Das gute Gas hat schlechte Karten

28. Feber 2023

Ganz so einfach ging es dann also doch nicht. Ein knappes Jahr nachdem Österreich die Parole ausgegeben hat, erst auf russisches und später auf jegliches Erdgas verzichten zu wollen, hat sich real wenig verändert: Haushalte, Unternehmen und Stromerzeuger brauchen den fossilen Brennstoff wie eh und je. Den Löwenanteil liefert wie gehabt die russische Gazprom. Hauptsache, die Speicher sind voll und der Winter ist „geschafft“. Dass sich Politik und Wirtschaft kurzfristig um die Versorgungssicherheit kümmern müssen, ist klar. Aber der Tunnelblick auf die nächsten zwölf Monate birgt auch die Gefahr, die Zeit danach aus dem Auge zu verlieren.

Denn eines ist unbestritten: Ohne gasförmige Brennstoffe wird es auch in zwanzig Jahren nicht gehen. Laut Studien der Energieagentur wird der gesamte heimische Gasbedarf 2040 zwischen 89 und 138 Terrawattstunden jährlich liegen, vielleicht also sogar entscheidend höher als heute. Jede Menge fossiles Gas muss bis dahin durch „gutes“ Gas wie Biomethan oder grünen Wasserstoff ersetzt werden. Wasserstoff, durch die Spaltung von Wasser mittels Ökostrom erzeugt, ist der größte Hoffnungsträger der Industrie. Kraftstoffe, Stahl, Zement — all das soll künftig mit dem nachhaltigen Gas produziert werden. Ideen und Projekte gibt es genug. Seit Sommer hat das Land auch eine Wasserstoffstrategie und hehre Ziele. Doch passiert ist seither wenig. Die Neuerfindung der Industrie stockt — und niemand will daran schuld sein.

Wenig Geld, wenig Zeit. Dabei müsste in sieben Jahren der Großteil der Arbeit schon erledigt sein. Spätestens 2030 soll die heimische Industrie 80 Prozent des fossilen Gases, das sie heute braucht, durch grünen Wasserstoff ersetzen, so der Zeitplan der schwarz-grünen Koalition. Damit das gelingt, müsste ein kleines Wunder passieren — und zwar bald.
Zwar arbeiten fast alle großen Konzerne von der Voestalpine über OMV bis zum Verbund aktuell an Wasserstoffprojekten. Der große Durchbruch ist aber noch nicht in Sicht. Die Hürden sind in Österreich dieselben wie im Rest der Welt: Um genügend Wasserstoff zu akzeptablen Preisen zu erzeugen, braucht es mehr Ökostrom, mehr Geld und mehr Klarheit, als die meisten (europäischen) Staaten zu geben bereit sind. Nach Schätzungen der IEA müssten in Summe 9,46 Billionen Euro in grünen Wasserstoff investiert werden, damit die globalen Klimaziele in Reichweite rücken. Die Banken zögern, weil große Unklarheit herrscht, wer im Milliardengeschäft von morgen eine Rolle spielen kann und darf, heißt es in einer Studie der Boston Consulting Group.

Diese Unsicherheit lähmt die Branche auch hierzulande. Österreich ist zu klein, um sich mit Wasserstoff selbst versorgen zu können. Drei Viertel des künftigen Bedarfs müssen aus Ländern wie Marokko oder Algerien importiert werden. Was fehlt, sind nicht nur Lieferverträge, sondern auch Leitungen, um das grüne Gas ins Land zu bekommen. Und auch der Wasserstoff, der im Land erzeugt wird, muss irgendwie dahin kommen, wo er gebraucht wird.
Ein kleines Beispiel illustriert das Dilemma: Im Juli 2022 präsentierten die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Burgenlands roter Landeshauptmann Hans Peter Doskozil stolz die Pläne für den Bau des europaweit größten Wasserstoff-Elektrolyseurs im Nordburgenland. Immerhin finanzieren die Steuerzahler das Projekt von Burgenland Energie und Verbund. Doch wohin mit den 46.000 Tonnen Wasserstoff, die auf der Parndorfer Platte erzeugt werden sollen? OMV und Wien Energie hätten gerne eine Leitung nach Schwechat und Wien, um Raffinerie und Gaskraftwerke mit Wasserstoff versorgen zu können. Die zuständige Austrian Gas Grid Management AGGM, würde die Pipeline auch gerne bauen, steht hier aber vor demselben Problem wie bei allen Projekten, die notwendig wären, um das bestehende Gasnetz auf den Einsatz von Wasserstoff umzurüsten: Darf sie das? Und werden ihr die Kosten ersetzt?

Warten auf die EU? Hintergrund ist die EU-weite Debatte darüber, wer die künftige Wasserstoffinfrastruktur betreiben soll. Die Staaten selbst? Bestehende Netzbetreiber? Private Investoren? Bis die EU das klärt, dürfte noch eine Weile vergehen. Soll Österreich bis dahin weiter stillhalten und nichts tun?

„Wenn wir nur auf die EU warten, ist das nicht zielführend“, sagt E-Control-Chef Alfons Haber. „Man muss der Industrie auch eine Perspektive geben.“ Die Politik müsse klarstellen, dass auch bestehende Netzbetreiber das Wasserstoffnetz ausbauen dürfen, fordert der Regulator. AGGM-Chef Michael Woltran sieht hingegen die „Zaghaftigkeit des Regulators“ als Ursache des Stillstands. „Der Regulator könnte, er will nicht“, verweist Woltran auf ein Rechtsgutachten und drängt zur Eile: „Wir werden uns nicht den Luxus leisten können, auch nur ein Futzerl Energie aus Erneuerbaren nicht zu nutzen.“ Das Energieministerium verspricht „möglichst rasch Rechtssicherheit für alle Beteiligten“ und will — wenn notwendig — „gesetzliche Verbesserungen“ auch vor dem EU-Entscheid umsetzen.
Die Chance lebt also, dass sich zumindest diese Blockade auflösen lässt und die junge Wasserstoffstrategie nicht schon zum Papiertiger verdammt ist. Notwendig wäre es in jedem Fall. Sonst muss das Land in zehn Jahren noch darüber reden, wie es genug Erdgas für den nächsten Winter bekommt.

Die Presse am Sonntag