Anlauf zur Reform des Strommarkts in der EU

18. Oktober 2023

EU-Energieministerinnen und -minister suchen nach einem neuen Modell, mit dem man Preiskapriolen bei Strom abfedern kann.

Als Reaktion auf den rasanten Anstieg der Strompreise Ende 2021 und 2022 nach Beginn des Ukraine-Kriegs will die Europäische Union ihren Strommarkt reformieren. Am Dienstag wollen sich die in der EU für Energie zuständigen Ministerinnen und Minister auf eine gemeinsame Position einigen. Eine Hürde, die es dabei zu überwinden gilt, bleibt die Atomenergie.

Der Reformvorschlag der EU-Kommission sieht vor, Anreize für längerfristige Stromlieferverträge zu schaffen, um die Auswirkungen kurzfristiger Preisspitzen abzumildern. Ein anderes Mittel sind sogenannte Differenzverträge: Staat und Stromerzeuger handeln dabei Garantiepreise aus. Liegt der Marktpreis unter dem ausgemachten Preis, entschädigt der Staat den Produzenten. Andernfalls schöpft der Staat die Differenz ab und kann das Geld nutzen, um die Stromverbraucherinnen und -verbraucher finanziell zu unterstützen.

Knackpunkt dabei ist die Frage, welche Anlagen für solche Differenzverträge infrage kommen. Die Kommission versucht hier zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und will dies grundsätzlich nur bei Investitionen in klimafreundliche Kraftwerke zulassen. Uneinig aber sind sich die EU-Staaten, ob dies nur für neue Anlagen gelten soll oder auch bei Investitionen in bestehende Anlagen – und ob auch Atomkraftwerke davon profitieren können.
Starker Befürworter der Atomenergie ist Frankreich, Länder wie Deutschland oder Österreich sind dagegen. Frankreich und Deutschland drückten aber zuletzt nach einem bilateralen Treffen die Hoffnung aus, bis Ende des Monats eine Lösung in dem Streit zu finden. Neben der grundsätzlichen Haltung zur Kernenergie spielen hier auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verwies jüngst auf die Notwendigkeit, dass Europa gegenüber den USA wettbewerbsfähig bleibt. Deutschland dürfte hingegen um seine eigene Wettbewerbsfähigkeit fürchten, wenn Frankreich seine Industrie mittels Differenzverträgen mit billiger Energie versorgen kann.

„Aus französischer Sicht ist das keine versteckte Staatshilfe, sondern es spiegelt einfach, dass Frankreich ein viel leistungsfähigeres Stromsystem hat als Deutschland“, monierte der französische Energieexperte Marc-Antoine Eyl-Mazzega vom Pariser IFRI-Institut im deutschen TV. Die Regierung in Paris wolle nicht die Kosten des deutschen Atomausstiegs mittragen.

Den Strommarkt „fit für die Zukunft“ machen und dabei darauf achten, dass es nicht zu unfairen Wettbewerbsbedingungen kommt – das ist auch für Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Ziel der Reform, sagte sie am Montag am Rande eines Treffens der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg. Am Energierat am Dienstag wird Gewessler nicht teilnehmen. Sie zeigte sich aber optimistisch, dass es hier zu einer Einigung kommen kann.

Sollten sich die EU-Energieminister am Dienstag tatsächlich auf eine Position einigen, stehen als nächster Schritt Verhandlungen mit dem EU-Parlament an. Dieses hatte bereits Mitte September seine Verhandlungsposition verabschiedet. Darin sieht das Parlament die Möglichkeit von Differenzverträgen für Atomanlagen vor, setzt dafür aber auch Grenzen.

Salzburger Nachrichten