Strom. Die EU wollte Private vor hohen Preisen bewahren und Erneuerbare fördern. Jetzt zählt nur, wer seine Firmen am besten schützen darf.
Im Sommer 2022 war die Energiepreiskrise in Europa auf ihrem Höhepunkt angelangt. Die rekordhohen Gaspreise hatten paradoxerweise auch die Kosten für an sich billige Wasser- und Nuklearenergie auf dem Kontinent so weit in die Höhe geschraubt wie nie zuvor. Angesichts der Hilflosigkeit der Regierungen war klar: So etwas darf sich nicht wiederholen, und dafür muss der Strommarkt der EU grundlegend erneuert werden.
Heute sind die Reformpläne in der Zielgeraden, doch vom ursprünglichen Vorhaben ist wenig übrig: Das umstrittene Merit-Order-Prinzip, wonach das teuerste Kraftwerk den Preis für allen Strom auf dem Markt bestimmt, bleibt erhalten. Stattdessen wurde eine Regelung erdacht, nach der die Staaten künftig den Ausbau der Erneuerbaren finanzieren sollen. Doch selbst das ist umstritten, da manche Staaten das System missbrauchen könnten, um der eigenen Industrie Milliarden zuzuschanzen.
Hohe Preise lohnen sich
Brüssel sieht die Einführung sogenannter Differenzverträge für die Errichter von Ökostromkraftwerken vor. Simpel gesagt vereinbart der Staat unter dieser Logik mit dem Kraftwerksbetreiber einen fixen Preis für erzeugten Grünstrom. Ist Elektrizität an der Börse weniger wert als der vereinbarte Mindestpreis, bezahlt die öffentliche Hand die Differenz. Ein Prinzip, das Österreich mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz in seinen Grundzügen bereits vorsieht, wie die E-Control sagt. Neu ist hingegen, was passiert, wenn der Strom an der Börse mehr wert ist als der vereinbarte Preis. Dann müssten die Betreiber die Differenz an den Staat bezahlen, der die Summen verwenden könnte, um die betroffenen Energiekunden zu entlasten.
Genau an diesem Punkt aber spießt es sich zwischen Deutschland und Frankreich. Berlin fürchtet, dass Paris die Regelung ausnützen könnte, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Dann nämlich, wenn es Frankreich erlaubt sein sollte, die Differenzverträge auch auf seine alternde Atomkraftwerk-Flotte anzuwenden. Frankreich ist immer noch zu zwei Dritteln von seinen bestehenden Atommeilern abhängig, die Strom zu sehr geringen Kosten erzeugen. Paris müsste den Betreibern also nur einen niedrigen Mindestpreis anbieten und bekäme von der staatlichen EdF bei steigenden Börsenpreisen hohe Summen überwiesen, die es der energieintensiven Industrie weitergeben will. Die französischen Unternehmen hätten einen Industriestrompreis, den kein anderes Land in Europa bieten könnte. Deutschland (und Österreich) stemmen sich dagegen.
Einigung auf Kompromiss
Am Dienstagabend einigten sich die EU-Staaten auf einen Kompromiss: Demnach können nur neue klimaneutrale Anlagen (in der Regel Wind- oder Solarkraft, aber auch Nuklearenergie) ohne weitere Kontrolle mithilfe von Differenzverträgen unterstützt werden. Wird in bereits bestehende Anlagen mit staatlicher Unterstützung investiert, muss die EU-Kommission diese Hilfe zuerst auf wettbewerbsrechtliche Aspekte überprüfen. Bereits diesen Donnerstag sollen die Verhandlungen mit dem EU-Parlament starten, wie die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera Rodríguez, sagte. Ziel sei es, bis Jahresende eine Einigung mit dem Parlament zu finden.
von Matthias Auer
Die Presse