LNG. Von der Leyen möchte mehr Flüssiggas aus den USA importieren und Trump damit besänftigen. Ein handelspolitischer Hochseilakt.
Wie kann die EU einen Handelskrieg mit den USA verhindern? Möglicherweise, indem sie Donald Trump, dem nächsten US-Präsidenten, dabei hilft, seine Ziele über einen alternativen Weg zu erreichen. Das dürfte die Denkweise hinter einem Vorstoß von Ursula von der Leyen gewesen sein. Statt die von Trump kritisierte schlechte Handelsbilanz für die Vereinigten Staaten gegenüber der EU durch neue Zölle und Handelsschranken zu verbessern, schlägt die Kommissionspräsidentin ihm eine neue Partnerschaft vor, die das gleiche Ziel erreicht. Kern ist eine deutliche Steigerung der Lieferungen von US-Flüssiggas (LNG) nach Europa, mit der sich das US-Handelsdefizit ausgleichen würde. Es wäre ein Deal, der auch Österreich zugutekäme, das bekanntlich seit vergangenem Wochenende kein Gas von Gazprom mehr erhält.
Mit dem Aufkündigen der Durchleitung von russischem Pipelinegas durch die Ukraine wird der Bedarf an LNG in der EU in den kommenden Jahren nochmals steigen. Das Institute for Energy Economics and Financial Analysis geht davon aus, dass er bis 2030 rund 300 Milliarden Kubikmeter jährlich betragen wird (2022 waren es noch 186 Mrd. Kubikmeter). Die USA hätten die Kapazität, diese Lücke zu schließen. Im ersten Halbjahr 2024 kamen bereits 46Prozent des LNG aus den USA, 21Prozent aus Russland, elf Prozent aus Qatar. „Wir erhalten immer noch viel LNG aus Russland“, kritisierte von der Leyen beim informellen EU-Gipfel in Budapest Anfang November. Sie möchte sich dafür einsetzen, auch diesen Anteil durch US-Lieferungen zu kompensieren.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurden an den Küsten der EU-Staaten bereits zahlreiche LNG-Terminals errichtet. Von ihnen aus kann das ankommende Flüssiggas umgewandelt und in Pipelines an die Abnehmer geliefert werden. Allein Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren acht Terminals errichtet. Vorerst sind es schwimmende Anlandestationen, die in einigen Jahren durch stationäre Anlagen ersetzt werden sollen. Zahlreiche weitere EU-Staaten, darunter Frankreich, Italien, Belgien und Kroatien, haben ebenfalls in neue Terminals investiert.
Neue einseitige Abhängigkeit
Wenn künftig deutlich mehr als die Hälfte des LNG für die EU-27 aus den USA geliefert wird, gibt es für beide Seiten Unsicherheitsfaktoren. Für die USA, weil der Bedarf der EU in den kommenden Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit wieder sinkt. Der Gaskonsum geht wegen der Umstellung auf erneuerbare Energieträger kontinuierlich zurück. In Portugal fiel er im ersten Halbjahr 2024 um 18Prozent, in Malta um 15Prozent, in Österreich um neun Prozent. Da es aber Länder wie Schweden oder Estland gibt, die ihren Konsum vergrößert haben, fiel der Gesamtbedarf der EU im selben Zeitraum gerade einmal um 3,2Prozent.
Für die Europäische Union wäre eine zu große Abhängigkeit von LNG-Lieferungen aus den USA ein noch größeres Risiko. Aus der Erfahrung mit Russland wissen viele Mitgliedstaaten, dass die Energielieferungen als Druckmittel eingesetzt werden können, um andere politische und wirtschaftliche Vorteile zu erpressen. Oder, wie es im Falle der USA bereits im Jänner dieses Jahres der Fall war, Lieferungen reduziert werden, um den Anstieg der Gaspreise für die eigene Bevölkerung zu dämpfen. US-Präsident Joe Biden hatte Anfang 2024 die Genehmigung neuer Exporte von LNG für mehrere Monate ausgesetzt. Er begründete dies mit Amerikas Energiesicherheit und den Auswirkungen auf die nationalen Energiekosten. Dazu kommt, dass die Nachfrage nach Gas zwar in Europa zurückgeht, weltweit aber insbesondere bei LNG steigt. Die USA sind also von den Abnehmern in der EU nicht abhängig.
Trump würde nach Einschätzung von Experten nicht davor zurückschrecken, ähnlich wie Russlands Wladimir Putin eine Gasabhängigkeit der EU auszunutzen. Wird von der Leyens Vorstoß also der Pakt mit dem nächsten Teufel? Der EU-Rechnungshof hat das in einer Bewertung im vergangenen Sommer indirekt bejaht. Er verwies auf die notwendige Diversifizierung der Bezugsquellen, um sich nicht einseitig abhängig zu machen. Rechnungshofprüfer João Leão warnte: „Auch die Konsumenten haben für den Fall eines künftigen größeren Engpasses keine Garantie, dass die Preise bezahlbar bleiben.“ Zum wachsenden Bezug aus den USA betonte er allerdings auch, dass es bei LNG grundsätzlich einfacher als bei Pipelinegas sei, zu anderen Anbietern zu wechseln.
von Wolfgang Böhm
Die Presse