„Zunächst wird es teurer“

31. Juli 2024

Michael Strugl, oberster Vertrete der Stromwirtschaft, sieht keine alternative teurer als Vorspann.

Die Großhandelspreise für Strom sind seit Februar wieder gestiegen, trotz schwacher Konjunktur . Wie erklärt die E-Wirtschaft das? Michael Strugl: Der Preis pendelt aktuell um die 90 Euro je Megawattstunde, vor einigen Monaten war er noch unter 70 Euro. Aus unserer Sicht gibt es mehrere Faktoren, die eine Rolle spielen können: der CO2-Preis, der Gaspreis und drittens die geopolitische sowie die regulatorische Unsicherheit, auf europäischer wie auf nationaler Ebene. Diese Gemengelage reflektiert der Markt, das können wir ja nicht beeinflussen. Was uns immer vorgeworfen wurde, ist, dass wir sinkende Großhandelspreise nicht weitegeben – was nicht stimmt, weil die meisten Versorger, auch der Verbund, ihre Preise gesenkt haben, obwohl der Börsenpreis zur Zeit wieder steigt. Darüber wird aber nicht viel geredet, die Wahrnehmung ist schon sehr selektiv. Sie gehen davon aus, dass die Energiepreise insgesamt steigen werden? Die meisten Marktkenner egal ob in Österreich, Deutschland oder Italien erwarten, dass es am kurzen Ende eher zu steigenden Preisen kommen wird, auf Grund der Kosten der Transformation und der Dekarbonisierung und am langen Ende dann zu niedrigeren Preisen. Durch diese Milliardeninvestitionen, die hier notwendig sind, wird es zunächst teurer. Da sind auch sehr viel Systemkosten drinnen, in der Diskussion werden sehr oft nur die reinen Gestehungskosten betrachtet. Es stimmt, dass Photovoltaik sehr niedrige Gestehungskosten hat. dafür aber sehr viel höhere Kosten für Infrastruktur und Ausgleichsmaßnahmen, bis hin zur Frage, ob es irgendwann auch Kapazitätsmärkte braucht. Auf der Stromrechnung ist das alles drauf, und nicht nur der reine Arbeitspreis.

Die Rechnung steigt also? Wenn man davon ausgeht, dass wir in Österreich 60 Mrd. Euro bis 2030 investieren, und in Deutschland und in ganz Europa hunderte Milliarden in die Transformation fließen müssen, dann werden die irgendwo ankommen und zu bezahlen sein. Längerfristig wird sich das rentieren, in Form einer höheren Produktion in Europa, und sich auch positiv auf die Preise für saubere Energie auswirken.

Die Energiepreise sind im Vergleich zu anderen Weltgegenden schon jetzt zu hoch. Geht sich das aus? Die USA haben Fracking Gas, das sehr viel billiger ist als in Europa. Mit Asien ist unser Preis besser vergleichbar. Fakt ist, dass LNG (Flüssiggas, Anm.) teurer ist als russisches Pipelinegas. Und diese Kosten tragen wir und sie haben, wie bekannt ist, auch Auswirkungen auf die Strompreise hat. Daher wird man überlegen müssen, wie man die Transformation ermöglicht ohne die und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu gefährden unterstützt. Das passiert auch, europäisch und national.

Mangelt es an Wettbewerb? Das würde ich nicht sagen. In der jetzigen Situation gibt es sehr intensiven Wettbewerb in Deutschland und in Österreich. Es gibt sehr viele Anbieter im Markt, jeder Stromkunde kann frei wählen und der Wechsel ist relativ einfach. Am Höhepunkt der Energiekrise 2022 war es anders, da sind viele Anbieter vom Markt verschwunden. Die Abwägung heute ist: Möchte ich einen verlässlichen Versorger haben und zahle dafür einen kalkulierbaren Preis oder suche ich mir immer den günstigsten Anbieter und riskiere, dass er in einer Krise abhandenkommt.

Müssten die Netze nicht längst europaweit verstärkt werden, damit mehr Leben in den Energiemarkt kommt? Das ist keine sehr neue Erkenntnis. Die europäischen Regulatoren haben schon vor Jahren vorgeschrieben, dass die Netzkapazitäten an der Grenze zu mindestens 70 Prozent für den grenzüberschreitenden Transport freigehalten werden müssen. Wir mussten schon vor Jahren einen Action-Plan vorlegen, wie wir das schaffen, das sind wieder massive Investitionen. Ziel ist ein vollintegrierter europäischer Strommarkt, denn eine bessere Marktintegration bringt uns mehr Versorgungssicherheit und günstigere Preise, weil man sich teure Überkapazitäten ersparen kann. Der Strommarkt muss also europäisch gedacht und gestaltet werden, das bringt Konsumenten und Konsumentinnen am allermeisten. Je besser die Netze sind, umso besser funktioniert das. So kann für möglichst viele europäische Stromkunden ein möglichst günstiger Preis angeboten werden. In der Realität haben wir aber öfter eine stärkere Fragmentierung erlebt, denn bei Netzengpässen fallen Preiszonen auseinander. Es funktioniert also nicht? Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen. Ich sehe aber keine Alternative zum gemeinsamen europäischen Strommarkt, daher müssen wir die Anstrengungen verstärken. Die Branche wünscht sich einen Netzausbau, der zügig voranschreitet. Die Hindernisse sind bekannt: Lange Verfahren, schwierige Rechtswege, viele Interessenkonflikte. Da ist es schwierig, Leitungen zu bauen. Wir erleben das in Deutschland, in Österreich und in anderen Ländern wird es ähnlich sein.
Wäre es vernünftig, außerhalb Europas mehr in Ökostromausbau zu investieren? Ich kann das schlecht bewerten und kenne keine Projekte, für großräumige Erzeugung, es sei denn für Elektrolyseure, um Wasserstoff nach Europa zu bringen. Die Infrastruktur für den Südkorridor beispielsweise wurde von der EU als Projekt von allgemeinem Interesse priorisiert. Das Konsortium der Pipelinebetreiber hat eine Planung vorgestellt, da arbeitet man daran.

