Ausfall russischen Gases sollte verkraftbar sein

2. Juli 2024, Wien

Energieagentur: Auch ein Totalausfall russischer Lieferungen würde keine Mangellage auslösen – dank höherer Importe aus Nachbarländern.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 ließ die Alarmglocken auch in Österreichs Energiewirtschaft schrillen. Mit einem Schlag war die bis dahin selbstverständliche Versorgung mit Gas aus Russland in Gefahr, die Gasspeicher waren zu lediglich 30 Prozent gefüllt und Russland reduzierte seine Lieferungen nach Österreich. Die Regierung aktivierte einen Notfallplan, bei dem in der letzten Stufe auch Rationierungen vorgesehen waren.

Gut zwei Jahre danach hat sich die Österreichische Energieagentur (AEA) im Auftrag des Ministeriums für Klimaschutz und Energie erneut mit dem Thema beschäftigt. Am Freitag präsentierte sie zusammen mit der E-Control „Szenarien der Gasversorgung in Österreich“.

Diesmal ist die Lage deutlich entspannter als vor zwei Jahren. Demnach würde auch ein Komplettausfall der aus Russland über die Ukraine gelieferten Gaslieferungen keinen echten Engpass in Österreich auslösen. Im untersuchten Zeitraum bis Mai 2026 „ist in keinem der Szenarien eine Gasmangellage zu sehen“, sagt AEA-Experte Christoph Dolna-Gruber in einer Zusammenfassung der Analyse.

Lediglich in Extremszenarien sei „eine Teilauflösung der strategischen Gasreserve denkbar“. Allerdings sei dieser Fall aus heutiger Sicht „nicht wahrscheinlich“. Dagegen sprechen würden unter anderem der aktuell geringe Verbrauch sowie neue Importkapazitäten aus Italien. Die strategische Gasreserve wurde von der Regierung im Frühling 2022 genau für solche Akutfälle ins Leben gerufen.

Ein wichtiger Beitrag zur Entlastung der Lage ist der mittlerweile deutlich geringere Gasverbrauch. Seit der Angriffskrieg auf die Ukraine vor gut zwei Jahren die Gasversorgung für viele Länder Europas grundlegend verändert hat, ist der Gasverbrauch in Österreich kontinuierlich gesunken. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres liegt der Verbrauch um knapp 10 Prozent unter dem Niveau von 2023 und sogar fast ein Viertel (–23,4 Prozent) unter dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022. Dolna-Gruber rechnet im Gesamtjahr 2024 mit einem Gasverbrauch zwischen 70 und 83 Terawattstunden (TWh) – das liegt um 9 bis 23 Prozent unter dem Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2022. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden (kWh).

Gründe dafür sind unter anderem eine deutliche Zunahme von erneuerbarer Energie (+28 Prozent), während gleichzeitig der Gasverbrauch merklich abgenommen hat, heuer bereits um 9 Prozent. Der Verbrauch ist europaweit gesunken. Beim Ausmaß liegt Österreich im unteren Bereich. Deutlich stärker gesunken – um 42 Prozent – ist er in Finnland und im Baltikum.

Weitere wesentliche Beiträge zur Entlastung der Lage waren die zuletzt relativ hohen Temperaturen mit entsprechend geringerem Heizbedarf oder der geringere Einsatz von Gas zur Stromerzeugung. Zudem hat auch die Zahl der Gaskunden abgenommen, ihre Anzahl sank in zwei Jahren um 5,5 Prozent.

Die Energieagentur geht in ihrer Analyse davon aus, dass spätestens 2025 mit einem Ausfall der Gaslieferungen über die Ukraine zu rechnen ist. Einerseits läuft der Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine Ende 2024 aus, eine Verlängerung ist nicht zu erwarten. Es könnte aber auch schon früher zu einem Ausfall kommen – etwa durch kriegerische Handlungen, Sabotage oder Liefereinschränkungen von russischer Seite. Das sei grundsätzlich „jederzeit möglich“, sagt Dolna-Gruber.

Bei einem Ausfall des Gastransits durch die Ukraine könnten neu geschaffene Importkapazitäten aus Italien und Deutschland genutzt werden. Beide Länder haben ihre Gasversorgung angepasst und die früher aus Russland bezogenen Mengen kompensiert. Dank dieser neuen Importkapazitäten sollte es gelingen, den Speicherstand von aktuell 82 Prozent in Österreich nicht unter ein kritisches Niveau sinken zu lassen.

Mit der Annahme eines Ausfalls russischen Gases ab 2025 fällt in der Modellrechnung der Speicherstand bis Mai 2025 auf 62 Prozent, ein Jahr darauf auf 59 Prozent – ebenso bei einem Lieferausfall bereits im Juli 2024. Unter der Annahme von zwei bevorstehenden „sehr kalten Wintern“ sänke der Speicherstand bei einem Ausfall ab 2025 auf bis zu 50 Prozent. Und nur in dem Fall, dass zusätzlich die Kapazitätserweiterung aus Italien nicht ab Oktober 2024 verfügbar sein sollte, könnte der Speicherstand auf 15 Prozent sinken – damit müsste die strategische Reserve bei 20 Prozent angezapft werden.

von Helmut Kretzl

Salzburger Nachrichten