Keine Vorgabe für Gerichte zur Exekution von Gazprom-Geldern

19. Juni 2024, Wien/St. Petersburg/Düsseldorf
Es geht um viel Geld
 - Saint Petersburg, APA/AFP

Für den Fall, dass auf Basis internationaler Gerichtsentscheidungen versucht werden sollte, in Österreich Zahlungen der OMV an Gazprom zu vollstrecken und in Folge Auswirkungen auf die Gasversorgung des Landes zu erwarten wären, gibt es keine Anweisungen des österreichischen Justizministeriums an zuständige Gerichte. Dies sagte eine Ministeriumssprecherin auf APA-Anfrage. Die OMV hatte Ende Mai öffentlich vom Risiko diesbezüglicher Zwangsvollstreckungen gewarnt.

„Weil Gerichte keiner Weisungspflicht unterliegen und unabhängig sind, gibt es grundsätzlich keinerlei Berichtspflichten an das Bundesministerium für Justiz. Deshalb erteilen wir auch keine Weisungen“, antwortete eine Sprecherin des Justizministeriums (BMJ) in Wien auf die Frage, ob sich die Justiz auf hypothetische Exekutionsanträge an Bezirksgerichten vorbereite, die für die Gasversorgung Österreichs relevant sein könnten.

„Wir sind in laufenden Gesprächen mit der OMV. Selbstverständlich auch zu diesem Thema“, erklärte seinerseits am Dienstag ein Sprecher des für Energiefragen zuständigen Bundesministeriums für Klimaschutz (BMK). Versorgungssicherheit habe die höchste Priorität und man unternehme seit Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine alles, um diese zu sichern. Die größte Gefahr sei dabei die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, betonte er. Laut offiziellen Angaben des Ministeriums war der Anteil von russischem Gas an den gesamten Gasimporten nach Österreich freilich in den ersten vier Monaten 2024 höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres und machte im April 2024 81 Prozent aus.

Die OMV hatte am 21. Mai 2024 in einer „Urgent Market Message“ erklärte, von einem potenziell folgenschweren ausländischen Gerichtsurteil erfahren zu haben, das ein „großes europäisches Energieunternehmen“ erwirkt habe. Sollte dieses Urteil in Österreich gegen die OMV-Tochter OMV Gas Marketing & Trading GmbH (OGMT) vollstreckt werden, wäre letztere dazu verpflichtet, Zahlungen aus dem Gasliefervertrag mit Gazprom Export an dieses europäische Energieunternehmen zu leisten. Im Falle einer solchen Zwangsvollstreckung sei es wahrscheinlich, dass Gazprom Export die Gaslieferungen an OGMT einstellen und dies den österreichischen Gasmarkt beeinträchtigen würde.

Die genauen Hintergründe dieser Warnung blieben unklar. Bei wiederholten Nachfragen erklärte die OMV stets nur, dass man als führendes Gasvermarktungs- und -handelsunternehmen dazu verpflichtet sei, den Energiemarkt über alle Maßnahmen zu informieren, die die Fähigkeit des Unternehmens, Gas von ihren Lieferanten zu erhalten, beeinträchtigen könnte. Fragwürdig war auch der Zeitpunkt: Im Zusammenhang mit ausbleibenden Erdgaslieferungen hatte etwa die deutsche Uniper Global Commodities bereits am 12. September 2022 am Oberlandesgericht Nürnberg in einem Vollstreckungsverfahren in einer sogenannten Eilrechtsschutz-Sache einen Beschluss erwirkt. Gazprom Export sei dabei zur Zahlung eines Vorschusses für entstandene Kosten im Ausmaß von bis zu 3,65 Mrd. Euro verpflichtet worden, informierte eine deutsche Gerichtssprecherin.

Auf Basis der Nürnberger Entscheidung initiierte Uniper Anfang 2023 jedenfalls ein Exekutionsverfahren gegen die österreichische Gazprom-Tochter Gazprom Austria, die dadurch für Gaslieferungen aus Russland nicht mehr bezahlen konnte, vom Mutterkonzern nicht mehr beliefert wurde und in die Insolvenz schlitterte. Ein Echo dieses Wiener Exekutionsverfahrens fanden sich zeitnah zur OMV-Warnung in Russland: Das Petersburger Handelsgericht lehnte am 24. Mai 2024 das Ersuchen des Bezirksgerichts Innere Stadt in Wien ab, Gazprom Export einschlägige Dokumente auszuhändigen. Begründet wurde diese Weigerung damit, dass Gazprom Export erklärt habe, nicht über Klagen vor ausländischen Gerichten informiert worden zu sein, dieser Umstand das Recht auf gleiche Behandlung aller Parteien vor Gericht verletzt habe und somit der „öffentlichen Ordnung“ der Russischen Föderation widerspreche.

Abgesehen vom Nürnberger Beschluss über vorläufige 3,65 Mrd. Euro hat Uniper eigenen Angaben zufolge zwischenzeitlich am 7. Juni einen Beschluss am Stockholmer Schiedsgericht in Stockholm erwirkt, der einen Schadensersatz in Höhe von mehr als 13 Mrd. Euro für die seit Mitte 2022 von Gazprom Export nicht mehr gelieferten Gasmengen vorsieht. Uniper wollte sich Anfang der Woche gegenüber der APA nicht „zu konkreten Plänen oder Maßnahmen zur Durchsetzung unseres Anspruchs auf Schadensersatz gegenüber Gazprom Export“ äußern. Da auch weitere europäische Konzerne, darunter die OMV, zumindest etwa 20 Verfahren vor staatlichen Gerichten sowie vor Schiedsgerichten gegen Gazprom Export angestrengt haben, ist in der nächsten Zeit mit einigen Beschlüssen zu rechnen. Diese könnten außerhalb Russlands zu zahlreichen Zwangsvollstreckungen gegen den russischen Gaskonzern führen.

Eine Möglichkeit, derartige rechtliche Maßnahmen und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gasversorgung zu verhindern, meint man indes kürzlich in Ungarn gefunden zu haben: Auf Grundlage eines nunmehr mit dem Krieg im Nachbarland Ukraine begründeten Ausnahmezustands dekretierte Premierminister Viktor Orbán am 30. Mai, dass Zahlungen für Erdgaslieferungen nicht zur Befriedigung von Gläubigeransprüchen verwendet werden dürfen. Dies würde der „ungarische öffentlichen Ordnung“ widersprechen, begründete er.

APA