Kammerplan schockt Umweltschützer

15. Oktober 2024

Der geleakte „Energiemasterplan“ soll die Koalitionsgespräche beeinflussen. Er sieht vor, Umweltorganisationen zu schwächen und die fossile Industrie zu stärken.

Siegfried Nagl hat eine Wahl verloren, aber ein Megaprojekt gewonnen. Vor zwei Jahren übernahm der langjährige Grazer Bürgermeister (ÖVP) eine Stelle in der Wirtschaftskammer, um den „Energiemasterplan“ der Kammer auszuarbeiten.

Ein Jahr später liegt dem STANDARD der Letztentwurf des „Energiemasterplans“ vor. Die Kammer erstellte ihn einen Tag nach der Nationalratswahl, er geht nun in die „bundesweite digitale Begutachtung. Wann die finale Version vorliege, will die Kammer dem STANDARD genauso wenig beantworten wie inhaltliche Fragen zum Letztentwurf. Aber die Richtung zeichnet sich schon jetzt ab. Von den Pariser Klimazielen, von denen Nagl sprach, ist im vorliegenden Entwurf nichts mehr zu lesen. Er enthält auch keine Ansage, die verbindlichen EU-Ziele erreichen zu wollen. Stattdessen versetzt er die Umweltszene in Schrecken. Die Erneuerbaren-Branche ist ebenso alarmiert.

Mächtiger Player

Denn die Wirtschaftskammer ist einer der mächtigsten Player in der heimischen Klimapolitik. Ihren Einfluss macht sie in der ÖVP direkt geltend. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer sitzt im Bundesparteivorstand der Volkspartei.
Im vorliegenden Entwurf des Energiemasterplans skizziert die Wirtschaftskammer nun auf 22 Seiten ihre Wünsche an die künftige Regierung, der die ÖVP mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angehören wird. Einen klaren Ausstieg aus klimaschädlichen Energieträgern wie Öl und Gas sieht der Plan nicht vor. Stattdessen heißt es: „Während der Energietransformation werden fossile Energieträger eine zwar abnehmende, aber weiterhin wesentliche Rolle spielen. Statt gesetzlicher Verbote brauche es Anreize für Innovationen über Förderungen hinaus.

So sollen etwa die umstrittenen E-Fuels unterstützt werden, für die sich insbesondere fossile Konzerne starkmachen. Dieser klimaneutrale Treibstoff soll wie auch Wasserstoff künftig in Industrie und im Verkehr eine wichtige Rolle spielen. Dabei zeigen Studien der Österreichischen Energieagentur, dass E-Fuels sehr ineffizient und teuer sind und wie Wasserstoff in Zukunft nur beschränkt zur Verfügung stehen werden. Sie rät daher vom Einsatz dieser Energieträger im Verkehr ab.

Weiters will die Kammer „Energiesteuern dauerhaft auf das EU-Minimum begrenzen“. Im Zuge dessen soll auch das klimaschädliche Erdgas billiger werden. Wie sieht es hingegen mit der jährlichen Finanzierung des Erneuerbaren-Ausbaus aus, den das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) regelt? „Eine-Milliarde-Euro-Deckel aus dem EAG beibehalten“, heißt es im Energiemasterplan lapidar. „Dieser Energiemasterplan gibt ein Versorgungsversprechen für Öl und Gas ab, aber keines für Erneuerbare“, kritisiert Roger Hackstock vom Verband Austria Solar, „er ist eine klare Absage an eine konsequente Energiewende.“ Die fossile Ausrichtung würde nicht nur heimische Unternehmen in der Erneuerbaren-Branche schwächen, sondern auch jene, die „von der Konzernzentrale die Vorgabe bekommen, am Standort klimaneutral zu produzieren“. Eine Stärkung der fossilen Energie erkennt Hackstock im Energiemasterplan etwa in der Forderung, in Österreich nach Erdgas zu bohren, und im Versprechen, „CO2-Abscheidung und -Speicherung“ sei eine „Game-Changer-Technologie“.

„Rückwärtsgewandt“

Auch die Geschäftsführerin des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich, Martina Prechtl-Grundnig, zeigt sich „erschüttert“ und hält den vorliegenden Plan der Wirtschaftskammer für „erstaunlich rückwärtsgewandt“.

Ein Punkt alarmiert die Umweltschützer besonders: „Keine Parteistellung von Umweltorganisationen im Genehmigungsverfahren“, um den Erneuerbaren-Ausbau zu beschleunigen. „Das ist aus unserer Sicht unionsrechtswidrig“, so Viktoria Ritter, Umweltjuristin bei Ökobüro. Die Wirtschaftskammer betont, sie wolle „in keiner Weise bestehende Rechte von Umweltorganisationen beschneiden; diese werden nicht angegriffen“. Es gehe lediglich darum, dass die Republik die neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU nicht überehrgeizig umsetze.

Der Standard