Wie Klimaziele erreichbar werden

1. März 2024, Wien

Nationaler Klimaplan. Tempo 80/100, Maut, Öffi-Intervall-Verdichtung, erneuerbare Energie: Das sind die Kernpunkte, die Österreich seine Klimaziele erreichen lassen. Klimawissenschaftler gewichten mehr als 1400 Maßnahmen.

Tempolimits und Straßenmaut: Allein diese beiden Maßnahmen haben das Potential, die Reduktionslücke von 7,4 Millionen Tonnen Treibhausgasen zu schließen. Das zeigt ein Bericht, der am Mittwoch vorgestellt worden ist.
Auf mehr als 300 Seiten werden 1408 Vorschläge bewertet, mit denen der Ausstoß von Treibhausgasen verringert werden kann. Der Bericht wurde von 55 Wissenschaftlern des Climate Change Centre Austria verfasst und setzt beim „Nationalen Energie- und Klimaplan“ (NEKP) und dem anschließenden Konsultationsverfahren an. In ihm wurden 100 Stellungnahmen abgegeben. Fast die Hälfte der darin enthaltenen 1408 Einzelmaßnahmen wird als „hoch empfehlenswert“ eingestuft.

Die Situation sei vergleichbar mit einer Firma, in der es beim Brandschutz Lücken gebe, so Karl Steininger, Professor für Klimaökonomie am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Uni Graz. „Da wird die Firmenleitung gut daran tun, wenn sie sich auf die ausstehenden Maßnahmen einigt. Andernfalls werden die Prämie und das Feuerrisiko hoch sein.“

Verkehr und Raumplanung

Die meisten Maßnahmen (jeweils mehr als 300) wurden in den Bereichen Verkehr, Raumplanung und Stadtentwicklung sowie Energie, Industrie, Infrastruktur und schließlich Governance und Recht vorgeschlagen. Selbst wenn der NEKP-Entwurf bis zum letzten Punkt und Beistrich umgesetzt wird, fehlen 13Prozent der Reduktion, um das Ziel 2030 (ein Minus an Treibhausgasemissionen von 48 Prozent) zu erreichen – 7,4 Millionen Tonnen. Die Bewertung der Wissenschaftler zeigt, dass in den zusätzlichen Maßnahmen mehr als 7,4 Millionen Tonnen Reduktionspotential stecken – die Ziele also erreicht werden können. „Allerdings“, so Steininger, „wird Österreich mehr Treibhausgase ausgestoßen haben, als ihm dies historisch zusteht. Das bedeutet, dass wir dafür Ausgleichszahlungen an jene Länder leisten, die ihr Treibhausgasbudget nicht erfüllt haben.“

Zurück zu den Maßnahmen: Einen wesentlichen Raum nimmt das Spannungsfeld zwischen Auto und öffentlichem Verkehr ein. Etwa Tempolimits 30/80/100. Sie ließen nicht nur die Treibhausgasbelastung sinken, es gäbe auch um 15% weniger Unfälle und 28% weniger Todesopfer im Straßenverkehr.

Viele Vorschläge zielen auf eine flächendeckende, fahrleistungs-, tageszeit- und fahrzeugtypabhängige Straßenmaut ab und fordern Anreize dafür, dass keine Verbrennungsmotoren mehr verwendet werden. Generell solle der Umstieg auf umweltverträgliche Mobilität – öffentlichen Verkehr, Fahrrad, zu Fuß – attraktiver gestaltet werden. Als wesentlich wird auch eingestuft, die Raumordnung zu überarbeiten – dies sei sowohl im Verkehrsbereich notwendig als auch bei der Energieversorgung.

Kraftwerke und Stromnetze

In der Energiepolitik haben Fotovoltaik und Windkraft eine zentrale Rolle, während Wasserkraft und Biomasse bereits jetzt einen hohen Ausbaugrad haben. Auch Wasserstoff wird in den Vorschlägen Platz eingeräumt. Wesentlich ist dabei, dass die im Herstellungsprozess nötige Energie erneuerbar gewonnen wird. Vorschläge zur Speicherung von Kohlendioxid (CCS) werden zurückhaltend bewertet. „Es gibt hohe Investitionskosten, hohen Energieaufwand und Unsicherheiten.“ CCS sei „keine Alternative zu erneuerbarer Energie“.

Im Kompetenzengewirr der Raumplanung laufen die Vorschläge auf eine „umfassende Klimareform“ der gesamten Wohnrechtsmaterie hinaus – Änderungen des Wohnungseigentums-, Mietrechts- und des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes seien überfällig – inklusive Leerstandsabgabe und Brachflächenmanagement.

Änderung der Landnutzung


Wichtig sei die Änderung der Landnutzung im Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten, Extensivierung, Tierhaltung und Forstwirtschaft. Gefordert wird ein Netz von akkordierten Maßnahmen. Klimaschutz dürfe nicht auf Kosten der Biodiversität gehen. Hier müsse langfristig gedacht werden. Etwa auch im Wald: Derzeit werden 88% des jährlichen Holzzuwachses geerntet. Obwohl also mehr nachwächst, als genutzt wird, nimmt die Funktion des Waldes als Kohlenstoffsenke ab. Um 2070 könnte der Wald auf Dauer CO2-Quelle sein.

elga Kromp-Kolb, Doyenne der Klimaforschung in Österreich: „Die Klimakrise ist nur ein Symptom eines verfehlten, nicht nachhaltigen Umganges mit Natur und Mensch.“ Deshalb sei das Thema „im Kontext der nachhaltigen Entwicklung zu denken“.

Wie geht es weiter? Im Umwelt- und Klimaministerium werden die Stellungnahmen in den NEKP eingearbeitet. Der muss Ende Juni in Brüssel sein.

von Michael Lohmeyer

Die Presse