Die Energieunternehmen stehen vor der historischen Herausforderung, die Klimaziele der Bundesregierung umzusetzen. Was das für die Staatskasse bedeuten könnte – und für die Stromkunden.
Der massiv steigende Investitionsbedarf der Energiewirtschaft lässt sich nach Einschätzung der Branche nur mit staatlicher Hilfe bewältigen: Dem Handelsblatt sagte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): „Die Politik muss einen Investitionsrahmen schaffen, der die Umsetzung wirtschaftlich attraktiver Energiewendeprojekte unterstützt.“ Erforderlich seien „ausreichende und langfristig verlässliche Renditen – sowohl für die Energiewirtschaft als auch für private Kapitalgeber“.
Neben attraktiven Bedingungen für Investoren sei aber auch eine „auskömmliche Finanzierung“ durch den Bund erforderlich. „Privates Kapital kann dies nur ergänzen“, sagte Andreae. Der Investitionsbedarf der Energieunternehmen erhöht auch den Druck auf die Spitzen der Ampel-Koalition im Haushaltsstreit. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will zusätzliche Schulden unbedingt vermeiden und lehnt Finanzierungsvorschläge ab, die seine Koalitionspartner eingebracht hatten.
Dazu zählt etwa, Zuschüsse an die Autobahngesellschaft oder die Deutsche Bahn in Darlehen umzuwandeln. Alternativ hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Wochenende ein Sondervermögen für dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur ins Spiel gebracht. Diesen Vorschlag hatte zuvor auch der BDI gemacht. Die Energiebranche steht vor einer historischen Herausforderung – und die ist kostspielig. Damit die politischen Ziele im Klimaschutz erreichbar werden, müssen die Unternehmen der Branche nicht nur massiv in den Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft investieren. Sie müssen auch den Ausbau der Stromnetze und den Aufbau von Wasserstoff-Produktionskapazitäten vorantreiben.
Und sie müssen Geld lockermachen für Back-up-Gaskraftwerke, Speicher, Wärmenetze und die Ladeinfrastruktur für E-Autos. Das macht es erforderlich, das Investitionsvolumen im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt um den Faktor drei zu erhöhen – und das über viele Jahre. Der „Fortschrittsmotor Energiewende 2024“ des BDEW beziffert den Investitionsbedarf der Branche auf 721 Milliarden Euro bis 2030. Bis 2035 sind es demnach sogar 1,2 Billionen Euro.
Viele Unternehmen stoßen an ihre Grenzen
Mit den bislang üblichen Finanzierungsinstrumenten stoßen viele Unternehmen damit an Grenzen. Das gilt ganz besonders für kleine Energieversorger, etwa Stadtwerke, die keinen Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten haben.
Eine Umfrage des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) und der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC unter 162 VKU-Mitgliedsunternehmen kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die Versorgungsunternehmen nur 30 Prozent ihres Investitionsbedarfs über Innenfinanzierungen, also aus eigener Kraft, decken können. Nur 53 Prozent der befragten Unternehmen erwarten, die notwendigen Investitionen langfristig durch Bankdarlehen sicherstellen zu können.
Woher neues Eigenkapital kommen soll, ist in vielen Fällen noch offen. Denn lediglich 30 Prozent der befragten VKU-Mitgliedsunternehmen haben die Möglichkeit, mit bestehenden Gesellschaftern eine Kapitalerhöhung durchzuführen. Nur für 27 Prozent kommt infrage, ihr Eigenkapital über neue Gesellschafter zu erhöhen. BDEW-Chefin Andreae hält einen Mix aus verschiedenen Finanzierungsinstrumenten sowie flankierenden Maßnahmen des Staates für notwendig. Konkret fordert der BDEW eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen, um so die Innenfinanzierungskraft der Unternehmen zu stärken. Dies könne beispielsweise durch verbesserte Abschreibungsbedingungen geschehen.
Zudem muss nach Überzeugung des Verbands der regulatorische Rahmen angepasst werden. So fordert der BDEW attraktivere Netzrenditen. Die Verzinsung von Investitionen in Strom- und Gasnetze ist nach Überzeugung des Verbands „generell unzureichend“. Tatsächlich ist diese Verzinsung gedeckelt, weil es sich bei den Netzen um natürliche Monopole handelt. Die Bundesnetzagentur wacht darüber, dass die Unternehmen nur Renditen im gesetzlich definierten Rahmen erwirtschaften dürfen.
Seit Jahren klagen die Netzbetreiber, der Rahmen sei zu eng, die Renditen im internationalen Vergleich nicht ausreichend. Das mache die Suche nach Investoren schwierig. Andreae sagte, Kapital suche weltweit Anlagemöglichkeiten, daraus erwachse eine erhebliche Konkurrenz. „Für Investoren muss vor diesem Hintergrund das Risiko-Rendite-Profil stimmen“, sagte sie.
Die Politik tut sich schwer, der Forderung der Branche nach höheren Netzrenditen zu nachzukommen. Denn höhere Renditen für die Unternehmen würden zulasten der Kundinnen und Kunden gehen. Sie finanzieren über ihre Strom- und Gasrechnungen die Netze. In vielen Fällen machen die Netzentgelte schon heute mehr als 30 Prozent der Stromrechnung aus.
Branche hat Vielzahl möglicher Instrumente skizziert
Die Branche hatte bereits 2023 zusammen mit der Unternehmensberatung Deloitte das Strategiepapier „Kapital für die Energiewende“ veröffentlicht, das eine Vielzahl möglicher Instrumente skizziert, um Investitionen zu erleichtern. Darunter findet sich auch ein „Energiewende-Fonds“.
Mit diesem Fonds soll allen Energieunterunternehmen über stille Einlagen und Genussrechte oder klassische Unternehmensbeteiligungen privates Eigenkapital bereitgestellt werden. Das Anfangskapital des Fonds müsste dem Strategiepapier zufolge bei 30 bis 50 Milliarden Euro liegen.
Dahinter steckt folgende Überlegung: Bislang sind Investitionen in die Energiewende weitgehend kreditfinanziert. Weil aber die Investitionstätigkeit und damit die Finanzierung in den kommenden Jahren um ein Vielfaches gesteigert werden muss, würde die vermehrte Aufnahme von Fremdkapital die Eigenkapitalquote der Unternehmen senken. „Um dennoch auch zukünftig für Kreditgeber attraktiv zu sein, muss in vielen Unternehmen zunächst die Eigenkapitalquote wieder erhöht werden“, heißt es beim BDEW.
Da Eigenkapital aufgrund eines höheren Risikos das teuerste Kapital auf dem Finanzmarkt ist, sollen professionelle Fondsstrukturen sowie risikominimierende Maßnahmen wie Bürgschaften von Bund und Ländern für attraktive Konditionen des Energiewende-Fonds sorgen.
Die am 5. Juli von der Bundesregierung vorgelegte „Wachstumsinitiative“ greift einige Vorschläge der Energiebranche auf. So sieht sie beispielsweise verbesserte Abschreibungsbedingungen, einen „Eigenkapital-Transformationsfonds“ der staatlichen Förderbank KfW und weiteren Bürokratieabbau vor. Aus Sicht der Energiebranche müssen solche Ansätze nun schnell umgesetzt werden. Andreae sagte, mit der Wachstumsinitiative habe sich die Bundesregierung „richtigerweise für eine dringend notwendige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ausgesprochen“. Erforderlich sei nun ein „Investitionsturbo, der die Erneuerbaren, den Netzausbau und die Wasserstoffwirtschaft anschiebt und für mehr Wertschöpfung in Deutschland sorgt“.
Handelsblatt