Österreichs größter Kombinetzbetreiber Wiener Netze muss gleichzeitig Solarstrom integrieren, Gasleitungen stilllegen und erfahrene Mitarbeiter ersetzen, parallel findet ein Führungswechsel statt.
Der Mann kennt die Stadt von unten. Kabeltrassen aus den 1970er Jahren, Trafostationen, die zu klein geworden sind, und Gasleitungen, die in wenigen Jahren Geschichte sein sollen. Wenn der mit Jahresende in den Ruhestand tretende Geschäftsführer der Wiener Netze, Thomas Maderbacher, dieser Tage sein Büro in Wien-Simmering räumt, hinterlässt er kein fertiges Werk, sondern eine Dauerbaustelle. Das liegt freilich in der Natur der Sache. Der neue, Thomas Angerer, übernimmt ein Netz, das gleichzeitig stabil bleiben und sich doch radikal verändern muss.
Die Energiewende, das zeigt sich in der Bundeshauptstadt besonders deutlich, ist kein abstraktes Klimaprojekt. Sie ist ein logistischer Kraftakt. Während PV – sprich Photovoltaik-Anlagen – auf Dächern sprießen und Zielzahlen ein ums andere Mal nach oben korrigiert werden, stoßen die Netze an physische Grenzen. Ist das Netz eine Art Bremsklotz für die Energiewende in Wien? „Das sehe ich nicht“, sagt Maderbacher, der seit 35 Jahren im Konzern arbeitet und seit September 2017 als Geschäftsführer der Wiener Netze die Verantwortung über 20.800 km Stromnetz, 4600 km Gas- und 1300 km Fernwärmeleitungen trägt. Dazu kommen mehr als 2900 km Glasfaserkabel, die im Boden verlegt sind.
„Wir haben in den vergangenen zehn Jahren an die 40.000 PV-Anlagen dazubekommen und 19 neue Windkraftanlagen. Nicht zu vergessen, die rund 700 Energiegemeinschaften, die es im Gebiet der Wiener Netze (Wien, Teile Niederösterreichs und des Burgenlands; Anm.) gibt“, sagt Maderbacher. „Mir ist nicht bekannt, dass wir jemanden nicht angeschlossen hätten.“ Die Herausforderungen, die es gab und weiter geben wird, möchte Maderbacher nicht kleinreden. Das Investitionserfordernis werde steigen.
Mehr Investitionen
Sind in den vergangenen fünf Jahren unter Maderbacher knapp 1,7 Milliarden Euro in den Ausbau und die Adaptierung der Wiener Netze geflossen, wird es in den kommenden Jahren noch deutlich mehr sein. „Wir rechnen bis 2030 mit rund 2,2 Milliarden Euro an Investitionen in die Netze, das sind 30 Prozent mehr, jährlich rund 450 Millionen Euro,„ sagt Nachfolger Angerer. Davon würden „sicher mehr als 80 Prozent in den Strombereich“ fließen.
Angerer hat Industriellen Umweltschutz an der Montanuni Leoben studiert. Seine berufliche Karriere startete der gebürtige Steirer beim Umweltbundesamt. 2002 dockte der heute 54-Jährige bei der Fernwärme Wien an, wechselte dann zu Wien Energie und war zuletzt Geschäftsführer von immOH, einem der größten Servicedienstleister für Immobilienbetreuung unter dem Dach der Wiener Stadtwerke.
Angerer spricht von neuen Prozessen, Digitalisierung und dass es – Stichwort Gas – notwendig sei, strukturiert vorzugehen. Wien will bis 2040 klimaneutral werden, was nur geht, wenn der schrittweise Ausstieg aus Gas zum Heizen, Kochen oder zur Stromproduktion gelingt. „Das werden wir nicht allein lösen können, weil wir nicht der Vertrieb sind. Aber wir sind diejenigen, die das eine – Gasleitungen – stilllegen und das andere – zum Beispiel Fernwärme – vorbereiten können“, sagt Angerer.
Der Ausstieg aus Gas sei voll im Gang. „Hatten wir in Wien vor acht Jahren noch 660.000 Gasanschlüsse, sind es jetzt noch rund 560.000“, sagt Maderbacher. Damit der Ausstieg beschleunigt vonstattengehen könne, brauche es das neue Gaswirtschaftsgesetz mit der klaren Ansage, dass die Anschlussverpflichtung bei Gas fällt. Eine weitere Herausforderung, der sich der neue Geschäftsführer stellen muss, liegt im Unternehmen selbst: In den kommenden Jahren geht eine ganze Generation von Fachkräften in Pension. Angerer spricht von 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die neu aufgenommen werden müssen. Elektrotechniker, IT-Fachkräfte, Bauleiter, aber auch sogenannte Elektropraktiker mit abgeschlanktem Ausbildungsprofil – alle würden gebraucht. Um nicht ganz von der Außenwelt abhängig zu sein, werde man auch die Lehrlingsausbildung, seit Langem ein wichtiger Hebel der Mitarbeiterakquirierung, weiter forcieren.
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