Der Zivilrechtsprofessor Andreas Kletečka konnte Einsicht in den geheimen Gasvertrag nehmen. Aus seiner Sicht wäre für die OMV ein Ausstieg möglich.
Viel wurde gesprochen und diskutiert über den sagenumwobenen Gasliefervertrag zwischen OMV und Gazprom: Was wurde zwischen den beiden Energiekonzernen genau vereinbart? Wie viel bezahlt die OMV für das russische Gas? Und unter welchen Bedingungen kann sie aus dem Vertrag aussteigen, der bis 2040 läuft?
Bisher war darüber kaum bis gar nichts bekannt. Doch ein Mitglied der Gas-Unabhängigkeitskommission des Klimaschutzministeriums bringt nun ein wenig Licht ins Dunkel. Zivilrechtsprofessor Andreas Kletečka konnte in den geheimen Gasvertrag Einsicht nehmen und hat einen klaren Standpunkt: Bei einem Lieferstopp der Gazprom, wie er nun eingetreten ist, darf die österreichische OMV den Langzeitvertrag kündigen.
Schwedisches Recht
Bekannt ist, dass der Vertrag eine Take-or-pay-Klausel enthält: Gazprom liefert, die OMV muss bezahlen – selbst wenn sie das Gas nicht abnimmt. Umgekehrt müsste aber auch die OMV nicht zahlen und könnte aus dem Vertrag aussteigen, wenn Gazprom nicht mehr liefert.
Laut Kletečka ergibt sich das schon allein daraus, dass in dem Vertrag die Anwendung schwedischen Rechts vereinbart wurde, das – so wie die allermeisten Rechtsordnungen – eine entsprechende Kündigungsmöglichkeit vorsieht, erklärt er im Gespräch mit dem STANDARD. Der Jurist konnte den Vertrag unter strengen Sicherheitsvorkehrungen (ohne Handy, mit Überwachung) in einem Raum im Klimaschutzministerium einsehen. Er darf auch keine weiteren Details über die Vereinbarung öffentlich machen.
Bei internationalen Verträgen ist es üblich, dass ihnen eine bestimmte staatliche Rechtsordnung zugrunde gelegt wird, die möglichst unabhängig von den beiden Vertragspartnern ist. Im Fall der OMV und Gazprom hat man sich für Schweden entschieden. „Im schwedischen Recht ist es so wie in praktisch jeder anderen Rechtsordnung: Wenn der Vertragspartner mit seiner Lieferung in Verzug gerät und auch nach Setzung einer Nachfrist nicht liefert, dann kann man von dem Vertrag zurücktreten“, sagt Kletečka. Der einfachste Weg eines Ausstiegs für die OMV wäre es deshalb, wenn Gazprom seine Lieferungen unberechtigterweise einstellt. Genau diese Situation ist nun eingetreten.
Wie ist es dazu gekommen? Gazprom hatte die OMV im Jahr 2022 in Deutschland mangelhaft beliefert. Die OMV führte deshalb ein Schiedsverfahren gegen den russischen Konzern, in dem ihr rund 230 Millionen Euro an Schadenersatz zugesprochen wurden. Die OMV kündigte daraufhin am 13. November an, für die österreichischen Gaslieferungen – berechtigterweise – kein Geld mehr an Gazprom zu bezahlen und den Schadenersatz auf diesem Weg einzutreiben. In der Konsequenz stellte Gazprom die Lieferungen am 16. November ein und wurde damit wohl vertragsbrüchig.
Die Konsequenz laut Kletečka: Die OMV könnte raus aus dem Vertrag, wenn sie der Gazprom eine Nachfrist zur Lieferung setzt und Gazprom diese Frist verstreichen lässt. Die OMV selbst hielt sich dazu auf mehrfache STANDARD-Anfragen bedeckt. Man bitte um Verständnis, dass man die „juristische Strategie“ nicht offenlege.
Denkbar wäre, dass Gazprom das Schiedsurteil, mit dem der OMV 230 Millionen Euro Schadenersatz zugesprochen wurden, für ungültig hält. Im Zweifel müsste über die Vertragskündigung womöglich erneut ein Schiedsgericht urteilen – wohl mit guten Chancen für die OMV.
Bericht ausständig
Kletečka betont, dass es sich bei dem Ausstiegsszenario um seine persönliche Einschätzung handelt. Die Gas-Unabhängigkeitskommission, die sowohl eine mögliche Kündigung des Vertrags als auch dessen Zustandekommen analysieren soll, hat dazu noch keinen offiziellen Beschluss gefasst. Neben Kletečka gehören der Kommission unter anderem die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Irmgard Griss, der frühre E-Control-Vorstand Walter Boltz und Wifo-Chef Gabriel Felbermayr an. Wann der Endbericht vorliegt, ist nicht absehbar. „In den kommenden Monaten wird die Kommission gemäß Prüfauftrag weiterarbeiten und nach Abschluss dieser Arbeiten einen Endbericht vorlegen“, hieß es jüngst.
Der Standard