Wenn Österreich bis 2040 CO2-neutral sein will, wird sich der Strombedarf bis dahin verdoppeln. Dann muss sich die Installierte Leistung verdreifachen. Ist das machbar? Das ist eine Schätzung und daraus leitet sich ab, wie viel Kapazität zugebaut werden muss. Wie realistisch das ist, hängt davon ab, ob es vernünftige rechtliche Rahmenbedingungen gibt, damit erstens Projekte genehmigungsfähig und Flächen für Wind und PV ausgewiesen werden und es zweitens schneller gehen kann. Die EU hat Österreich schon mehrfach aufgefordert, Beschleunigungsgebiete und ein überragendes öffentliches Interesse für Energieprojekte vorzusehen. Wenn es gelingt, Projekte zu ermöglichen, statt sie zu verhindern, sind die Chancen besser, das Ziel zu erreichen, als es momentan aussieht. Verbund ist gerade wieder mit einem Windparkprojekt in Oberösterreich gescheitert.

Sie haben im Jänner gesagt, 2024 ist das entscheidende Jahr. Gilt das Ende Juli noch? 2024 hatten wir gehofft, dass das neue Elektrizitätswirtschaftsgesetz und das Beschleunigungsgesetz beschlossen werden. Jetzt ist Endet die Legislaturperiode, daher wird es realistischerweise 2025 werden.

Könnte es in einer neuen Regierungskonstellation noch schwieriger werden? Politisch kommentiere ich es nicht. Ich kann nur hoffen, dass die nächste Regierung uns hilft, die Dinge rasch auf den Weg zu bringen. Unabhängig davon, wie sich eine neue Regierung zusammensetzt, brauchen wir neben den energiewirtschaftlichen auch die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen für unsere Investitionen. Wir brauchen Planungssicherheit.
Das wäre die Voraussetzung, um die Ziele zu schaffen.

Schafft Österreich 100 Prozent Ökostrom bis 2030? 2023 wurden an privater Photovoltaik mehr als 2,5 Gigawatt, das ist so viel installierte Leistung wie alle Donaukraftwerke, ausgebaut. Würde es in dem Tempo weitergehen, könnte man es möglicherweise bilanziell bis 2030 darstellen. Aber in Wirklichkeit ist das eine Papierform: Wie viele Terawattstunden wurden erzeugt, wie viele verbraucht und wenn sich das per Saldo ausgeht, sind es bilanziell 100 Prozent. Allerdings gibt es in den 8760 Stunden eines Jahres viele Stunden, in denen mehr Strom erzeugt als verbraucht wird und viele, in denen nicht genug produziert wird. Das muss man ausbalancieren und gleichzeitig die sichere Versorgung aufrechterhalten.

Sie sehen den Fokus auf Photovoltaik allein kritisch? Die Frage ist, was mit dem Überschussstrom passiert. Viele sagen: Exportieren. Das Blöde ist nur, dass alle das Gleiche machen, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Deutsche, und das noch blödere, dass der Überschussstrom überall zur gleichen Zeit entsteht. Die Erzeugungsspitze verteilt sich nicht. Deswegen ist das bilanzielle Ziel das eine, aber die Transformation in ein stabiles, sicheres, grünes Stromsystem zu schaffen, das auch leistbar ist, das andere. Deswegen braucht man einen integrierten Plan, in dem alle Parameter gleichzeitig betrachtet werden. Man kann nicht 2,5 Gigawatt Photovoltaik bauen, aber dann fehlen die Netze. Oder im Osten Österreichs 20 Gigawatt Wind und Sonne, wenn es keine Leitungen gibt, um sie in der Mittagsspitze zu den Pumpspeichern abzutransportieren. Es ist halt nicht so trivial.

War die Idee falsch? Nein, es kommt nur darauf an , wie man sie umsetzt, nur darum geht es. Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns alle zu den Klimazielen bekennen, dann ist die Dekarbonisierung des Stromsektors notwendig.
Ein neues Gesetz verpflichtet die Energieversorger, höhere Preise zu rechtfertigen. Wird das etwas ändern? Fragen sie mich etwas Leichteres. Aus meiner Sicht ist das Gesetz in vielen Punkten sehr umbestimmt, ich weiß nicht, wie Richter dann damit arbeiten werden. Derzeit gibt es rund 130 Anbieter am Markt, aus denen Kunden und Kundinnen ihren Lieferanten wählen können. Der Markt ist also da, die Preise sinken zur Zeit – ich sehe die Notwendigkeit nicht.
Das Gesetz war binnen zwei Tagen da. Ich hätte mir andere Gesetze gewünscht.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten