Speicher: Mehr Geflecht als Monument

24. November 2025

Energiespeicher. Pumpspeicher, Batterien, Wasserstoff: In Österreich entsteht eine neue, aber teils wenig sichtbare Speicherlandschaft.


In den kommenden Jahren entsteht in Österreich eine Speicherlandschaft, die weder pompös noch sichtbar ist. Unter Parkplätzen stehen Batterien, hinter Trafostationen pumpen Wechselrichter, in Kellern liegen Wärmespeicher, entlang von Autobahnen federn Batterie-Container Lastspitzen ab. Speicher bilden die neue, leise Infrastruktur – kein Monument, sondern Geflecht. Die Asfinag (österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft), zuständig für Planung, Bau, Erhaltung und Betrieb des hochrangigen Straßennetzes in Österreich, plant Ladehubs mit integrierten Speichern, Gemeinden definieren Energiezonen, Industrieparks entwickeln Speicher als Standortvorteil.

Heimisches Know-how

Gleichzeitig wächst eine industrielle Wertschöpfungskette, die oft unterschätzt wird: Das Austrian Institute of Technology AIT zählt zu Europas führenden Forschungszentren für Batteriesysteme und Netze. Die Technische Universität Wien und die TU Graz entwickeln neue Speichertechnologien, die das Fundament für zukünftige Lösungen legen. Denn: „Der Umbau der Energiewelt ist in vollem Gang. Während der Verbrauch fossiler Energien zumindest in der westlichen Welt zurückgeht, nimmt der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix unvermindert zu. Für ein klagloses Funktionieren der Energiewelt von morgen, wird jedoch auch ein Vielfaches der heute eingesetzten Speicher notwendig sein“, erklärt Rainer Tschopp, Pressesprecher des landesgrößten Stromkonzerns Verbund. Auch heimische Unternehmen tragen maßgeblich zum Ausbau der Speicherfähigkeiten bei: So etwa baut das oberösterreichische Technologieunternehmen Kreisel Electric Hochleistungsbatterien für Fahrzeuge, Schiffe und stationäre Anwendungen. Andritz Hydro exportiert als einer der wenigen Anbieter weltweit Pumpspeicher-Know-how und deckt das gesamte Spektrum von Turbinen über Generatoren bis zur Anlagenplanung ab. All das macht Österreich zu einem Land, das Speicher nicht nur nutzt, sondern auch baut – eine Rolle, die für die nationale Wirtschaft zunehmend entscheidend wird.

Die Großen: Pumpspeicher

Pumpspeicherkraftwerke sind dabei nach wie vor die mit Abstand wichtigste großtechnische netzgebundene Speichertechnologie und werden es auf absehbare Zeit bleiben. Sie können binnen Sekunden gewaltige Energiemengen aufnehmen oder abgeben und damit im europäischen Netz jene Frequenz halten, von der Industrie, Bahnen, Krankenhäuser und digitale Infrastruktur unmittelbar abhängen. Zugleich tragen sie zur Versorgungssicherheit bei, da sie außerordentlich flexibel und schnell auf Schwankungen im Energiebedarf und in der Stromerzeugung reagieren.

Ein Großprojekt in dieser Kategorie entsteht derzeit im oberösterreichischen Ebensee: Hier baut der Energie- und Infrastrukturdienstleister Energie AG Oberösterreich ein Pumpspeicherkraftwerk, das einen wichtigen Beitrag zur erneuerbaren Energiezukunft leisten und das Rückgrat des Systems bilden soll. Die Bedeutung des Projektes zeigt sich allein am Investitionsvolumen von fast einer halben Milliarde Euro, das es zum größten Einzelvorhaben in der Unternehmensgeschichte macht. Die Bauarbeiten in Ebensee schreiten derzeit zügig voran: Eine Kaverne für die Maschinensätze entsteht tief im Berg, zwei der insgesamt acht Ausbruchsebenen der Kraftwerkskaverne sind bereits fertiggestellt, und die Fortschritte lassen sich mit einer neuen WebApp digital verfolgen. Für den Energie-Anbieter ist das neue Kraftwerk ein großer Schritt in Richtung Transformation der Energieversorgung, wie Energie AG-CEO Leonhard Schitter betont: „Mit dem Bauprojekt Ebensee unterstützen wir den Weg in eine erneuerbare Energiezukunft. Es wird als ‚grüne Batterie‘ Oberösterreichs fungieren.“

Während Pumpspeicher oft im Fokus stehen, rollt auch eine leise, aber fundamentale Marktverschiebung durchs Land. Batteriespeicher entstehen mittlerweile fast überall. Wien Energie errichtet am Heizwerk Süd Österreichs größten Second-Life-Speicher, die Energie Steiermark setzt auf modulare Systeme, und die Kelag stabilisiert PV-starke Täler, in denen Einspeisung und Verbrauch weit auseinanderklaffen.

Die entscheidende Veränderung ist ihre Geschwindigkeit: Was früher Jahre brauchte, passiert heute in Monaten. Damit werden diese Speicher zu den neuen „Feuerwehren“ des Energiesystems – immer dann, wenn Wind und Sonne mehr Energie liefern, als das Netz tragen kann.

