Der erste Winter ganz ohne russisches Gas lässt Österreich kalt. Die Abhängigkeiten liegen jetzt anderswo.
Die Temperaturen sinken und überraschenderweise mit ihnen die Gaspreise. Am Montag kostete die Megawattstunde (MWh) an Europas wichtigster Gasbörse TTF erstmals seit 18 Monaten unter 30 Euro. Seit Jahresbeginn hat sich Erdgas damit um 40 Prozent verbilligt. Am Central European Gas Hub (CEGH), dem Gashandelsplatz für Mittel- und Osteuropa in Wien, liegen die Preies zwar weiter bei 32–33 Euro, weil die Ukraine über Österreich und Ungarn Gas aus dem Westen bezieht. Doch auch hier geht die Tendenz nach unten.
Begründet wird der Preisrutsch von Marktkennern unter anderem mit den Aussichten auf einen Friedensplan für die Ukraine, vor allem aber mit der besseren Versorgungslage als noch vor zwei Jahren. „Die Verfügbarkeit von Flüssiggas (LNG, Liquefied natural gas, Anm.) ist gestiegen“, sagt Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung in der Energieregulierungsbehörde E-Control, „und weitere Kapazitäten kommen nächstes Jahr dazu.“ Zugleich sei die Nachfrage in der Industrie aus Konjunkturgründen gedämpft, und es braucht durch den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik weniger Gas für die Stromerzeugung.
„Bei uns ist die Lage ganz komfortabel.“
An Gas mangelt es im ersten Winter ganz ohne russisches Pipeline-Gas in Europa also nicht. Es ist jedoch weiter abhängig von Importen, jetzt aber aus Norwegen und den USA. Dass die Gaspreise für die Endkundinnen und Endkunden demnächst sinken (wie ab Jänner etwa bei den Stadtwerken München), damit sollte man nicht rechnen. Bis die Börsenpreise bei den Haushalten oder kleineren Betrieben ankommen, dauere es angesichts der langfristigen Beschaffungspolitik der Energieversorger, betont die E-Control-Expertin.
Auf die heimischen Gaskunden kommen ab Jänner ohnehin höhere Kosten zu. Die Netzentgelte für die Haushalte werden um durchschnittlich 18,2 Prozent oder 77 Euro im Jahr angehoben. Das ist ein indirekter Effekt des Ausfalls von russischem Gas. Denn den Gasnetzbetreibern, vor allem Richtung Italien, entgehen dadurch hohe Transitgebühren, die fehlenden Einnahmen müssen nun die Kundinnen und Kunden tragen.
„Die USA sind zum unsicheren Kantonisten geworden“
Sollte es in den nächsten Monaten sehr, sehr kalt werden, sei nicht ausgeschlossen, dass Gas im Großhandel auch wieder teurer werde, so Millgramm. Ausschläge, wie nach Russlands Angriff auf die Ukraine, erwartet aber niemand. Nach Ansicht von Walter Boltz, Experte für Gas bei Baker McKenzie, könnte Gas sogar billiger sein. Der Unsicherheitsfaktor sei die Sorge vor der erratischen Politik von US-Präsident Donald Trump. „Die USA sind zum unsicheren Kantonisten geworden“, sagt der ehemalige E-Control-Vorstand zu den SN. Europa müsse sich überlegen, ob es eine Grenze für den Anteil von amerikanischem LNG einziehen sollte. „Es ist leider nicht undenkbar, dass plötzlich die Gaspreise um 50 Prozent angehoben werden“, warnt Boltz.
Abhilfe könnte hier jedenfalls das Speicherregime schaffen, das die EU als Folge der Energiekrise 2022 eingerichtet hat. Österreichs Gasspeicher waren mit Stand Sonntag etwas über 80 Prozent voll. Verglichen mit 90 Prozent zur gleichen Zeit im Vorjahr ist der Füllstand geringer, nicht zuletzt weil die EU ihre Vorgaben (90 Prozent bis 1. November) gelockert hat und den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität einräumt. Mit 82 Terawattstunden Erdgas ist hierzulande aber noch immer mehr als ein Jahresverbrauch eingelagert. Anders als in Deutschland, wo die – ohnehin geringen Speicherkapazitäten – aktuell nur zu 70 Prozent genützt werden.
Die deutsche Bundesnetzagentur reagierte zuletzt gelassen auf die Zahlen. Die Versorgungslage in Deutschland habe sich dank zusätzlicher Importmöglichkeiten durch neue LNG-Terminals verändert. „Wir halten die Gefahr einer angespannten Gasversorgung im Augenblick für gering“, sagte ein Behördensprecher. Die meisten Speicher in Deutschland seien zu über 90 Prozent gefüllt, betonte auch die deutsche Wirtschaftsministerin Katharina Reiche. Das Füllstandsgesetz und die Quote seien rechtzeitig angepasst worden. EU-weit waren die Speicher zu Wochenbeginn zu 78,68 Prozent gefüllt. Die höchsten Stände wiesen mit mehr als 90 Prozent ihrer Kapazitäten Polen und Rumänien auf, gefolgt von Italien mit knapp 90 Prozent.
Von Monika Graf
Salzburger Nachrichten



