Klimapolitik. Die entscheidende Frage ist nicht, was Österreich in den vergangenen Jahren versäumt hat – sondern was 2026 möglich ist.
Österreich ist ein Umwelt-Musterland. So sehen wir uns selbst, so erzählen wir es uns seit Jahren. Klare Seen, grüne Almen, weiße Pisten. Sauberer Strom aus Wasserkraft, Bio-Landwirtschaft, hohe Lebensqualität, innovative Industrie, Traumdestination im Tourismus. Dieses Selbstbild ist bequem. Doch es steht im Widerspruch zur Realität: fortschreitende Bodenversiegelung, hohe Emissionen im Verkehr, Abhängigkeiten von fossilen Importen und die Gefahr verfehlter Klimaziele. Diese Diskrepanz schafft kommunikative Blockaden. Denn wer glaubt, bereits gut aufgestellt zu sein, verspürt keinen Handlungsdruck. Kritik wird als Angriff verstanden, notwendige Reformen als Zumutung. Aus dieser Position ist es schwierig, eine gemeinsame Zukunftsvision zu entwickeln.
Klimapolitik ist heute längst keine moralische Frage mehr. Sie entscheidet über wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, soziale Stabilität, politische Selbstbestimmung. Das gilt auf europäischer Ebene ebenso wie für Österreich. Die Debatte kam in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Fahrt, doch 2025 war ein Jahr des Rückschritts in der Klimapolitik. Die USA setzen auf Kulturkampf gegen Windräder, E-Mobilität und saubere Technologien; im allgemeinen Kahlschlag der wissenschaftlichen Institutionen wurde Klimaforschung bewusst ins Fadenkreuz genommen. In Europa begann eine schleichende Relativierung des Green Deals. Die Politik lässt jene Unternehmen, die langfristige Investitionen in neue Technologien begonnen haben, im Stich und untergräbt damit die eigene Glaubwürdigkeit und den Wirtschaftsstandort.
Auch in Österreich wurden Heizkesseltausch-Förderungen reduziert, statt fossile Subventionen zu reformieren. Der Entwurf des Klimagesetzes ist wieder in der Schublade verschwunden. Politiker sprechen von „sauberer Industrie” und „enkelfitter Zukunft”, aber in der tatsächlichen Umsetzung legen sie die Priorität dann doch immer wieder auf Gratis-Verschmutzungszertifikate für die Industrie und neue Autobahn-Projekte.
Ein lebenswertes Österreich
Doch der entscheidende Punkt ist nicht, was 2025 versäumt wurde – sondern was jetzt möglich ist. 2026 ist in Österreich ein Jahr ohne Wahlen, ohne unmittelbaren Kampagnendruck. Eine seltene Gelegenheit, Politik über den nächsten Umfragewert hinaus zu machen.
Stellen wir uns ein Österreich vor, in dem sich unser Selbstbild mit der Realität deckt. Ein Land, in dem hohe Lebensqualität, Wohlstand und Nachhaltigkeit einander nicht widersprechen, sondern sich gegenseitig verstärken.
In den Städten sorgen Grünflächen, Bäume und entsiegelte Plätze für Abkühlung, saubere Luft und hohe Aufenthaltsqualität. Wo heute Autos den öffentlichen Raum verstellen, entstehen Spielplätze, Schanigärten, Märkte, sichere Radwege. Wie beim Rauchverbot in Lokalen wird man sich dann kaum noch vorstellen können, welche Einschränkungen wir heute noch als normal akzeptieren.
Auch kleinere Orte profitieren. Leerstand wird genutzt, Ortskerne werden belebt statt immer noch mehr Supermärkte und Fachmarktzentren auf die grüne Wiese zu stellen. Öffentliche Verkehrsmittel verbinden Orte zuverlässig und bequem. In ländlichen Regionen ergänzen Rufbusse, Sammeltaxis, Carsharing und Leih-E-Bikes den Bus- und Bahnverkehr. Mobilität wird zur Freiheit, nicht zur finanziellen oder zeitlichen Belastung.
Auf unseren Dächern produzieren PV-Anlagen sauberen Strom. Windenergieanlagen, Wärmepumpen und Geothermie ersetzen Öl und Gas. Netze und Speicher sorgen dafür, dass Energie regional, dezentral und verlässlich verfügbar ist. Fossile Abhängigkeiten gehören der Vergangenheit an – und mit ihnen die Erpressbarkeit durch autoritäre Regime. Für viele Haushalte bedeutet das stabile Energiepreise und ein spürbares Plus im Geldbörserl.
