere Zustimmung findet jedoch der Vorschlag, die Anzahl verfügbarer Emissionszertifikate langsamer sinken zu lassen – sodass nicht bereits im Jahr 2039 die Zertifikate ausgehen.
    Kürzlich verlangten die EU-Umweltminister von der EU-Kommission, dass es auch nach 2039 im begrenzten Umfang Zertifikate geben soll und große Unternehmen somit auch über dieses Jahr hinaus noch Emissionen verursachen dürfen. Anders als der Ansatz, das Prinzip der kostenlosen Zertifikate zu verlängern, könnte eine solche Maßnahme aber tatsächlich die Klimaziele gefährden. Denn die Emissionen der europäischen Industrie würden dann nicht so schnell sinken wie bislang geplant.

    Allerdings enthält das bisherige Emissionshandelssystem möglicherweise noch einen Puffer, wenn die Zertifikate schon 2039 auslaufen. Schließlich will die EU erst bis 2050 klimaneutral werden.
    Grund dafür ist laut Expertin Merschel, dass das Emissionshandelssystem zunächst mit Blick auf die Klimaziele für 2030 entworfen wurde. Merschel sagt: „Die Emissionsobergrenze reduziert sich so, dass die Klimaziele im Jahr 2030 erreicht werden, und danach verläuft die Reduktion linear weiter. Dadurch schneidet sie die Nulllinie schon im Jahr 2039.“ Hinzu komme, dass der Zertifikatehandel, der nur für große Unternehmen gilt, womöglich die mangelnden CO2-Emissionenseinsparungen anderer Sektoren ausgleichen müsse.

    Die EU plant aber ohnehin, das Emissionshandelssystem noch einmal anzupassen, sobald die neuen Klimaziele für 2040 offiziell beschlossen sind. Die EU-Staaten haben bereits kurz vor Beginn der diesjährigen Weltklimakonferenz festgelegt, dass die EU ihren Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 1990 bis 2040 um 80 bis 85 Prozent senken soll.

  3. Merschel sagt: „Im Jahr 2026 will die EU-Kommission einen Vorschlag machen, um die Emissionshandels-Direktive anzupassen. Diese Anpassung muss dann den normalen Gesetzgebungsprozess durchlaufen, was beim letzten Mal knapp zwei Jahre gedauert hat.“
    Um die Industrie zu entlasten, könnte also der Umlauf von Gratis-Zertifikaten verlängert werden. Außerdem ist denkbar, den Preisdruck im Emissionshandel etwas zu senken. Beide Maßnahmen würden bisherige CO2-Pläne zwar ein Stück weit einschränken, doch sie führten nicht automatisch dazu, dass die Klimaziele verfehlt werden.

Handelsblatt