„Sind für den Extremfall gerüstet“

14. November 2023

Der Geschäftsführer der Gas Connect Austria sieht keine Engstellen im Gastransitnetz. Die Versäumnisse findet er anderswo.

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist der Transit von russischem Erdgas durch Österreich eingebrochen. Italien und Deutschland versorgen sich anders, Österreich arbeitet daran, wenn auch zögerlich. Damit künftig mehr Gas von Süden und Westen nach Osten fließen kann, sind Investitionen im Pipelinenetz nötig. Wer sie stemmt, ist strittig. Der Geschäftsführer von Gas Connect Austria, Stefan Wagenhofer, sieht keine große Dringlichkeit für den Ausbau und fordert staatliche Unterstützung und rasch einen Rechtsrahmen für die Umrüstung auf Wasserstoff.

In Ihrem Leitungsnetz fehlt auf der Westachse WAG auf 40 Kilometern eine zweite Röhre. Warum bauen Sie nicht schnell aus, wie es Experten fordern? Stefan Wagenhofer: Der normale Prozess ist so: Ein Transporteur wendet sich an uns, weil er gern mehr transportieren würde. Wir setzen ein Projekt auf, geben es an die E-Control und wenn die zum Schluss kommt, dass es passt, nimmt sie es in die Langfristplanung auf und genehmigt uns einen Tarif, mit dem wir die Kapazität auf dem Markt für 20 bis 30 Jahre anbieten. Wenn jemand bucht, bauen wir, sonst steht die Leitung leer und wir verdienen die Kosten nicht. Was ist bei der WAG und Ihrem Projekt WAG Loop anders? Keiner kann mehr langfristig buchen, weil 2040 das Aus für Erdgas kommt. Die Laufzeit der Pipeline geht weit darüber hinaus. Mit dem aktuellen regulatorischen System funktioniert das nicht mehr. Die Genehmigung heißt nur, dass ein Projekt grundsätzlich sinnvoll ist für das Netz. Aber da ist keine wirtschaftliche Abdeckung dahinter.

Wieso machen Sie keinen Markttest? Er funktioniert nicht, weil es genug Kapazität gibt. Bis jetzt hatte auf der WAG niemand einen Engpass.

Aber wenn er eintritt, ist es dann nicht zu spät? Nur wenn viele Faktoren zusammenkommen – ein kalter Winter, die Leitung fällt aus, zusätzlich saugen Länder ab –, dann wird es wirklich eng. Die Versicherung für die Versorgungssicherheit können wir für den Markt nicht übernehmen. Die Regierung weiß, dass es dafür staatliche Unterstützung braucht.

Was passiert, wenn die Ukraine-Leitung ausfällt? Wenn es ein normaler Winter ist und die Speicher voll sind, dann steigen die Nervosität und der Preis – und so war es auch schon. Denn wenn der Preis höher als in Deutschland und Italien ist, drehen sich die Flüsse auf der TAG und WAG sofort um, beide Leitungen gemeinsam sind stark genug. Auch im Vorjahr gab es nie einen Versorgungsengpass. Im Extremszenario – also extreme Kälte, schlechte Vorsorge, wenig Gas – würden wir Sondermaßnahmen treffen und die Kapazität auf der WAG kurzfristig erhöhen, durch mehr Vordruck in Deutschland und höhere Maschinenkapazität. Das geht nicht dauerhaft, es ist, als würden Sie ein Auto dauernd auf Vollgas fahren, noch dazu im Retourgang. Daher haben wir vorgesorgt, alle Ersatzteile auf Lager gelegt, alle Maschinen dahingehend erneuert. Wir wissen, dass der Bau der Leitung seine Zeit dauert.

WAG Loop bringt Ihnen 30 Prozent mehr Kapazität. Wie viel schaffen Sie so? Das kommt auf die Außentemperatur, auf den Vordruck und die Maschinenleistung an. Aber wir könnten fast die gleiche Größenordnung erreichen – aber nicht dauerhaft. Die Warnungen von E-Control-Vorstand Walter Boltz und Ex-OMV-General Gerhard Roiss vor Engpässen sind also übertrieben? Grundsätzlich besteht dieses Risiko, das ist nicht falsch. Sonst würden wir den WAG Loop nicht bauen. Worüber wir uns nicht einig sind, ist, dass man so eine Leitung in einem Jahr bauen kann. Der Ausbau ist sinnvoll, langfristig notwendig. Und ein gutes Investment, weil er uns auch in eine Wasserstoffzukunft führt. Im nächsten oder übernächsten Winter ist er kein dramatischer Game Changer, weil wir uns darauf vorbereitet haben.

