Wer profitiert vom Abschied von Öl und Gas?

27. November 2025, Wien

Beim Klimagipfel in Brasilien drängt Europa auf einen klaren Fahrplan, weg von Öl und Gas. Dahinter steckt auch ökonomisches Kalkül.

Am Donnerstag wurde es auf der 30. Klimakonferenz im brasilianischen Belém noch einmal ungeplant spannend: Ein Feuer brach auf dem Konferenzgelände aus, der Veranstaltungsort wurde evakuiert, die Verhandlung gestoppt. Bis dahin hat das Gipfeltreffen, auf dem sich knapp 200 Staaten einigen wollten, wie sie die Erderwärmung im Griff bekommen könnten, allerdings kaum handfeste Schlagzeilen geliefert.

Die Emissionen steigen weiter viel zu schnell an, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Die reichen Nationen zieren sich, den ärmeren Staaten bedeutend mehr Mittel für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels in die Hand zu geben. Die ölabhängigen Staaten zementieren sich in ihrer bekannten Blockadehaltung ein. Auch dass es bis zum offiziellen Ultimatum am Freitagabend keinen gemeinsamen Abschlusstext geben wird, gehört inzwischen schon längst zur Folklore. Unter dem Strich wenig Neues also. Oder doch?

Der österreichische IIASA-Forscher Keywan Riahi hat in Belém doch einige Veränderungen gegenüber früheren Jahren bemerkt: etwa eine erste Debatte darüber, wie die Welt darauf reagieren wolle, wenn das 1,5-Grad-Ziel vorübergehend verfehlt wird. Nach jüngsten Schätzungen wird diese Messlatte in den 2030er-Jahren fallen. Danach wird die Menschheit große Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen müssen, um zurück auf den Zielpfad zu kommen.

Neue Messgrößen gefordert

Mit den in Paris vereinbarten Methoden ist das unrealistisch. „Wir sehen, dass die Versprechungen der Länder, ihre Emissionen zu senken, nicht halten“, sagt Riahi. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern hat er auf der Konferenz daher auch neue Messgrößen für den Erfolg der internationalen Klimapolitik ins Spiel gebracht. Die Delegierten sollten drei neue Benchmarks für die Zeit bis 2035 in den finalen Text aufnehmen, so die Forderung. Und zwar die Halbierung der globalen Emissionen, die Verfünffachung der Solar- und Windkraftwerke und die Reduktion der Verbrennung fossiler Energieträger um 25 bis 50 Prozent.

Die Chancen, dass sich Teile dieses Vorstoßes in der Abschlusserklärung wiederfinden, sind gar nicht so schlecht. Eine Allianz aus 80 Staaten, darunter auch Österreich, fordert etwa bereits einen klaren und ambitionierten Fahrplan für den schrittweisen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas. Heute decken die Fossilen noch über 80 Prozent des globalen Energiebedarfs. Dass sich die Welt grundsätzlich von ihnen verabschieden muss, haben die Staaten schon 2023 beschlossen. Wie und wann das passieren soll, ist bisher aber völlig offen.

Länder wie Russland, Indien oder Saudiarabien stemmen sich gegen den Vorschlag. Aber unabhängig davon, ob es der Fahrplan in den einstimmig zu beschließenden Abschlusstext schafft oder nicht, sind die Unterzeichner gut beraten, sich daran zu halten. Und zwar aus ganz handfesten Gründen. „Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist nicht nur schlaue Klimapolitik“, sagt Klimaökonom Gernot Wagner. „Es ist auch der beste Weg, um die eigene ökonomische Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.“ Gerade die Staaten Europas, aber auch China und viele Schwellenländer, die vom Import fossiler Rohstoffe abhängig sind, könnten dadurch mittelfristig Kosten sparen, die Energieversorgung stabilisieren und gleichzeitig eine resilientere Basis für künftiges Wachstum schaffen.

In manchen Regionen der Erde ist die Energiewende längst ein ökonomischer Selbstläufer. „Die Solarenergie wächst im Schnitt alle zwanzig Jahre um den Faktor 1000“, sagt Christoph Brabec, Direktor am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien, zur „Presse“. Auch die Batteriepreise haben sich seit den 2010er-Jahren mehr als halbiert. Um hier Investitionen voranzutreiben, braucht es also keine politischen Deklarationen mehr. Es reicht ein Taschenrechner. Nicht ohne Grund sind fast 60 Prozent aller neuen Clean-Tech-Industrieprojekte im Sonnengürtel der Erde geplant. Finanziert übrigens meist von China, das – obwohl größter Treibhausgasemittent – die ökonomische Logik der Energiewende am besten verstanden zu haben scheint.

China ist Weltmarktführer


So hat das Land im Vorjahr zwar viermal so viel CO2 emittiert wie Europa und bezieht immer noch 60 Prozent seines Stroms aus Kohle, steckt aber gleichzeitig so viel Geld in Erneuerbare und Elektroautos wie keine andere Nation. Das Resultat: China ist bei all diesen Technologien heute Weltmarktführer. Ökonomen schätzen, dass die Clean-Tech-Branche schon ein Zehntel des chinesischen BIPs ausmacht.

In Europa „knirscht es hingegen an allen Ecken und Enden“, sagt der Forscher Christoph Brabec, „weil wir in unserer Gesellschaft so schnelle Transformationen üblicherweise gar nicht bewältigen können.“ In der Europäischen Union äußert sich das aktuell etwa im Wiederaufschnüren des „Green Deals“ und in den erneuten Grundsatzdebatten über den Sinn und Unsinn der Transformation in eine CO2-neutrale Wirtschaft.

China hingegen halte das grundsätzliche Ziel der Dekarbonisierung seiner Volkswirtschaft fest im Blick, nähere sich ihm aber nur so rasch und pragmatisch, dass das System an sich stabil bleibt. In der Volksrepublik werde „alles ausprobiert, dann aber rasch entschieden, was groß ausgerollt wird“, findet Brabec Gefallen an Pekings Weg. „Auch wir in Europa brauchen klare Entscheidungen“, sagt er. Ganz egal, was in Brasilien noch passiert.

Von Matthias Auer

Die Presse