Auf alle Zeiten unzertrennlich?

21. Feber 2024, Wien

Österreich hängt noch immer zu zwei Dritteln von russischem Gas ab. Derzeit tun sich nach Meinung von Experten „billige“ Möglichkeiten auf, aus der Abhängigkeit rauszukommen. Nicht alle haben Aussicht auf Erfolg.

98 Prozent! Die Entrüstung war riesig, als vorige Woche bekannt wurde, dass Österreich im Dezember seine Gasimporte wieder fast ausschließlich aus Russland gedeckt hatte. Wie konnte das zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – trotz aller politischen Absichtserklärungen, die Abhängigkeit vom langjährigen Lieferanten zu reduzieren – passieren, nachdem der Anteil zuvor gesunken war?

Gerhard Roiss, der frühere Chef des teilstaatlichen Öl- und Gaskonzerns OMV, hat eine einfache These: „Es fehlt der politische Wille“, um einen Termin zu fixieren, ab wann Österreich kein russisches Erdgas mehr einsetzt, wie es Italien ab Jahresende plant. Noch dazu eröffneten sich jetzt neue Möglichkeiten für die OMV und Österreich, aus dem umstrittenen Vertrag mit dem staatlichen russischen Gasmonopolisten Gazprom – der 2018 unter Roiss’ Nachfolger Rainer Seele bis 2040 verlängert wurde – ohne Milliardenzahlungen herauszukommen.

Ende 2024 läuft der Gas-Transitvertrag zwischen Moskau und Kiew aus, eine Verlängerung gilt als ausgeschlossen. Damit wird es für Gazprom schwierig, Gas nach Baumgarten (nahe Wien) frei Haus zu liefern, wie das vertraglich festgelegt ist. Was passieren wird, darüber wird gerätselt: Ob Gazprom einen anderen Transporteur engagiert – was grundsätzlich möglich, aber unsicher wäre. Ob die Ukraine 2025 russisches Gas noch durchleiten wird – wozu sie nach EU-Regeln verpflichtet ist, aber wohl keinem großen Druck ausgesetzt wäre. Ob Gazprom selbst die Lieferungen stoppt – und den Krieg bzw. „höhere Gewalt“ oder die Ukraine dafür verantwortlich macht. Oder ob die OMV, die eine Abnahmeverpflichtung (Take or Pay) hat, dann aus dem Vertrag aussteigt.

Was für diese Fälle vorgesehen ist oder im Hintergrund überlegt wird, wissen nur die Vertragspartner, deren Eigentümer und die Regulierungsbehörde E-Control. Sie alle schweigen, schon um keine Nachteile vor dem Schiedsgericht zu haben, vor dem der Vertrag nach Ansicht Roiss’ „so oder so landen wird“.

ÖVP, SPÖ und FPÖ halten sich mit konkreten Ansagen zum Ausstieg tatsächlich sehr zurück, seit 2022 angesichts von Lieferunterbrechungen, der Rallye beim Gaspreis und leerer Speicher etliche Notfallmaßnahmen beschlossen wurden. Oder sie finden Gründe dagegen. Es herrsche immer noch „der russische Geist“, sagt ein Marktkenner. Zum Gasgipfel, zu dem Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Sommer geladen hat, um die Versorger zu erinnern, weniger russisches Gas zu kaufen, kamen nicht einmal Vertreter der ÖVP.

Vorige Woche hat Gewessler ihre nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmten Pläne zu einer Diversifizierungspflicht für Gasversorger präsentiert. Dass die Gesetzesnovelle noch vor Herbst beschlossen wird, gilt als ausgeschlossen. Warum dieser Schritt erst jetzt kommt? 2022 wäre es nicht möglich gewesen, heißt es aus dem Ministerium, weil es zu wenig Gas gab und die Preise zu hoch waren. Jetzt sei die Lage anders und das Marktversagen sichtbar.

So sieht das auch Walter Boltz, früher Vorstand der E-Control und wie Roiss Berater des Klimaministeriums. Ohne Eingriffe werde es nicht gehen. Gas gebe es genug in Europa und es sei verhältnismäßig günstig. Wenn klar sei, ab wann russisches Gas versiegt, könnten sich alle darauf vorbereiten. Dann gäbe es den befürchteten Preiseffekt nicht oder er wäre laut Boltz nicht so stark. Die deutsche Gasbörse sei mittlerweile günstiger. Hilfe beim Ausstieg komme auch von EU-Seite: Ein neues Gesetzespaket vom Dezember ermöglicht es Ländern, Importe von russischem Gas zu drosseln, wenn die Sicherheit des Landes gefährdet ist.

Davor warnen die Neos nicht zum ersten Mal. Es sei „höchste Zeit, dass Österreich aus dem unsäglichen Zustand rauskommt“, forderte Energiesprecherin Karin Doppelbauer am Dienstag. Sie wirft der ÖVP Vogel-Strauß-Politik, den Grünen ideologische Abneigung gegen Gas vor, der SPÖ ihre „russische Freundschaftsgesellschaft“ und der FPÖ ihre Kreml-Nähe .

Die Nationalratswahlen im September werden eine Entscheidung für den Ausstieg nicht fördern, ein Wahlsieg der FPÖ wohl auch nicht. Die OMV muss spätestens im Herbst entscheiden, ob sie weiter auf die Gazprom vertraut oder die bestellten alternativen Mengen abruft: „Sie kennt das Risiko am besten und hat vorgesorgt“, sagt Boltz, daran sollten sich andere Energieversorger ein Beispiel nehmen.

Salzuburger Nachrichten