Immer mehr Tiroler Gemeinden steigen in den Handel mit CO2 -Zertifikaten ein. Pettneu ist eine von ihnen. Der freiwillige Kohlenstoffmarkt ist umstritten. Waldbesitzer sehen ein Zukunftsmodell.
Die Gemeindegutsagrargemeinschaften Pettneu und Schnann sind große Waldbesitzer. Doch ein gutes Geschäft war das nie, sondern „immer ein Kampf“, sagt Bürgermeister Patrik Wolf, vor allem in schwierigen Jahren mit Windwurf und Käferbefall. Heuer klingelten dennoch die Kassen – und dafür musste Wolf nicht einmal die Motorsäge anlassen. Er hat erstmals CO2 -Zertifikate verkauft. „Für uns ist das noch absolutes Neuland“, sagt er. 2024 haben Tiroler Unternehmen Guthaben über 350 Tonnen CO2 im Wert von je 60 Euro aus den Pettneuer Wäldern erworben.
Dass es CO2 -Zertifikate aus Tirol gibt, ist neu, der freiwillige Kohlenstoffmarkt ist es nicht. Er stieß aber immer wieder auf Kritik. Unternehmen kauften im schlimmsten Fall Zertifikate von unzureichenden, internationalen Aufforstungsprojekten, um ihre CO2 -Emissionen vermeintlich auszugleichen, und bilanzierten sich als „klimaneutral“. Nun steigen immer mehr Tiroler Waldbesitzer in den Handel ein. Hinter dem Projekt in Pettneu steht das Vorarlberger Startup Tree.ly. So genanntes „Greenwashing“ sieht Wolf nicht. Das Projekt werde streng überwacht und muss jährlich vom TÜV zertifiziert werden.
Alle Einnahmen – Pettneu erhält 75 Prozent des Erlöses – müssen wieder zu 100 Prozent in den Wald fließen, der
CO2 bindet, und in Verjüngung und Waldumbau gehen, erläutert er. Für Wolf hat das absolut Zukunft. „Das ist Geld für die Ökosystemdienstleistung, weil die Allgemeinheit hier sehr viel Geld in die Hand nimmt.
Sechs Projekte in Tirol
Aktuell sind mehrere Projekte von Tree.ly in Vorbereitung bzw. bereits zertifiziert. Einzelne haben bereits Zertifikate verkauft.
Tree.ly betreut inzwischen sechs solcher Projekte in Tirol. Einige sind noch in der Zertifizierungsphase – wie die Gemeindegutsagrargemeinschaft Jerzens. Mit „Skepsis“ ist Bürgermeister Johannes Reinstadler an die Sache herangegangen. Bisher wurde sie nicht bestätigt. „Mit dem Holzverkauf allein kann man die Aufgaben im Wald nicht finanzieren“, sagt er. „Mir ist lieber, das Geld bleibt in Tirol, als dass es in halbseidene Projekte in Peru geht.“
Und die Nachfrage gibt es. „Bis 2030 reden wir von einem Markt von 50 bis 100 Milliarden Euro weltweit“, sagt Maximilian Venhofen von Tree.
ly. Man will auch in Tirol weiter expandieren und ist österreichweit mit 70 Waldbesitzern im Gespräch. Wo es Potenzial gibt, schließt das Unternehmen Verträge, die mindestens 30 Jahre laufen. Darin verpflichtet sich der Waldbesitzer, den Waldvorrat zu halten, auszubauen und verschiedene Maßnahmen wie Aufforstungen umzusetzen. Das werde jährlich vom TÜV überprüft.
Die Skepsis kennt man. Der freiwillige Markt mit CO2 -Zertifikaten sei ein bisschen wie im „Wilden Westen“, sagt er. „Greenwashing“ treffe auf die Projekte von Tree.ly nicht zu. Wer Zertifikate kauft, dürfe auch nicht behaupten, dass er deshalb klimaneutral wirtschaftet. „Er leistet einen freiwilligen Beitrag zum Klimaschutz“, sagt Venhofen. Man könne die ausgestoßene Tonne CO2 nicht mit gekauften Zertifikaten aufwiegen. „Sie ist ja trotzdem erst mal in der Luft.“
Es ist ein Thema, das polarisiert. Generell kritisch sieht Karl Schellmann, Klimaexperte des WWF, den freien Handel mit CO2 -Zertifikaten. „Es hat sich ein weltweiter Markt entwickelt, der inzwischen völlig unüberschaubar ist“, sagt er. Er sieht zum Teil einen „Ablasshandel, der das Gewissen beruhigen soll, der in Wirklichkeit selten Nutzen bringt und manchmal sogar großen Schaden anrichtet“.
Es sei nichts dagegen einzuwenden, wenn Unternehmen für Emissionen, die sich nicht oder noch nicht vermeiden lassen, Geld in gute Klimaschutzprojekte investieren. Er habe aber etwas dagegen, wenn sich Unternehmen freikaufen wollen und weitermachen wie bisher. „Das ist Greenwashing“, sagt Schellmann. Klimaprojekte, mit denen wirklich dauerhaft CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann, seien sehr selten. Waldprojekte gehörten für ihn nicht dazu. Sie sind laut Schellmann zu wenig dauerhaft. Zudem handle es sich oft nicht um zusätzliche Maßnahmen. „Wenn der Wald umgebaut werden muss, dann ist das eine Notwendigkeit, unabhängig davon, ob wer dafür zahlt oder nicht. Ich habe Verständnis für die Waldbesitzer, die großen wirtschaftlichen Stress haben, aber ich glaube nicht, dass das die beste Finanzierungsmöglichkeit ist.“ Und er warnt Unternehmen, beliebige Zertifikate am internationalen Markt zu kaufen, weil das immer eine Greenwashing-Gefahr birgt, insbesondere wenn damit Kompensation und Klimaneutralität kommuniziert werden.
Vom CO2 -Zertifikat bis Greenwashing
CO2 -Zertifikate werden auch Gutschriften aus Klimaschutzprojekten genannt, mit denen Treibhausemissionen eingespart werden. Ein Beispiel sind Aufforstungsprojekte, mit denen C02 gespeichert wird. Ein Zertifikat steht zum Beispiel für eine gewisse Menge ausgestoßenes CO2 .
Neben dem verpflichtenden Handel mit CO2 -Zertifikaten, der von der EU reglementiert ist, gibt es auch noch den freiwilligen Kohlenstoffmarkt. Dort werden die Gutschriften meist von so genannten Kompensationsdienstleistern verkauft. Inzwischen haben sich auch verschiedene Zertifizierungsstandards etabliert. Immer wieder gibt es Kritik am freiwilligen Markt.
Unternehmen wurden in der Vergangenheit immer wieder mit dem Vorwurf des Greenwashing bzw. des Climate-Washing konfrontiert. Gemeint ist damit meist, dass Unternehmen ihre Produktion, ihr Produkt bzw. ihre Dienstleistungen ein umweltfreundliches und grünes Image geben, ohne dass dafür eine echte Grundlage vorhanden ist.
„Das ist Geld für die Ökosystemdienstleistung, für die die Allgemeinheit viel Geld in die Hand nimmt.“
Patrik Wolf (Bürgermeister)
tiroler Tageszeitung Imst