Die Kleinen: Batteriespeicher

Gleichzeitig zeigt sich ihre wirtschaftliche Vielseitigkeit: Batteriespeicher verdienen Geld über Regelenergie, Netzdienstleistungen, lokale Arbitrage, Engpassmanagement oder durch die Unterstützung von Energiegemeinschaften, die ihre Eigenverbrauchsquoten steigern wollen. Internationale Analysen zeigen, dass Speicher zunehmend zu zentralen Bausteinen moderner Energie- und Mobilitätssysteme werden. Diese Entwicklung macht sich auch entlang der Autobahnen bemerkbar: Dort entstehen Ladeparks, die ohne Batteriespeicher gar nicht existieren könnten, weil Netzanschlüsse oft nicht die erforderliche Leistung bereitstellen. Fachliche Bewertungen unterstreichen, dass die Elektromobilität die Netzlogik grundlegend verändert, und Hochleistungsstandorte ohne stationäre Speicher weder technisch noch wirtschaftlich realisierbar wären. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das National Renewable Energy Laboratory, das Batteriespeicher als Schlüssel zur Zuverlässigkeit und Resilienz von Schnellladestandorten bewertet. Diese Einschätzung teilt inzwischen auch ein Großteil der Branche: Ohne stationäre Speicher würde Elektromobilität das Netz überfordern – mit ihnen wird sie zu einem stabilisierenden Faktor.

Und längst beschränkt sich der Trend nicht nur auf Verkehr und Energiewirtschaft. Auch Industrieunternehmen und Gewerbeareale setzen zunehmend auf Speicher: Großbetriebe glätten Lastspitzen und optimieren Energiepreise, kleinere Betriebe sichern sensible Prozesse ab. Gemeinden setzen Speicher als Element der Daseinsvorsorge ein – nicht nur zur Stärkung der lokalen Energiewirtschaft, sondern auch zur Verbesserung der kommunalen Resilienz im Krisenfall. So wachsen Speicher in eine Rolle hinein, die über technische Optimierung hinausgeht: Sie verbinden Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz und werden damit zum Fundament eines neuen Energiesystems.

Der Teure: Wasserstoff

Parallel wird an Wasserstoff festgehalten, der seit Jahren als möglicher saisonaler Speicher gehandelt wird. Doch die Realität ist ernüchternd. Die voestalpine testet wasserstoffbasierte Stahlproduktion, die OMV baut Elektrolysekapazitäten in Schwechat auf, und Bundesländer fördern Pilotanlagen. Dennoch bleibt Wasserstoff als Stromspeicher ineffizient und teuer. „Die erfolgreiche Umsetzung der Energietransformation erfordert den Ausbau aller Speichertechnologien beziehungsweise längerfristig betrachtet die Verwendung von grünem Wasserstoff“, sagt Verbund-Pressesprecher Tschopp, dessen Unternehmen zahlreiche Wasserstoffprojekte beobachtet und bewertet. Saisonale Stromspeicherung über Wasserstoff sei frühestens in der nächsten Dekade skalierbar – und selbst dann eher in internationalen Logistikketten als in österreichischen Tälern. Damit wird Wasserstoff Teil der industriellen Transformation, aber nicht die Antwort auf den winterlichen Strombedarf.

Die Unterschätzte: Wärme

Während im Strombereich die Debatten laut geführt werden, entsteht im Wärmesektor ein zweites, oft unterschätztes Speichersystem. Wien betreibt bereits große Fernwärmespeicher, die Solarthermie, Abwärme, Biomasse und Wärmepumpen integrieren. Auch Linz, Graz und Innsbruck planen ähnliche Anlagen, um die Versorgungssicherheit im Wärmenetz zu erhöhen. Industrieparks experimentieren zudem mit Hochtemperaturspeichern aus Stein oder Sand, die Wärme bei mehreren hundert Grad speichern können. Diese umfassenden Entwicklungen zeigen, dass zur Energiespeicherung mehr gehört als elektrische Energie.

Die Speicherrepublik wächst somit still, dezentral und an den Rändern des Sichtbaren. Sie bleibt oft unsichtbar, weil sich viele Speicher in Trafostationen, Kellern oder unscheinbaren Containergebäuden verbergen, die den Wandel inzwischen stärker prägen als manch sichtbares Solarfeld. Aber auch sie bilden das Fundament jener Energiewende, die nicht mehr nur eine technische Transformation, sondern auch eine umfassende gesellschaftliche und räumliche Neuausrichtung darstellt. Die Speicher werden zu entscheidenden Knotenpunkten einer neuen Energiegeografie, in der Belastbarkeit, Flexibilität und Raumverträglichkeit über das Gelingen entscheiden. Der künftige Ausbau dieser Infrastruktur wird nicht mehr nur im Hochgebirge entschieden, sondern zunehmend dort, wo Strom anfällt und verbraucht wird: in Gewerbeparks, Siedlungen, Industriearealen und entlang der Verkehrsachsen.

Von Stephanie Tobeitz

Die Presse