Warum ist Gas im Sommer plötzlich teurer als im Winter?

10. Dezember 2024, Wien

Energie. Die EU fordert von den Staaten, dass sie ausreichend Gas bunkern, um Engpässe oder hohe Preise zu verhindern. Doch damit lockt sie auch ungeliebte Spekulanten in den Markt. Für die Steuerzahler könnte es am Ende erst recht kostspielig werden.

Wer heute an der europäischen Börse eine Megawattstunde Erdgas für den Winter 2025/26 kaufen will, muss dafür rund 40Euro hinlegen. Kein Wunder, immerhin ist es dann kalt, Wohnungen wollen geheizt und Strom erzeugt werden. Umso überraschender ist es, dass dieselbe Megawattstunde Gas für den Sommer 2025, wenn kaum jemand sein Haus wärmen muss, noch einmal um vier Euro teurer ist.

Dieser negative Sommer-Winter-Spread bei Erdgas vom niederländischen Knotenpunkt TTF ist an den Börsen eine echte Rarität (siehe Grafik). Denn üblicherweise baut das Geschäftsmodell vieler Gashändler darauf auf, den Brennstoff im Sommer günstig zu kaufen und einzubunkern, um ihn im Winter teurer zu verkaufen. Das garantierte bis dato, dass Europas Speicher zu Beginn der Heizsaison ausreichend gefüllt waren. Diese alte Logik wurde nun auf den Kopf gestellt. Aber wie kann das sein und was sind die Folgen?

Wenig LNG, viel Unsicherheit

Grundsätzlich signalisiert der plötzliche Anstieg der Gaspreise für den kommenden Sommer, dass die Händler damit rechnen, dass das Angebot knapp werden könnte, wenn Europa normalerweise beginnt, seine Speicher zu füllen. Ein Grund für diese Annahme ist der vergleichsweise rasche Abbau der Speicher im heurigen Jahr, meint Greg Molnár, Gasanalyst bei der Internationalen Energieagentur. Die Staaten müssen also mehr Gas zukaufen als bisher erwartet.
Dazu kommt, dass die meisten neuen Flüssiggasprojekte erst im zweiten Halbjahr 2025 frische Mengen auf den Markt bringen werden. Auch das mögliche Ende des Gastransits durch die Ukraine verschärfe die Unsicherheiten unter den Händlern. Am allermeisten heizt derzeit aber paradoxerweise die EU selbst die Gaspreise an.

Die Europäische Union hat den Mitgliedsländern im Zuge der Gaspreiskrise2022 Mindestfüllquoten für ihre Gasspeicher vorgeschrieben, um eine Versorgungskrise zu vermeiden und auch mögliche Preisschocks abzufedern. Mit Anfang November müssen die Speicher zu neunzig Prozent gefüllt sein. Auf dem Weg dahin gibt es zudem noch etliche neuerlich verschärfte Zwischenziele zu erfüllen. „Die aktuelle Nachfrage ist stark von diesen Vorgaben der EU getrieben“, sagt Markus Krug, stellvertretender Leiter der Gasabteilung beim Energieregulator E-Control. Denn damit ist klar, dass die europäischen Länder spätestens bis November ihre Speicher de facto gefüllt haben sollten. Das wiederum lockt nicht nur klassische Gashändler, sondern auch spekulative Investoren an.

Die Speicher-Spekulanten

„Wir sehen, dass große Hedgefonds mit riesigen Beträgen in den Markt gehen“, sagt Krug. Sie wetten aggressiv auf steigende Gaspreise im Sommer und verstärken so den Effekt. „Wir als Regulatoren sind nicht glücklich mit der Situation“, sagt der E-Control-Experte und fordert schärfere Regeln. „Dieses Verhalten ist nicht gut für uns in Europa.“ Es ist auch deshalb nicht gut, weil ein zu hoher Sommerpreis für Erdgas den kommerziellen Gashändlern jeden Anreiz nimmt, die Speicher zu befüllen. So könnte es letztlich an den Mitgliedstaaten selbst hängenbleiben, die Speichervorgaben der EU zu erfüllen.

In Deutschland hat jeder Händler, der Gas speichert, die Pflicht, auch zur Erfüllung der Quote beizutragen. In Österreich gibt es diese Verpflichtung nicht flächendeckend. Lediglich jene Lieferanten, die Haushalte beliefern, müssen Gas für mindestens 30 Tage vorrätig haben. Sonst legte die Republik 2022 knapp vier Milliarden Euro hin, um sich zwanzig Terawattstunden an strategischer Gasreserve zu sichern. Muss das Land nun heuer nachlegen?

Muss der Steuerzahler ran?

Der heimische Gasspeicherbetreiber RAG verweist auf Anfrage der „Presse“ darauf, dass die Buchungslage für die kommende Saison gut sei. Die Händler hätten sich also den Platz in den Speichern gesichert. Ob dieser auch befüllt werde, zeige sich allerdings erst im Frühling, heißt es.

Aber selbst, wenn die Speicher aufgrund des unvorteilhaften Preisspreads nur schwach befüllt würden, könnte Österreich durchkommen, ohne noch mehr Steuergeld nachschießen zu müssen. „Das Land hat eine Ausnahme vom 90-Prozent-Ziel der EU“, sagt Markus Krug. Österreichs Speicher fassen rund 97 Terawattstunden (TWh) Erdgas, deutlich mehr, als es brauchte. Daher muss das Land laut Brüssel am ersten November nur 35Prozent des durchschnittlichen Gasverbrauchs der vergangenen fünf Jahre in den Speichern vorweisen können. Das sind in etwa 30Terawattstunden oder ein knappes Drittel der heimischen Speicherkapazität.

Zwanzig Terawattstunden davon deckt bereits die strategische Gasreserve des Bunds ab, acht Terawattstunden kommen über die Versorgungsstandards der Lieferanten dazu, und ein paar Terawattstunden legt sich üblicherweise auch die Industrie zur Seite. Die 30Terawattstunden sind also gut erreichbar. Politisch wurde in den vergangenen Jahren in Österreich dennoch immer ein Füllstand von 90 Prozent gefordert. Ob sich das unter der neuen Regierung ändern wird? „Man muss sich für das nächste Jahr schon die Frage stellen, wie viel die Steuerzahler dafür noch abgeben sollen“, sagt Krug. „Brauchen wird Österreich einen Füllstand von 90 Prozent sicher nicht.“

Die Presse