Nachhaltigkeit. Abwasser und Prozesswasser liefern Wärme für Gebäude
Abwasser, das bislang oft nur als Abfallprodukt wahrgenommen wurde, könnte sich als Schlüssel für die nachhaltige Wärmeversorgung erweisen. Experten betonten beim „Insight Talk“ des Green Energy Lab – eine Forschungsinitiative für nachhaltige Energielösungen in Wien, Niederösterreich, dem Burgenland und der Steiermark – das enorme Potenzial dieser unterschätzten Energiequelle. „Abwasser ist eine erneuerbare Energie, die wir direkt vor unserer Haustür nutzen können“, erklärte Klaus Pichler von Rabmer Greentech.
Pro Stunde fließen in Österreich 85 Millionen Liter Abwasser mit Temperaturen zwischen 8 und 22 Grad Celsius durch die Kanäle. Das energetische Potenzial: 660 Megawatt, fast so viel wie die Tiefengeothermie. Laut einer Studie der Wiener Universität für Bodenkultur könnten etwa 10 bis 14 Prozent der Wärmeversorgung im Gebäudesektor allein mit der Abwärme aus dem Kanal oder dem Ablauf der Kläranlage abgedeckt werden, wie Klaus Pichler erklärt.
Erneuerbare Energie
Die EU stuft seit 2018 die energetische Nutzung von Abwasser als erneuerbare Energie ein. Die Anwendungen der Wärmerückgewinnung aus Abwasser oder Kühlwasser sind vielfältig und lohnen sich schon ab einer Heiz- beziehungsweise Kühllast von 50 kW – vergleichbar mit einer kleinen Schule oder einem Mehrfamilienhaus mit etwa zehn bis 15 Wohneinheiten.
Ein beeindruckendes Praxisbeispiel liefert das Vio-Plaza in Wien-Meidling. „Wir kühlen das Gebäude komplett mit Energie aus dem Kanal und decken zugleich ein Drittel des Heizbedarfs“, sagt Flora Prenner (ebenfalls Rabmer Greentech). Solche Projekte sind nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich: Die Amortisationszeit liegt oft unter zehn Jahren.
Kläranlage heizt Stadt
Die Kläranlage in Gleisdorf zeigt, wie weitreichend die Möglichkeiten sind. Hier liefert Abwasser 18 Prozent der netzgebundenen Wärmeversorgung der Stadt, was dem Bedarf von rund 200 Haushalten entspricht. „Wenn wir abends duschen, wärmt dieses Wasser am nächsten Tag wieder unser Duschwasser“, sagt Erich Rybar, Geschäftsführer der Feistritzwerke. Mit diesem Ansatz spart die Stadt jährlich rund 1.100 Tonnen CO₂ ein. Das Projekt wurde im Rahmen des Forschungsprogramms Thermaflex realisiert, das vom Green Energy Lab initiiert wurde.
Experten sehen ähnliches Potenzial bei über 170 Kläranlagen in Österreich. Im Pinzgau sorgt das Kühlwasser eines Wasserkraftwerks für einen klimafreundlichen Sommerbetrieb des lokalen Fernwärmenetzes. Durch den Verzicht auf Biomassekessel spart die Gemeinde jährlich 1.000 Schüttraummeter Holz und 10.000 Liter Heizöl. „Ohne Förderungen wäre das aber kaum möglich gewesen“, betonte Christian Pugl-Pichler von der Salzburg AG.
Die Demonstrationsprojekte aus Wien, Gleisdorf und Wald im Pinzgau zeigen, wie Abwasser und Prozesswasser zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung beitragen können. „Diese Ansätze bieten enormes Multiplikationspotenzial“, sagte Joachim Kelz vom Institut für Nachhaltige Technologien (AEE Intec). Die nächste Herausforderung wird sein, diese Technologien flächendeckend zu etablieren.
Fakten
Green Energy Lab
ist eine Forschungsinitiative für nachhaltige Energielösungen in Wien, Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark
660Megawatt
ist das energetische Potenzial der etwa 85 Millionen Liter Abwasser, die pro Stunde durch Österreichs Kanäle fließen
Wärmeversorgung
Zehn bis 14 Prozent der gesamten Wärmeversorgung im Gebäudesektor könnten laut Boku erreicht werden
Kurier