Energiepreise bringen die Wirtschaft unter Druck

1. August 2024, Wien

Die Kosten von Gas und Strom erhitzen die Gemüter. Österreich liegt im europäischen Mittelfeld, und das hat Gründe.

Österreichs Industrie könnte heuer das dritte Jahr in Folge schrumpfen. Der Druck auf Großunternehmen ist groß, jeder Euro zählt, um den die Produktion hierzulande teurer ist als an einem anderen Standort. Dass es so ist, liegt in erster Linie an den gestiegenen Lohnkosten, wie Industrievertreter regelmäßig monieren. Doch auch Strom und Gas sind, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, teuer. „Wenn die Kapazitäten nicht voll ausgelastet sind, ergibt sich daraus eine interne Hackordnung unter den Standorten“, sagt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV). Die günstigere Energie in Nordeuropa habe zur Folge, dass etwa in der Papierindustrie die Standorte in Österreich mitunter die teuersten seien und als Erste herunter- bzw. als Letzte wieder hinaufgefahren werden. Was die exportorientierte Industrie zudem schmerzt: Die sogenannte Strompreiskompensation wurde in Österreich, anders als in gut einem Dutzend anderer EU-Länder, nicht verlängert.

Warum Strom in den skandinavischen Ländern billiger ist, hat nach Ansicht Helmensteins auch mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien zu tun. In Schweden sei der Anteil am Bruttoendenergieverbrauch zwischen 2012 und 2022 von 49 auf 65 Prozent gestiegen, in Finnland von 34 auf 44 Prozent. Österreich habe sich indes auf seinem hohen Wasserkraftanteil ausgeruht, der Anteil sei nur von 33 auf 38 Prozent gestiegen. Beispielhaft verhalten habe sich in der Krise Italien, das seine Gasversorgung rasch diversifiziert habe.

Der Ausbau von Wind- und vor allem Sonnenenergie in den vergangenen Jahren wirkt auch hierzulande preisdämpfend. Sogar mehr als das: Weil heuer auch in Österreich der erzeugte Strom nicht mehr zur Gänze abtransportiert werden kann, gibt es immer mehr Stunden mit negativen Strompreisen. „Das hatten wir bisher hier nicht, sondern in Deutschland“, sagt Johannes Mayer, Preisexperte bei der Regulierungsbehörde E-Control. Daher sei der Abstand zu den Großhandelspreisen (die für die Industrie ausschlaggebend sind) in Deutschland mittlerweile auf weniger als zwei Euro pro Megawattstunde (MWh) geschrumpft. 2019 lagen sie bei drei bis vier Euro je MWh, am Höhepunkt der Energiekrise sogar bei 30 Euro.

Wasserkraftwerksbetreiber fahren die Produktion nicht zuletzt an Wochenenden herunter, weil sie sonst für Strom zahlen müssten. Laut Mayer ist das für die Energieunternehmen nicht unbedingt schlecht, denn in den Stunden, in denen der Strom tatsächlich gebraucht werde – weil keine Sonne scheint und kein Wind bläst –, seien die Preise viel höher als früher. Der „Hub“ werde größer, sagt er. „Künftig kommt die Stromrechnung in einigen Stunden zusammen.“ Der E-Control-Experte rechnet damit, dass sich die negativen Preise am Strommarkt wieder „abschleifen“ werden, durch neue technische Möglichkeiten und Verbrauchsänderungen. Die durchschnittliche Kilowattstunde mit allen technischen Notwendigkeiten für Stromspeicherung und Stromverteilung werde aber „nicht billiger“. „Die Erwartung ist, dass das Gesamtsystem nicht billiger wird“, räumt er ein. Auch weil die neuen Erzeugungstechnologien weniger Stunden produzieren: Ein Laufkraftwerk kommt auf 5000 Stunden im Jahr, ein Windrad hierzulande durchschnittlich auf 2500 Stunden und eine PV-Anlage auf 1100 Stunden.

Der IV-Chefökonom sieht die Diskussion über einen weiteren Kostenschub durch die Investitionen in klimafreundliche Energie kritisch. Die Leistung der Windräder habe sich bisher alle 48 Monate verdoppelt, sagt er, und das werde bis 2028 so weitergehen. Ein neues Windrad könnte jetzt rund 200 alte aus den 90er-Jahren ersetzen. Das sollte eher zu einem Rückgang der Kosten führen, sagt Helmenstein.

Beim Netzausbau wäre ein Beitrag der öffentlichen Hand denkbar, sei aber angesichts der angespannten Budgetlage unwahrscheinlich. Und auch die europäische Integration, die wichtig wäre, um das – verglichen mit anderen Weltregionen hohe – Energiepreisniveau in der EU zu senken, komme viel zu langsam voran.

Anders als die rund 70.000 Betriebe mit mehr als 4000 Megawattstunden Verbrauch im Jahr, die selbst oder über Händler zu Großhandelspreisen einkaufen, hängen kleine und mittlere Unternehmen von den Angeboten der Versorger ab und sind oft in ein- bis dreijährigen Verträgen gebunden. Es sei schon denkbar, „dass einige von ihnen nach wie vor Preise zahlen, die vor zwei Jahren attraktiv waren“, vermutet Mayer.

Doch auch kleinere Firmen mit weniger als 100.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch, die ihren Anbieter wie Haushalte wechseln und viel Geld sparen können, sofern sie keine Bindung eingegangen sind, bleiben meist bei den angestammten Landesversorgern, weiß die E-Control. Die Ex-Monopolisten kommen daher trotz der Marktliberalisierung weiter auf einen Marktanteil von nie unter 60 Prozent, was ihnen große Marktmacht gebe.

Stress im Stromsystem belegen die Zahlen des Übertragungsnetzbetreibers APG. Auch im Juni mussten wegen der Überschüsse Windräder und Wasserkraftwerke heruntergefahren werden, um Überlastungen im Stromnetz zu vermeiden. Seit Jänner gingen durch das Abregeln laut APG 39.000 Megawattstunden Strom verloren.Abhilfe sollte das von der Regierung vorbereitete Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) schaffen. Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) bezeichnete es als „Betriebssystem“ für die Energiewende. Der Gesetzesentwurf liegt seit Juni in der Schublade, weil die ÖVP auf EU-Ebene noch offene Themen sieht. Das ElWG sieht auch klarere Regeln bei Preisänderungen vor. Nach Gerichtsurteilen herrscht in der Branche Unsicherheit, wie Anbieter ihre Preise rechtlich korrekt ändern dürfen. Das führe dazu, dass Kunden oft nur profitieren, wenn sie aktiv zustimmen.

von Monika Graf

Salzburger Nachrichten