Energie: EU noch länger von Russland abhängig

18. März 2024, Brüssel

Die Mitgliedsstaaten kaufen dort deutlich mehr verflüssigtes Erdgas ein als vor dem Ukraine-Krieg.

„Blutgeld wird jeden Tag mit der Gasrechnung nach Russland geschickt.“ Mit seinem Sager hat der Ex-Vertreter der EU-Kommission in Wien, Martin Selmayr, vor einem halben Jahr die Bundesregierung erzürnt, genauer gesagt deren Mitglieder aus der ÖVP. Die Aufregung ist verflogen, die Milliarden nach Russland fließen weiter.
Längst nicht nur aus Österreich. 2023 haben nur die drei baltischen Staaten sowie Irland, Dänemark und Polen kein Gas aus Russland bezogen. Unter den übrigen Staaten variieren die Anteile stark, Österreich ist mit einem Importanteil aus Russland von fast zwei Dritteln unter den Spitzenreitern. Insgesamt ist es gelungen, die Einfuhr deutlich zu reduzieren – auch weil der Verbrauch sank. 2021 wurden noch 150 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland in die EU importiert – 45 Prozent der Gesamtmenge. Nach Kriegsbeginn ging die Importmenge 2022 auf 79, im Vorjahr auf 43 Milliarden Kubikmeter zurück – ein Anteil von 15 Prozent. Das geht aus Daten der EU-Kommission hervor.

Die Statistik hat einen Schönheitsfehler. Der Rückgang liegt ausschließlich an der Drosselung des Pipelinegases. Um dies zu ersetzen, ist die Einfuhr von verflüssigtem Erdgas (LNG) auf dem Seeweg ausgebaut worden – von 68 auf 121 Milliarden Kubikmeter zwischen 2021 und 2023. Die Hauptprofiteure sitzen in den USA, von wo fast die Hälfte stammt. In Europas Häfen landen jedoch auch mehr russische LNG-Tanker an. 2021 lieferten sie 13,5, 2022 waren es mehr als 18 Milliarden Kubikmeter Gas. 2023 blieb die Menge annähernd gleich.

Darauf angewiesen wäre die EU „überhaupt nicht“, meint Ben McWilliams, Analyst bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Die EU würde auch dann sehr gut die Versorgungssicherheit gewährleisten können, wenn morgen alle russischen Gasimporte enden würden. Die EU war vor diesem Winter auf einen russischen Lieferstopp vorbereitet und mit Lagern, die Ende des Winters noch zu 60 Prozent gefüllt sind, ist sie noch besser positioniert, um die Importe zu beenden.“
Bei der Kernenergie ist die Lage prekärer. Auf die entfällt mehr als ein Fünftel der EU-weiten Stromproduktion. 12 der 27 Mitgliedsstaaten setzen darauf. Die Abhängigkeit ist hoch. Ein Indiz sind die Ausgaben für Uranprodukte (für Brennstoffelemente) aus Russland. Die sind laut Bruegel zwischen 2021 und 2023 um 86 Prozent auf mehr als eine Milliarde Euro gestiegen. McWilliams denkt, „dass dies eine Lagerhaltung ist, um sich besser auf eventuelle Sanktionen oder Störungen der Versorgung vorzubereiten“.

Natürliches Uran könnte jederzeit von anderen Lieferanten etwa aus Australien und Kanada bezogen werden, wenngleich „eindeutig teurer“, erklärt Mycle Schneider. Er verfasst jedes Jahr einen Statusreport zur globalen Nuklearindustrie. Bei der Wiederaufbereitung hingegen habe Russland eine Exklusivität. „Deshalb unterhält Frankreich (woher über 60 Prozent des Stroms aus Atomkraft kommen, Anm.) nach wie vor Verträge mit Russland in diesem Bereich.“ Theoretisch könne die EU hier in ein paar Jahren von Russland unabhängig werden.

Die technische Dependenz liege bei der Herstellung von Brennelementen für aus der Sowjetzeit stammende Reaktoren, von denen insgesamt noch 19 in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Finnland in Betrieb seien. Hier unabhängig zu werden wäre „in jedem Fall eine Sache von vielen Jahren“.


von Thomas Sendlhofer

Salzburger Nachrichten

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