Energie. Diese exotische Form der Wasserkraft nutzt die Bewegungen der Ozeanoberfläche, um Elektrizität zu erzeugen. Die Technologie ist jedoch nur für bestimmte Anwendungsfälle geeignet
71 Prozent der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt. Ein kleiner Teil dieser Fläche wird bereits verwendet, um erneuerbare Energie zu erzeugen.
Es gibt schwimmende Solaranlagen, die Inseln oder Orte am Festland mit Strom versorgen. Auch schwimmende Windfarmen werden entwickelt, die, entgegen klassischer Offshore-Windräder, selbst in tiefen Gewässern platziert werden können. Eine andere Energiequelle auf dem Meer ist so gut wie ungenutzt: Wellen.
Anders als Strömungskraftwerke, die den wechselnden Wasserpegelstand zwischen Ebbe und Flut nutzen, um Strom zu erzeugen, wandeln Wellenkraftwerke die Bewegung von Oberflächenwellen in elektrische Energie um. Dabei gibt es mehrere Möglichkeiten. „Es gibt über 1.000 verschiedene Varianten und mehrere Technologieformen“, sagt Christian Keindorf, Professor für Erneuerbare Offshore Energien an der FH Kiel.
Noch keine Marktreife
Manche Wellenkraftwerke haben mit Luft gefüllte Kammern, die komprimiert wird, sobald eine Welle kommt. Diese strömt durch eine Turbine, die so den Strom erzeugt. Andere Technologien nutzen gigantische Bojen (siehe Bild), die am Meeresgrund befestigt sind. Durch die Auf- und Abbewegung der Schwimmkörper wird ein Generator angetrieben.
Was alle Technologien gemeinsam haben, ist, dass sie noch nicht kommerziell eingesetzt werden. „Wellenkraftwerke sind noch äußerst exotisch, eine Serienfertigung für einen Anlagentyp ist mir bisher nicht bekannt“, sagt Keindorf. Es werde seit Jahrzehnten daran geforscht, aber es gebe ein Problem: „So richtig testen kann man die Technologie erst auf hoher See. Dort hat man bei hohen Wellen einen besseren Energieertrag – auch wenn es Regionen an den Steilküsten des Nordatlantiks gibt, wo sich die Küstenwellen ebenso beachtlich aufstauen.“
Auf dem offenen Meer facht hingegen der Wind die Wellen an. Je stärker der Wind weht, desto höher sind auch die Wellen. Allerdings können extrem hohe Wellen für die Anlagen gefährlich werden. „Sturmsicherheit muss mitgedacht werden. Sie müssen robust und vor allem wartungsarm sein. Denn jedes Mal, wenn man mit einem Schiff zur Wartung hinausfahren muss, kostet das Geld“, sagt Keindorf.
Ganz ohne Wartung kommt so ein Kraftwerk – wie auch Windenergieanlagen auf hoher See – allerdings nicht aus. „Das sind sich bewegende Maschinen. Auch ein Auto fährt ohne Öl- und Reifenwechsel keine 500.000 Kilometer am Stück“, sagt der Experte.
Großes Energiepotenzial
Das Energiepotenzial von Wellen ist groß und steigt exponentiell mit der Höhe. Noch gibt es aber zu wenig Praxistests, um zu sagen, wie viel dieser Energie von einem Wellenkraftwerk tatsächlich „geerntet“ werden kann. Das Start-up Corpower Ocean konnte bei Tests mit einem 19 Meter großen Bojenkraftwerk eine Spitzenleistung von etwa 600 Kilowatt erreichen. Zum Vergleich: Aktuelle Windräder im Meer erzeugen etwa 20-mal mehr Energie.
„Corpower ist ein Wellenkraft-Unternehmen, dessen Technologie bereits weit fortgeschritten ist“, sagt Keindorf. Das Bojenkraftwerk hat 70 Kilometer vor der Küste Portugals bereits einige Stürme überstanden. Abgesehen davon steckt die Entwicklung von Wellenkraftwerken noch in den Kinderschuhen, so Keindorf: „Es gibt eine Lernkurve, aber die ist nicht kontinuierlich. Es gibt etwas Forschung hier und ein Start-up da – aber vieles geht auf halber Strecke ein. Ich gönne es wirklich jedem, der da einen Durchbruch erreicht.“
Keindorf spricht aus Erfahrung. An der FH Kiel arbeitet der Forscher selbst an einem Wellenkraftwerk, das durch die Auf- und Abbewegung eines Schwimmkörpers Strom erzeugen soll. 3,5 Jahre haben er und sein Team gebraucht, um den Prototyp „Aurelia Wino“ zu bauen. Noch zwei weitere Jahre soll es dauern, bis dieser ausreichend in einer realen Umgebung getestet wurde. Bis eine Anlage die Serienreife erreicht, vergehen nochmals Jahre. Zudem sei die Finanzierung solcher Anlagen äußerst schwierig, denn Anreize, etwa über eine Einspeisevergütung, gebe es nicht.
Anwendungsfälle
Wellenkraftwerke hätten laut Keindorf dennoch ihre Einsatzberechtigung – aber nicht, um Energie im großen Stil für das Festland zu produzieren. Vielmehr könnten damit Inseln versorgt werden, die ihren Strom immer noch über Dieselgeneratoren beziehen, dessen Brennstoff mit dem Schiff angeliefert werden muss. Oder Forschungs- und Messstationen mitten im Meer. Oder die Kraftwerke dienen als Ladestation für E-Schiffe, die stundenlang an großen Windparks anliegen, während Techniker die Anlagen warten.
„Mobile autarke Tankstellen auf hoher See“ nennt Keindorf diesen Anwendungsfall. Das erinnert an Kleinwindkräfte, wie sie etwa für die Stromversorgung von Mobilfunkmasten oder landwirtschaftlichen Betrieben in windreichen Gebieten eingesetzt werden.
„Wellenkraft ist nicht für die große Masse“, sagt der Ingenieur: „Und auch die Stromgestehungskosten für Wind- und Sonnenenergie holen wir niemals mehr ein.“ Aber das sei gar nicht nötig – es wäre schon ein Erfolg, wenn einzelne Endverbraucher versorgt oder Dieselgeneratoren auf Inseln ersetzt werden können, um einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten.
Wellenkraft und ihr Potenzial
Experte
Christian Kleindorf sieht das Potenzial von Wellenenergieanlagen eher in Nischenanwendungen oder als „mobile autarke Tankstellen auf hoher See“
30Tausend
Terawattstunden – so hoch schätzte 2011 der Weltklimarat das globale Potenzial von Wellenenergie ein. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 wurden in der EU insgesamt 2.400 Terawattstunden Energie ins öffentliche Stromnetz eingespeist
Standorte
Wellenkraftwerke können nicht nur auf hoher See, sondern auch an Hafenmauern oder entlang von Piers eingesetzt werden. Dort ist die Energieausbeute aufgrund der kleineren Wellen geringer. Das höchste Energiepotenzial hätten Orte vor den Küsten Islands, Schottlands und Irlands, aber auch vor Spanien, Frankreich und Portugal. Eine Kombination mit Sonnen- und Windkraftanlagen ist denkbar
Kurier