Menschenrechtsgericht verurteilte Schweiz in Klimaklage

9. April 2024, Straßburg
Schweizer Seniorinnen hatten gegen die Klimapolitik der Schweiz geklagt
 - Strasbourg, APA/AFP

Das Europäische Menschenrechtsgericht (EGMR) hat in einem wegweisenden Urteil die Schweiz wegen mangelnden Klimaschutzes verurteilt. Die 17 Richterinnen und Richter gaben einer Gruppe Schweizer Seniorinnen recht, die ihrer Regierung vorwerfen, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun. Zwei weitere Klagen aus Frankreich und Portugal wies das Gericht als „unzulässig“ ab.

Im Schweizer Fall hatten vier Seniorinnen sowie der Verein „KlimaSeniorinnen Schweiz“ geklagt. Das Land verletze Artikel 8 („Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“) der europäischen Menschenrechtskonvention, hielten die Richter mit 16 zu einer Stimme fest. Die Schweizer Behörden hätten es versäumt, rechtzeitig und angemessen auf den Klimawandel zu reagieren, heißt es in einer Aussendung des EGMR. Zudem hätten die Klägerinnen nicht ausreichend die Möglichkeit gehabt, vor nationalen Gerichten zu klagen.

Die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd äußerte sich in einer ersten Reaktion überrascht von dem EGMR-Urteil. „Mich interessiert die Begründung“, sagte Amherd bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Wien. Der Schweiz seien nämlich Nachhaltigkeit, Biodiversität und das Nettonullziel „sehr wichtig“. Daher sei sie gespannt, die Details des Urteils zu lesen, und werde danach eine Stellungnahme abgeben, sagte die christdemokratische Politikerin auf eine Frage der APA.

„Das Gericht hat die Bedrohung der Menschenrechte durch die Klimakrise erkannt und sagt, dass die Schweizer Gerichte sich nicht genug damit beschäftigt haben“, freut sich hingegen Jasmin Duregger von Greenpeace Österreich in einer Aussendung. „Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf für mehr Klimaschutz in Europa.“

Die Klimaklage eines ehemaligen Bürgermeisters eines französischen Küstenortes und nunmehrigen EU-Abgeordneten der Grünen wies das Gericht in Straßburg am Dienstag zurück. Er hatte den französischen Staat geklagt, weil dieser durch eine unzureichende Klimapolitik sein „Recht auf Leben“ und „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ verletzt habe. Da der Kläger aber nicht mehr in der besagten Stadt und aktuell auch nicht in Frankreich lebe, könne er nicht den Opferstatus (rechtliche Bedingung für Individualklagen vor dem EGMR) erlangen.

Auch die Klage von sechs jungen Portugiesen blieb erfolglos. Weil sie als junge Menschen in ihrem Leben besonders von den negative Auswirkungen des Klimawandels betroffen seien, hatten sie neben ihrem eigenen Land gleich noch 32 weitere Staaten wegen deren mangelhaften Klimapolitik geklagt. Hitzewellen, Waldbrände und Rauch von Waldbränden würden „ihr Leben, ihr Wohlbefinden, ihre psychische Gesundheit“ beeinträchtigten, geht es aus der Presseaussendung hervor. Das Gericht urteilte, dass sie nur den portugiesischen Staat klagen könnten. In Portugal hätten sie aber noch nicht alle juristischen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stünden, ausgeschöpft.

Der EGMR wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen. Diese enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zum Umweltschutz. Dennoch verpflichtete der Gerichtshof in früheren Fällen, bei denen es um die Industrie und die Müllwirtschaft ging, Staaten zur Erhaltung einer „gesunden Umwelt“. Auch hier beriefen sich die Richter bereits auf Artikel 8 der Konvention – dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.

APA/AFP

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