Ohne staatliche Förderung oder Buchung werden Sie also nicht bauen? Aus dem Klimaministerium heißt es, Sie sind abgesichert. Genau. Rein rechtlich kann ich als Geschäftsführer kein Verlustprojekt bauen. Der Energieregulator kann daran arbeiten, das zu ändern. Dass es eine Staatsgarantie gibt, ist schlicht falsch. Das bedeutet, mit einer Garantie würden Sie bauen? Das derzeitige Tarifsystem bei rückläufigen Mengen ist nicht mehr passend. Zudem sind Übertragungsnetzbetreiber wie wir auf Transit ausgelegt. Wir reden von einer dreispurigen Autobahn und leben von der Maut. Früher war sie voll besetzt, vor allem nach Italien, jetzt ist nicht einmal mehr eine Spur befahren. Die Inlandstarife in Österreich sind im EU-Vergleich sehr niedrig, weil wir mit Transit verdient haben. Damit lässt sich unmöglich eine Finanzierung stemmen.

Was ist nötig, damit auch Wasserstoff durch Pipelines fließen kann? Ein Faktum vorweg: 60 Prozent der Energie in Österreich sind heute noch fossil – für Mobilität, Wärme und Industrieprozesse. Mir ist keine andere Technologie bekannt, mit der ich das ersetzen könnte, als Wasserstoff und Biogas – beides erneuerbar. Daher wird es kommen. Österreich hat nicht genug Wasserstoffpotenzial, also muss man ihn hereinbringen. Der Transport über Pipelines innerhalb Europas ist der kostengünstigste, das zeigen Studien. Den Bedarf gibt es, auch das Potenzial. Es braucht einen Rahmen. Die meisten Leitungen können Wasserstoff transportieren.

Bis wann sind Sie bereit? Faktisch dürfen wir jetzt schon zehn Prozent beimischen. Aber die Mengen an grünem Wasserstoff gibt es bei Weitem noch nicht. Wir diskutieren jetzt auf europäischer Ebene, unter welchen Umständen Netzbetreiber mit Wasserstoff forschen könnten. Laut Gaswirtschaftsgesetz dürfen wir kein Gas erzeugen, kein Gas besitzen. Einen aufkeimenden Markt halten diese Verbote massiv auf. In fünf, zehn Jahren sollen wir das können.
Was halten Sie vom Ruf nach einem eigenen Wasserstoffnetzbetreiber? Das ist absoluter Unfug und kostet wahnsinnig viel. Es gibt Unternehmen in Europa, die haben Erfahrung mit Hochdrucktransport von gasförmigen Medien, das ausgebildete Personal, die Trassen, die Pipelines und die Kompressoren. Wann werden Sie mit der Umstellung beginnen? Es gibt eine Allianz der größten österreichischen Unternehmen, die bereits in wasserstofftaugliche Infrastruktur investieren, darunter auch Netzbetreiber wie wir und Erzeuger. Die brauchen dringend eine politisch klare Strategie und den regulatorischen Rahmen. In den USA bietet Pennsylvania bereits grünen Wasserstoff um 3,5 Dollar an, wenn sich Betriebe dort ansiedeln.

Um wie viel Geld geht es? Wir haben im Netz einiges zu tun, aber es wird machbar sein. In Europa haben bisher nur die Niederlande und Belgien den Gasnetzbetreibern klar das Mandat für Wasserstofftransport gegeben. Österreich ist noch zurückhaltend. Bei uns geht es bei der Fernleitung um 980 Kilometer und eine Milliarde Euro.

Und in der EU? Die Umstellungskosten für Europa betragen nach Schätzung des European Hydrogen Backbone 80 bis 140 Milliarden Euro. Alle Netzbetreiber prüfen, wann ihre Leitungen zur Verfügung stehen könnten, wo es Senken und wo Parallelen gibt und von wo der Wasserstoff kommen kann. Es ist ganz wichtig, dass Österreich die Rolle als Transitland, die es bei Gas hatte, nicht verliert. Wir haben einen strategischen Vorteil, weil wir an einer Ost-West- und Nord-Süd-Achse liegen. Wir können jetzt geschickt sein und möglichst früh Wasserstoffleitungen anbieten. Oder nicht, dann werden die Leitungen woanders gehen. Wenn der Fluss sowieso durch Österreich geht, kriegen wir was ab davon. Es vergeht wichtige Zeit. Stefan Wagenhofer: Der Ingenieur und Betriebswirt leitet seit 2012 die Geschäfte der 51-Prozent-Verbund-Tochter Gas Connect Austria (GCA). Zuvor war er Chef der OMV Gas GmbH.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten