Die Testphase für den heißdiskutierten Grenzausgleich ist im Oktober gestartet. Er kann den Einsatz grüner Technologien weltweit ankurbeln, die Industrie warnt vor massiven Einschnitten.
Wasserstoff statt Koks: Die Voest baut in Linz und Donawitz Lichtbogenöfen, mit denen sie klimaverträglich Stahl erzeugen will. Es sei das größte Klimaschutzprogramm in Österreich, warb Voest-Chef Herbert Eibensteiner diese Woche beim Spatenstich – bisher ist die Stahlproduktion eine von Österreichs größten CO₂-Quellen. Schritt für Schritt sollen die neuen Öfen das ändern.
Damit verschafft sich der österreichische Stahlhersteller einen Vorteil im europäischen Emissionshandel: Je weniger CO₂ eine Industrieanlage ausstößt, desto weniger muss ein Unternehmen zahlen. Eine Tonne CO₂ kostet derzeit mehr als 80 Euro. Tatsächlich bezahlt haben die Unternehmen bisher allerdings weit weniger. Die EU verteilte nämlich Gratis-Emissionsrechte für Industrieanlagen. Damit wollte die EU vermeiden, dass die Betriebe in Länder abwandern, die keinen CO₂-Preis verlangen – gleichzeitig nahm es dem System die Zähne.
Bald ist es aber vorbei mit den Gratis-Zertifikaten: 2026 laufen sie aus. Um Europas Industrien dennoch vor günstigeren Anbietern aus Drittstaaten zu schützen, griff die EU zu einem Instrument, das sie als weltweit erster Wirtschaftsraum einführt: einem Grenzzoll auf CO₂ (CBAM).
Die Idee dahinter ist einfach. Unternehmen, die Stahl, Eisen, Aluminium, Zement, Düngemittel sowie Strom und Wasserstoff in die EU liefern wollen, müssen an der Grenze in etwa denselben CO₂-Preis zahlen, den europäische Unternehmen bereits über den Emissionshandel zahlen. Mit Anfang Oktober ist die Testphase gestartet.
Globale Wirkung
Zunächst müssen Unternehmen nur berichten, wie viel CO₂ die Herstellung der importierten Waren verursacht hat. Die ersten Berichte sind Ende Jänner fällig. Erst ab Anfang 2026 verlangt die EU tatsächlich Geld für die Importe.
„Das System ist ein wichtiges Signal“, sagt Wifo-Ökonomin Claudia Kettner. Vor allem auch außerhalb der EU könnte das Instrument einen wichtigen Anstoß in Richtung Dekarbonisierung geben. Denn führt ein Drittstaat ebenfalls einen CO₂-Preis ein, wird dieser vom Grenzausgleich abgezogen. Und auch sonst profitieren Unternehmen, die auf grüne Technologien setzen. „Ein globaler CO₂-Preis oder Klimaklubs wären vorzuziehen, aber das ist aktuell nicht in Sicht“, so Kettner.
Viele Industriebetriebe sehen den Grenzausgleich allerdings kritisch. So sagt die Voest, das System müsse sich „erst beweisen“. Betroffen ist sie unter anderem, weil sie Materialien für die Stahlherstellung, wie etwa Eisenerzpellets, aus Drittstaaten importiert – auch dafür wird der Grenzausgleich verlangt.
Vor allem weiterverarbeitende Unternehmen in Europa stellt das vor ein Problem. „Diese Verpflichtung betrifft vor allem die weiterverarbeitenden Betriebe“, heißt es seitens der Wirtschaftskammer.
Auch schafft der Grenzzoll zwar bessere Wettbewerbsbedingungen innerhalb Europas, doch auf dem Weltmarkt bleibt der Kostenunterschied. Eine Lösung für die Exporte hat die EU bislang nicht gefunden. Die Voest kritisiert: Das System würde die globale Wettbewerbsfähigkeit der exportierenden EU-Industrie schwächen. Gleichzeitig biete die Entscheidung zumindest „deutlich mehr Planungssicherheit für die Umstellung auf CO₂-reduzierte Technologien“.
Investitionen gefordert
Offen bleibt, wie die EU den Effekt für ärmere Staaten abfedern will, die nach Europa exportieren, aber im Umstieg auf grüne Technologien hinterherhinken. Die im Verhältnis am stärksten betroffene Volkswirtschaft ist laut dem Thinktank Carnegie Europe jene von Mosambik. 20 Prozent seiner Exportprodukte, großteils Aluminium, fallen unter den CBAM. Auch Bosnien, die Ukraine, Serbien und Zimbabwe zählen zu den im Verhältnis am meisten betroffenen Staaten.
„Mit der Einführung des CBAM hat die EU jetzt Verantwortung“, so Sinan Ülgen von Carnegie. „Die EU muss mit ihren Handelspartnern zusammen nach Antworten suchen.“ Das könnte heißen: Investitionsunterstützungen – diskutiert wird, teils jene Milliarden dafür zu nutzen, die die EU mit dem Grenzausgleich einheben wird.
Der Standard