Wirtschaft profitiert
Die heimische Wirtschaft profitiert von dieser Transformation. Milliarden, die wir früher für fossile Importe ins Ausland überwiesen haben, schaffen Wertschöpfung im Land: bei Handwerksbetrieben, Bauunternehmen und Industrie. Österreich wird als Standort für erneuerbare Energien, Green Tech, Recycling und Kreislaufwirtschaft international noch attraktiver.
Neue Jobs entstehen.
Unsere Landschaft verändert sich. Entsiegelte Flächen, renaturierte Flüsse und wiedervernässte Moore schaffen Naturräume und schützen gleichzeitig vor Hochwasser. Mischwälder ersetzen anfällige Monokulturen, binden CO2 und stabilisieren Böden. Das schützt vor Überschwemmungen und Muren – und steigert die Biodiversität. Bäuerinnen und Bauern werden für regenerative Praktiken entlohnt, Humusaufbau und Bodenschutz werden Teil der Wertschöpfung.
Diese Vision ist keine Utopie. Sie beschreibt ein Österreich, das mit kluger Politik erreichbar ist – wenn wir konsequent handeln.
Was politisch zu tun ist
Um diese Zukunft zu ermöglichen, reichen kleine Schritte nicht mehr aus. Es braucht Entscheidungen an den großen Hebeln.
Erstens: klimaschädliche Subventionen reformieren. Steuerliche Begünstigungen für Diesel, fossile Dienstautos oder eine unausgewogene Pendlerförderung kosten den Staat Milliarden und zementieren falsche Anreize. Ihre Reform würde das Budget entlasten und Emissionen dauerhaft senken.
Zweitens: gezielt investieren. In Bahn, Bus und Radverkehr. In erneuerbare Energien, Netze und Speicher. In die Elektrifizierung von Industrie und Gebäuden. Diese Investitionen zahlen sich mehrfach aus: Sie stabilisieren Energiepreise, stärken die Konjunktur und sichern Wettbewerbsfähigkeit. Die Kosten des Nichthandelns sind nachweislich höher als jene einer rechtzeitigen Transformation.
Drittens: Planungssicherheit schaffen. Für den Ausstieg aus Öl und Gas brauchen Industrie und Haushalte verbindliche Rahmenbedingungen. Unklare Vorgaben oder Zickzack-Politik führen zu Fehlentscheidungen und bremsen Investitionen. Ein ambitioniertes Klimagesetz mit verbindlichen Zielen und klaren Zuständigkeiten ist zentral für die Transformation.
Viertens: nachhaltige Infrastruktur ausbauen. Nachhaltiges Leben wird erst möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Verlässliche Öffis, sichere Radwege, Ladeinfrastruktur für E-Mobilität und leistungsfähige Netze schaffen echte Wahlfreiheit – unabhängig von Einkommen oder Wohnort.
Zusätzlich braucht es einen Wandel der gesellschaftlichen Normen. Viele Veränderungen sind bereits im Gang: weniger Dienstflüge, neue Mobilitätsmuster, bewussterer Umgang mit Ressourcen. Die Geschichte zeigt, dass sich Gesellschaften schnell bewegen, wenn sich das Bild vom guten Leben verändert. Österreich kann 2026 Vorreiter eines selbstbewussten, handlungsfähigen, zukunftsorientierten Europas werden. Die ökologische Transformation ist dafür kein Risiko – sie ist die größte Chance seit Jahrzehnten. Es liegt an uns, sie zu nutzen.
Der Text ist angelehnt an einen Beitrag aus dem Buch „Wie wir leben wollen. Visionen für eine bessere Welt“, Hrsg: Christian Friesl, Edith Meinhart, Regina Pollak (2025, Edition A). Expertinnen und Experten blicken darin zuversichtlich in Österreichs Zukunft.
Zu den PersonenKatharina Rogenhofer war Sprecherin des Klimavolksbegehrens und ist Vorständin des Kontext-Instituts für Klimafragen. Daniel Huppmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg und war Co-Vorsitzender des Zweiten Österreichischen Sachstandsberichts zum Klimawandel.
Von Katharina Rogenhofer und Daniel Huppmann
Die Presse







