Weil einer der ärmsten Staaten Europas die Stromimporte nicht mehr zahlen konnte, kam es am Montag zu Elektrizitätsausfällen im Kosovo. Albanien half aus. Doch viele fürchten den Winter, wenn die Preise weiter steigen.
Viele Kosovaren fühlten sich an die 90er-Jahre erinnert, als am Montag plötzlich die Ventilatoren nicht mehr summten und aus den Kühlschränken das Wasser tropfte. Für zwei Stunden wurde der Strom abgestellt. Normalerweise gibt es im Kosovo nur im Winter Mängel in der Elektrizitätsversorgung. Nun wurden die Behörden aber mitten im Sommer vom Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E), dem Verbundsystem Kontinentaleuropas, gewarnt, dass es zu Engpässen kommen könnte.
Der Grund war, dass der Stromverbrauch im Juli und August dieses Jahres teilweise viel höher lag als die Stromerzeugungskapazitäten. Wegen des enormen Strompreisanstiegs verfügte der Staat jedoch einfach nicht über die finanziellen Mittel, um ausreichend Strom aus dem Ausland zuzukaufen.
Zwei Stunden ausgeschaltet
Am Montag reagierte deshalb der Nachbarstaat Albanien und half aus. Und siehe da, am Nachmittag um 14 Uhr wurde der Strom wieder eingeschaltet. Die Unterstützung aus Albanien basiert auf einer Vereinbarung zwischen dem kosovarischen Stromverbund KOSTT und der ENTSO-E aus dem Jahr 2020.
Mit dem Vertrag wurde die KOSTT Teil des Kosovo-Albanien-Regulierungsblocks und verließ damit den serbischen Regulierungsbereich im SMM-Block, zu dem Serbien, Montenegro und Nordmazedonien gehören. Der Schritt war die energiepolitische Konsequenz der Unabhängigkeit des Kosovo, der früher eine autonome Provinz in Jugoslawien war. Auch die Starkstromverbindungsleitung zwischen dem Kosovo und Albanien wurde 2020 in Betrieb genommen. In der Regel hat Albanien ausreichend Energie im Winter durch die Wasserkraft und der Kosovo im Sommer durch die Kohlekraftwerke. Die beiden Staaten können sich wechselseitig aushelfen.
Doch der nunmehrige Stromausfall ist auf den weltweiten Anstieg der Energiepreise wegen des Krieges gegen die Ukraine zurückzuführen. Und es könnte noch schlimmer kommen. Die kosovarischen Behörden forderten deshalb die Bürger und Unternehmen auf, Sparmaßnahmen zu ergreifen und sorgsam mit Strom umzugehen. Dies war in den vergangenen Monaten im Kosovo – anders als in mitteleuropäischen Staaten – nicht der Fall.
„Die regelmäßige Stromversorgung ist zurück“, teilte das kosovarische Wirtschaftsministerium auf Facebook mit, warnte aber gleichzeitig, dass noch große Herausforderungen in der Energieversorgung bevorstehen. Berechnungen zufolge wird nämlich von Anfang November bis Ende März 2023 im Kosovo ein Strommangel von mindestens 221 Megawatt pro Stunde auftreten, der nur durch Importe gedeckt werden kann. Dies dürfte in den kommenden Monaten zu Mehrkosten von 220 bis 580 Millionen Euro führen.
Der Strompreis hat sich ohnehin seit Jahresbeginn bereits verdoppelt. Im Kosovo heizen aber viele mit Strom. Bei einem Durchschnittsgehalt von 400 Euro werden es sich einige nicht mehr leisten können, zu heizen, unabhängig davon, ob der Strom abgeschaltet wird oder nicht. Mehr als ein Drittel der Menschen lebt unterhalb der Armutsgrenze, fast die Hälfte ist arbeitslos. Eine Familie mit drei Kindern in der Hauptstadt Prishtina zahlte im Vorjahr im Juli 180 Euro für Strom, heuer sind es fast 400 Euro. Für Pensionisten und Arbeitslose droht der Winter hart zu werden.
Hindernis für Entwicklung
Zu den Risiken gehört auch, dass ein Block im kosovarischen Kraftwerk ausfällt – was in der Vergangenheit immer wieder der Fall war – oder dass die Preise noch weiter steigen. Dies ist dann realistisch, wenn das Gas in Europa noch knapper wird oder die Temperaturen anhaltend tief sind.
Während für viele andere Europäer die Energieknappheit vor allem eine Einschränkung der Lebensqualität bedeutet, stellt sie für die Kosovaren auch ein Hindernis für Wirtschaftswachstum und Entwicklung dar, wie die Weltbank analysiert. Die häufigen Stromausfälle seien eine Hürde für den Produktionsprozess, das Bildungswesen und den Gesundheitssektor, stellte die Weltbank fest.
Es fehlt zudem an Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz – etwa Isolierungen von Wohngebäuden. Auch politisch bedeuten die Strompreise Unruhe: Die Opposition forderte bereits den Rücktritt von Premier Albin Kurti.
Der Standard