Energiepolitik. Beim Energiegipfel im Kanzleramt wurde bekannt, dass Wien Energie „dringend finanzielle Unterstützung“ braucht. Kanzler fordert EU-„Schulterschluss“ und Strom- von Gaspreis zu entkoppeln
Jetzt muss es schnell gehen.
Weil die Großhandelspreise für Strom und Gas wegen des geltenden Merit-Order-Prinzips in der EU (siehe Grafik) in noch nie da gewesene Höhen für Industrie wie Private schnellen.
Weil der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Russland-Sanktionen fortdauern und die Heizperiode bald beginnt.
Wie prekär die Situation ist, das machte der Energiegipfel, zu dem Kanzler Karl Nehammer Sonntagabend Regierungsmitglieder und Vertreter der Energiewirtschaft geladen hatte, klar.
Pochte der Kanzler vor Beginn des Gesprächs noch darauf, dass es auf europäischer Ebene einen „Schulterschluss der EU-27“ brauche, um den Gas- vom Strompreis zu entkoppeln und diesen „Irrsinn“ zu beenden, waren wenige Stunden nach dem Gipfel die finanziellen Nöte der Wien Energie das Thema Nummer Eins.
1,7 Milliarden Bedarf
Deren Chef, Michael Strebl, saß ebenso am Regierungstisch wie Verbund-Chef Michael Strugl und E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch.
Wie der KURIER aus Verhandlerkreisen erfuhr, soll die Wien Energie ob der exorbitant gestiegenen Preise 1,7 Milliarden Euro an Sicherheiten (Anm. für Future-Geschäfte) hinterlegen müssen, selbiges aber derzeit nicht können.
In einer offiziellen Stellungnahme von Wien Energie heißt es: „Wien Energie ist nicht insolvent/pleite.“ Um die Versorgung sicherzustellen, führe man Handelsgeschäfte an Energiebörsen durch. „Dabei muss das Unternehmen – wie alle Börseteilnehmer – Sicherheitsleistungen hinterlegen.“ Wegen der „abermals explodierten Strompreise steigen diese erforderlichen Sicherheitsleistungen unvorhergesehen an“. Diese Sicherheiten kämen zurück, sobald die Handelsgeschäfte abgewickelt werden.
Allerdings: Vor zwei Jahren waren die Wiener aus dem gemeinsamen Stromhandel der Energieallianz
(Wien, NÖ, Burgenland) ausgestiegen und beim Einkauf eigene Wege gegangen.
ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner lässt nach Bekanntwerden der fehlenden Sicherheiten via ZiB2 wissen, dass die Wien Energie der Regierung die „Problemstellung“ dargelegt habe. Der Energieversorger brauche „dringend Unterstützung“. In der Nacht auf heute, Montag, sei man in der Regierung damit beschäftigt, „zu klären, was die Stadt Wien als Eigentümerin beitragen kann, was von der Bundesregierung erwartet wird“, sagte Brunner. Man kenne keine genauen Zahlen, die Versorgungssicherheit sei aber gegeben.
Die türkis-grüne Koalition sei „etwas überrascht gewesen“, dass beim Energiegipfel Vertreter der Stadt Wien nicht anwesend waren – wohl aber Vertreter der Wien Energie und der Stadtwerke, erklärte Brunner im ORF-Interview. Der Finanzminister geht davon aus, dass die Stadt Wien heute, Montag, an die Regierung herantreten wird. Es gehe um die „Liquidität der kommenden Tage und Wochen“ und um die Frage, ob die Stadt Wien als Eigentümerin die „finanzielle Notlage“ alleine wird abwenden können oder aber die Bundesregierung dafür brauche. „Wir sind natürlich bereit zu helfen“, sagt der ÖVP-Minister. Derzeit betreffe das Problem, so Brunner auf Nachfrage , nur die Wien Energie und keine anderen Energieversorger in Österreich.
Unklar ist indes weiter, wie die von der türkis-grünen Regierung bis Monatsende avisierte Strompreisbremse für Österreich ausgestaltet ist und funktionieren wird. Technische Details würden gegenwärtig diskutiert, heißt es.
„Profit-Autopiloten“
In Deutschland forderte der liberale Finanzminister Christian Lindner (FDP) in der Bild am Sonntag einen Eingriff in den Markt. „Die Bundesregierung muss sich mit größter Dringlichkeit den Strompreisen widmen“, andernfalls werde „die Inflation immer stärker durch eine Stromkrise angetrieben“. ( Juli-Inflation lag in Deutschland bei 7,5%, in Österreichs bei 9,3%). Da von der Merit Order auch Windkraft-, Solaranlagen- und Kohlekraftwerksbetreiber profitieren, habe die Politik am Strommarkt „einen Profit-Autopiloten eingerichtet“.
Österreich schlägt nun in die diese Kerbe – sieht dabei aber insbesondere die EU gefordert. „Es ist fünf nach 12 an den Energiemärkten. Man muss den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln“, sagt Kanzler Nehammer. Nicht zuletzt deshalb habe er vermehrt Gespräche mit Energieexperten und Regierungschefs wie Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz und Tschechiens Premierminister Petr Fiala
(EU-Vorsitzland) geführt.
Kurier