Fatih Birol. Der Chef der Internationalen Energieagentur sprach mit dem KURIER über günstige chinesische Elektroautos, europäische Zölle, russisches Gas und die Energiewende als wirtschaftliche Notwendigkeit
Fatih Birol ist Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris. Diese Kooperationsplattform der Industriestaaten wurde 1974 als Reaktion auf die Ölkrise ins Leben gerufen. Ihre Berichte und Analysen sind wichtige Bezugsgrößen für Energiepolitik und Energiewirtschaft.
Im Laufe der Jahre passte die IEA ihren Fokus an die gewandelten Herausforderungen an. Neben der Versorgungssicherheit mit Erdöl, Gas und Kohle gewannen der Umbau der Energiesysteme hin zu erneuerbaren Technologien und die Erreichung der Klimaziele an Bedeutung.
KURIER: Im Zuge der EU-Wahl kam es zu einem Rechtsruck. Erwarten Sie, dass der „Green Deal“ Bestand hat?
Fatih Birol: Ja, die politischen Kräfte, die den Klimawandel als hohe Priorität sehen, haben die Mehrheit. Aber Europa sollte die Energiewende selbst dann vorantreiben, wenn man alle ethische Überlegungen außer Acht lassen würde. Die europäische Industrie kann es sich nicht leisten, bei der Modernisierung hinter der US-amerikanischen und der chinesischen zurückzubleiben. Die Nachfrage nach den alten Technologien wird sinken, die nach neuen Technologien wird ansteigen. Europa muss also saubere Technologien vorantreiben, weil es die Jobs braucht. Dass China heutzutage bei sauberen Technologien führend ist, liegt nicht nur daran, dass es die Klimakrise abwenden will – sondern das ist Industrie- und Beschäftigungspolitik.
USA und EU verhängen Importzöllen gegen chinesische E-Autos. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?
Das ist keine Frage von Schwarz oder Weiß, sondern eine der richtigen Balance. Die Industrie ist das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Es ist verständlich, dass viele Länder ihre heimischen Produktionen schützen wollen. Aber durch Maßnahmen wie Zölle werden diese Produkte für die Verbraucher teurer.
… und das würde die Energiewende bremsen?
Wir müssen anerkennen, dass China bei Technologien für die Energiewende führend ist. China hat dem Rest der Welt einen großen Dienst erwiesen, indem es die Kosten insbesondere für E-Autos und PV-Paneele heruntergebracht hat. Heutzutage ist jedes zweite weltweit verkaufte E-Auto aus China, die Preise sind dort gleich hoch wie bei Verbrennern. Das ist möglich, weil auch die Batterien billiger werden.
Was kann Europa also tun?
Die oberste Priorität für die neue EU-Kommission muss ein Masterplan für den Industriesektor sein. Derzeit ist dieser von zwei Seiten unter Druck: Die Energiekosten sind hoch, Erdgas kostet beispielsweise in Europa viermal so viel wie in den USA. Dieser Kostenlücke muss man überbrücken.
Wenn fossile Energie billiger wird, führt das nicht zu Lock-in-Effekten?
Die USA sind ein großer Gasproduzent und machen trotzdem große Fortschritte bei sauberen Technologien. Die gute Nachricht für Europa ist, dass nach unseren Analysen ab dem nächsten Jahr massive Flüssiggas-Kapazitäten auf den Markt kommen, vor allem aus den USA und Qatar. In den nächsten zwei bis drei Jahren soll etwa halb so viel Kapazität dazugebaut werden, wie in den letzten 30 Jahren. Diese beispiellose Welle ist auch für Österreich eine gute Nachricht, das ja Ersatz für russisches Erdgas braucht.
Erwarten Sie dadurch sinkende Preise?
Ja, ich erwarte, dass die Flüssiggaspreise weltweit unter Druck kommen, die Macht der Verkäufer wird abnehmen. Aber vielleicht noch wichtiger als Energiepreise ist: Europa braucht einen Plan, wie es bei neuen Technologien mit China und den USA, wo es Förderungen durch den Inflation Reduction Act gibt, konkurrieren kann. Die Zukunft der Industrie liegt in neuen, sauberen Technologien wie etwa Elektrolyseuren (zur Herstellung von Wasserstoff, Anm.) und
E-Autos. Europa muss Anreize schaffen, solche Technologien weiter zu entwickeln. Gelingt das nicht, wird die europäische Wirtschaft und in Folge das politische Gewicht der EU leiden.
Zur Person
Fatih Birol
Geboren 1958 in Ankara, studierte Ingenieurwesen in Istanbul und promovierte in Energiewirtschaft an der Technischen Universität Wien. Er arbeitete für die OPEC und wechselte 1995 zur Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris, deren Chef er seit 2015 ist
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