EU-Strommarktreform in der Theorie

17. Juli 2024

Mehr Transparenz und Rechte sollen besser vor Preisexzessen schützen. Österreich ist bei der Umsetzung aber säumig und riskiert ein Vertragsverletzungsverfahren.

Es ist keine zwei Jahre her, dass bis dahin kaum für möglich Gehaltenes eingetreten ist: Die Strompreise sind, ausgelöst durch eine immense Verteuerung bei Gas nach Russlands Überfall auf die Ukraine, europaweit in nie zuvor gesehene Höhen geschnellt. Solche Entwicklungen, die nicht nur Haushalte und Steuerzahler schwer getroffen, sondern auch dem Wirtschaftsstandort Europa immens geschadet haben, sollten mit einer breit angelegten Reform des EU-Strommarkts künftig verhindert werden.

Mit Veröffentlichung im Amtsblatt der EU ist die Reform kürzlich in Kraft getreten. Sie bringt eine Reihe von Verbesserungen für Haushalts-, Gewerbe- und Industriekunden, aber auch Vorteile für Stromerzeuger, unter anderem mehr Planbarkeit. Für Österreich gilt bis auf weiteres der Konjunktiv. Viele der von Brüssel eingeforderten Maßnahmen müssen erst in nationale Gesetze übertragen werden, auf dass sie Rechtskraft erlangen. Österreich ist hierbei säumig.

Neues Stromgesetz auf langer Bank

Das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) beispielsweise, das anstelle des 20 Jahre alten Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes (Elwog) treten soll, steckt seit geraumer Zeit im innerkoalitionären Streit fest. Mit dem ElWG sollten viele der EU-Vorgaben in einem Aufwasch umgesetzt werden.

Für Markus Aigner und Harald Strahberger, beide im Team von Wolf Theiss Rechtsanwälte tätig, ist es „unverständlich“, warum Österreich gerade hier ein Vertragsverletzungsverfahren riskiert, wo im Prinzip doch alle die Notwendigkeit eines neuen Stromgesetzes betonen. Eine Strafe droht für den Fall, dass mit Anfang September auch die letzte Gelegenheit zur Beschlussfassung des Gesetzes noch in dieser Legislatur ungenutzt bleibt. Die Chancen auf einen Durchbruch in letzter Minute werden von Beobachtern des politischen Parketts als eher gering eingeschätzt, zumal es einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf und die Opposition sich die Zustimmung so knapp vor der Wahl wohl nur sehr teuer abkaufen werde lassen.

Mehrere Bezugsverträge möglich

Was könnte sich also durch die Strommarktreform für Verbraucher und Verbraucherinnen ändern, wenn sie in Österreich doch irgendwann beschlossen wird? Eines der spannenden Themen sei, dass Haushalte über ein und denselben Netzanschlusspunkt künftig mehrere Strombezugsverträge abschließen können, weisen die Rechtsanwälte Aigner und Strahberger hin. Bisher musste man sich entscheiden: entweder einen Fixpreisvertrag, meist mit zwölf Monaten Bindungsfrist, oder einen mit dynamischen Preisen, der die Bewegungen am Großhandelsmarkt, sprich der Börse, nachvollzieht.

Was bringt die Möglichkeit der Kombination von beiden? Haushalte kaufen sich einerseits Sicherheit mit langfristig garantierten Preisen ein und können andererseits Floater dann zum Strombezug nutzen, wenn die Großhandelspreise niedrig sind. So kann, wer will, den Stromverbrauch tageszeitabhängig steuern und Preisschwankungen ausnutzen – etwa um Strom zum Aufladen von Elektroautos oder Wärmepumpen zu verwenden, wenn er billiger ist. Das würde auch zu einer besseren Verteilung der Netzlast über den Tag führen und Engpässe vermeiden helfen.

Merit-Order bleibt

Damit das in der Breite funktionieren kann, sind Energieversorger ab kommendem Jahr verpflichtet, zumindest einen Float-Tarif in ihrem Produktportfolio auszuweisen. Einige wenige machen das bereits, aber nicht alle.

Zudem sollen Verbraucher im Sinne der Transparenz wichtige Informationen über die Optionen erhalten, die sie abschließen. Wie schon bisher sollen Anbieter die Vertragsbedingungen nicht einseitig ändern dürfen. „Damit soll sichergestellt werden, dass alle Verbraucher und auch kleine Unternehmen von langfristigen, erschwinglichen und stabilen Preisen profitieren und die Auswirkungen von Preisschocks gemildert werden“, so das Ziel des EU-Parlaments nach der Beschlussfassung im Dezember.

An der in die Kritik geratenen Merit-Order, wonach das zur Deckung des Strombedarfs zuletzt zugeschaltete teuerste Kraftwerk, meist ein mit Gas befeuertes, den Strompreis bestimmt, wurde mangels praktikabler Alternativen nicht gerüttelt. Vorkehrungen, dass der Gaspreis nicht ad infinitum steigen kann, sollen Geschehnisse wie 2022 verhindern.

Der Standard